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Venedig: Die Ballerinas vom Kanal

Seit Jahrhunderten gehören Gondeln zu Venedig. Die traditionelle Herstellung ist kunstvoll. Und für viele Gondolieri zu teuer.

Hunderte, mit üppigem Dekor ausgestattete Gondeln leuchten in der Sonne. Stolz scheinen sie auf dem Wasser zu tanzen – wie bunte Ballerinas. Sieht so der Niedergang aus? Vielleicht werden sie nicht mehr gebucht, weil die Preise für die Rundfahrten so unverschämt hoch sind. Andererseits stauen sich bisweilen ganze Gondelkonvois in Venedigs Kanälen.

Roberto Tramontin sorgt sich nicht um die Schiffsart an sich. Er kämpft um die Existenz der traditionell gefertigten venezianischen Gondel. „Schon heute sind fast zwei Drittel der auf unseren Kanälen fahrenden, knapp 450 Gondeln billige Kopien“, berichtet der stämmige Mittfünfziger. Er ist einer der letzten Gondelbauer der Stadt.

Sperrholz heißt das Gebot der Stunde im Gondelbau. Es ist billiger und lässt sich schneller verarbeiten. „Immer weniger Gondolieri sind bereit oder in der Lage, die 20 000 Euro, die man mindestens für ein neues Boot bezahlen muss, auszugeben“, erzählt Roberto. Soll die Gondel etwas Besonderes sein, aufwendige Schnitzereien, prunkvolle Beschläge und edle Polster haben, dann kommt man schnell auf weit höhere Beträge. Das lässt den Preis für eine Gondelfahrt in einem etwas anderen Licht erscheinen.

Roberto Tramontin, dessen Werkstatt in einem stillen Winkel des Stadtteils Dorsoduro liegt, wohin sich kaum ein Tourist verirrt, baut pro Jahr durchschnittlich nur noch eine neue Gondel. Auch seine Kollegen haben nicht mehr Aufträge. Die restliche Zeit sind sie mit Reparaturarbeiten und Ausbesserungen beschäftigt.

Woran erkennt man nun aber eine echte venezianische Gondel? Roberto zögert mit der Antwort und streicht mit der Handfläche sanft über den Korpus eines in seiner Werkstatt zur Reparatur liegenden Bootes. Ist es das Holz, das den Unterschied ausmacht? Der Venezianer nickt: „Eine richtige Gondel wird traditionell aus neun verschiedenen Holzarten gefertigt.“ Nach den Eigenschaften des Holzes richte sich die Verwendung. „Die Außenwände sind aus robuster Eiche, dagegen verwenden wir für Dekorarbeiten das weichere und daher leichter zu bearbeitende Holz des Kirschbaums“, erklärt Tramontin. Außerdem kommen zum Beispiel auch Nussbaum, Ulme, Lärche, Mahagoni und Tanne zum Einsatz.

Eine echte venezianische Gondel wird aus 280 Bestandteilen regelrecht komponiert. „Zehn Jahre sollte sie mindestens halten, aber man muss ihren schwarzen Rumpf alle zwei Jahre streichen“ – natürlich mit einer Spezialfarbe. Roberto braucht rund zwei Monate für den Bau einer zwischen zehn und zwölf Meter langen Gondel. „Gelernt hab ich das Handwerk von meinem Großvater.“ Dieser Domenico Tramontin war ein berühmter Mann im Gondelbau. Ende des 19. Jahrhundert hat er die Gondel in ihrer heutigen Form geschaffen.

Die asymmetrisch-schiefe Form, die ein wenig an eine Banane erinnert, ist tatsächlich ein geniale Erfindung. Seitdem wird die gesamte linke Hälfte der Gondel ein paar Zentimeter länger und etwas höher gebaut als die rechte. So können die Boote nun von nur einem Gondoliere, der auf dieser linken Seite steht und rechts rudert, problemlos geradeaus bewegt werden – auch mit vielen Passagieren.

An dieser charakteristischen und höchst funktionalen Form wird sich auf absehbare Zeit kaum etwas ändern. Damit aber auch die traditionellen Handwerkstechniken rund um den Gondelbau erhalten und weitergegeben werden können, hat sich Roberto Tramontin zusammen mit einigen Mitstreitern vor ein paar Jahren zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen. Unter dem Namen El Fèlze, der historischen Bezeichnung für einen überdachten Aufbau, den es noch bis vor wenigen Jahrzehnten auf den Gondeln gegeben hat, sind Handwerker aus zehn verschiedenen Berufen organisiert. „Das Traditionsgefüge um dieses unvergleichliche Boot ist eben sehr komplex“, sagt Roberto und deutet dann auf das Haus auf der anderen Seite der Gasse.

„Laboratorio di restauro Mason“ steht an der Tür. Roberto klopft, und eine jüngere Frau im Malerkittel öffnet. Es ist zwar kurz vor der Mittagszeit, aber für ein paar Worte über ihre Arbeit nimmt sich Elisabetta Mason Zeit. Sie ist Restauratorin und übt auch das heute seltene Handwerk des Vergoldens aus. Die von Schnitzern angefertigten Schmuckelemente wie Blätterranken, Wappen und gelegentlich auch figurativen Elemente wie Putti überzieht Elisabetta, die ihr Handwerk beim Vater gelernt hat, mit einer Blattgoldschicht. „Vorher muss ich aber mit einer besonderen Grundierung arbeiten“, verrät die Vergolderin, „weil das Blattgold ja mit salzhaltigem Wasser in Berührung kommt.“ Um noch mehr über den traditionellen Gondelbau zu erfahren, empfiehlt Elisabetta einen Besuch bei Saverio Pastor. „Der macht nicht nur wunderschöne Rudergabeln, Saverio ist auch Präsident von El Fèlze.“

Wenige Schritte sind es von Elisabettas und Robertos Werkstätten zu den Zattere, dem breiten Promenierufer der Venezianer in Dorsoduros Süden. Auch auf dem breiten Canale della Guidecca sind Gondeln unterwegs. Der Gondoliere muss hier mit besonderem Geschick rudern, da – neben Frachtkähnen, Wassertaxis und Sportbooten – zudem die Autofähren zur Lido-Insel auf dieser Wasserstraße verkehren. Daher ist der Wellengang mitunter beträchtlich.

Saverio Pastors Werkstatt liegt an einem schmalen, schnurgeraden Kanal. Eine wie ein Denkmal vor dem Eingang stehende Rudergabel einer Gondel, die Forcola, zeigt: Hier muss es sein. Die Türen stehen offen. Der Meister arbeitet konzentriert an einem mittelgroßen Holzblock. Immer wieder führt er den gekrümmten Hobel ins Holz, um die Vertiefungen abzurunden, in die der Gondoliere später das Ruder legen wird. Zwischendurch fährt Saverio mehrmals mit der Handfläche ganz bedächtig die Rundungen nach, um die Glätte zu prüfen.

„Die Forcola ist das Herzstück der Gondel“, sagt der eher wortkarge Venezianer, der lieber seine Handwerkskunst sprechen lässt. Die fertige Rudergabel, die Saverio traditionell aus Nussbaum herstellt, hat mehrere Ausbuchtungen für die verschiedensten Ruderbewegungen, die nötig sind, um die Gondel zu manövrieren. Der Handwerker fertigt auch die Ruder an – und demonstriert das Steuern. Auch das ist eine Kunst.

Bei Saverio Pastor kann man die faszinierende Rudergabel, die auch als skulpturales Objekt ihren Reiz hat, als Souvenir in diversen Größen kaufen. „Mein kleiner Beitrag, den traditionellen Gondelbau weltweit bekannt zu machen“, sagt der stille Meister der Forcola schmunzelnd. Und was sind seine Aufgaben als Präsident von El Fèlze? Da winkt er ab, einer müsse den Job doch machen. „Das Wichtigste ist, dass wir unser Nachwuchsproblem lösen, in dem wir über die Schönheit und die Bedeutung unserer Tätigkeit informieren – nicht nur in Venedig.“

Auch Schmiede und Messing-Handwerker, die das markante Bug-Eisen und die Beschläge herstellen, Graveure für das Schnitzwerk und Polsterer für komfortables Sitzen sowie Schneider, Schuh- und Hutmacher, die den Gondoliere ausstatten, sind in El Fèlze organisiert. Wer diesen Spuren folgt, lernt nicht nur lebendige Handwerkstraditionen kennen, er blickt auch tief in die Geschichte Venedigs und entdeckt die Stadt von einer Seite, die dem normalen Touristen eher verschlossen bleibt.

Ulrich Traub

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