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Bescheidene Ansprüche. Ostseeurlauber sind genügsam. Einen Strandkorb mit Sandwall drumherum, das macht viele schon glücklich.

© Michael Bahlo/dpa

Wettstreit um Urlauber: Die neue Klassengesellschaft

Jeder nach seiner Fasson: Mit immer spezielleren Angeboten wollen Veranstalter jeder Zielgruppe gerecht werden.

Classic, Nature, Beach, Scene, Premium, Family, Balance, Vital: Das ist nur eine kleine Auswahl der Kategorien, in die Touristiker derzeit die Urlauber einordnen. „Das Produkt-Reise wird immer zielgruppenspezifischer“, sagt Sibylle Zeuch vom Deutschen Reiseverband (DRV). Das schlägt sich in neuen Hotelkonzepten und in den Katalogen nieder.

Den Auftakt machte im vergangenen Jahr Thomas Cook mit seinen „Erlebniswelten“. Familywelt, Balancewelt, Vitalwelt, Sportwelt, XPeriencewelt lauten die Titel. Im Katalog finden sich zu den einzelnen Kategorien geeignete Hotels. Tui hat nun nachgezogen und noch zwei Welten mehr für seine „Reisewelten“ obendrauf gepackt: Classic, Beach, Nature, Scene, Lifestyle, Premium und Vital heißen hier die Labels.

Die Rewe-Pauschaltouristikmarken arbeiten zwar noch nicht mit dem Weltenkonzept. Doch ITS bringt für den kommenden Sommer erstmals einen eigenen Familienkatalog mit rund 120 Hotels heraus. Jahn Reisen hat eine Produktlinie für Familien aufgelegt – neben Wellness und Select.

„Wirklich neu ist der Trend eigentlich nicht“, gibt Ulf Sonntag vom Institut für Tourismus und Bäderforschung in Nordeuropa in Kiel zu bedenken. „Es gibt aber einen Trend, es verstärkt bei der Kundenansprache zu nutzen.“ Ein Weg dabei seien Labels in Katalogen wie „grüner Urlaub“ oder „Familie“, ein anderer Weg, in Anzeigen eine bestimmte Tonalität zu treffen.

Dabei arbeiten die Reiseveranstalter immer häufiger auch mit wissenschaftlichen Methoden. Allen voran die sogenannte Sinus-Studie erfreut sich dabei großer Beliebtheit. Anhand soziokultureller Milieus erforschen die Touristiker, ob sie für alle relevanten Zielgruppen passende Angebote haben. Auch in der Werbung für Reisen ist der Sinus-Ansatz weit verbreitet. „Wie muss ich welche Zielgruppe ansprechen, damit sie bei mir ihren Urlaub bucht?“, nennt Sonntag die wichtigste Frage.

Ein reiner Werbegag also? Oder haben die Themenwelten und Labels einen Nutzen für den Kunden? „Urlauber profitieren gleich mehrfach“, ist Oliver Dörschuck, Touristikchef bei Tui, überzeugt. Erstens fänden Kunden darin nur die besten Hotels mit hohen Qualitätsstandards. Denn die darin aufgenommenen Hotels müssten harte Auswahlkriterien erfüllen. Zum anderen könne sich der Urlauber zielsicher an der Fülle der Angebote orientieren und das passende Hotel finden, ohne sich durch den Dschungel zahlloser Angebote zu kämpfen.

Orientierung ist auch für DRV-Sprecherin Zeuch der wichtigste Vorteil: „Die Urlauber fragen auf jeden Fall immer stärker nach solchen Angeboten. Sie wollen in einem Land genau das Hotel finden, das ihre Bedürfnisse am besten erfüllt.“ Das sieht Rewe-Pauschaltouristik-Sprecher Christian Weßels ähnlich: „Orientierung für Kunden ist immer wichtiger in Zeiten einer immer größeren Informationsflut.“ Aber die Reiseveranstalter machen keinen Hehl daraus, dass die neuen Produktwelten auch den Unternehmen einen deutlichen Vorteil bringen: „Die Veranstalter wollen sich mit solchen Angeboten immer deutlicher im Wettbewerb positionieren“, sagt Zeuch.

Reiseveranstalter wollen gute Hotels exklusiv bekommen

Mathias Brandes, Sprecher von Thomas Cook/Neckermann, formuliert es so: „Wir wollen beim Kunden eine Bindung erzeugen, um aus dem Preiswettbewerb herauszukommen. Wenn ein Hotel von allen angeboten wird, ist nur der Preis das Entscheidungskriterium.“ Am Markt müssen die Reiseveranstalter mit ihren Welten offenbar noch Überzeugungsarbeit leisten. Laut einer Umfrage der Fachzeitschrift „Travel one“ finden nur 22 Prozent der Reisebüro-Mitarbeiter die thematisch orientierte Kundenansprache sinnvoll – 78 Prozent sind eher skeptisch.

Kein Wunder, steckt hinter den neuen Produktwelten doch auch ein erster Ansatz, um das alte Destinationsprinzip aufzubrechen. Bisher entschieden sich die Urlauber erst für eine Region, gingen dann ins Reisebüro und besorgten sich den entsprechenden Katalog. Die Tui-Billigmarke 1-2-fly bricht mit dieser Tradition im kommenden Sommer erstmals. Der Veranstalter bringt nur noch Zielgruppenkataloge heraus. „Fly4Family“ richtet sich an Familien, „Fly2Relax“ an Singles und Paare, „Fly4Friends“ an Spaß- und Aktivurlauber. Von den großen Veranstaltern hat sich laut Sibylle Zeuch dennoch bislang keiner grundsätzlich von der klassischen Einteilung der Kataloge in Zielregionen getrennt.

Verbunden mit der immer stärkeren Zielgruppenansprache ist auch der Trend zu immer mehr exklusiv angebotenen Hotels oder gar eigenen Hotelmarken. Diese sind meist die Aushängeschilder der Themenwelten. Kein Wunder: Kann ein Hotel, das alle im Angebot haben, doch lange nicht so genau auf die Bedürfnisse der einzelnen Zielgruppen zugeschnitten werden. Marktführer Tui hat hier zahlenmäßig die Nase vorn. Im kommenden Sommer stocken die Hannoveraner ihr Angebot um 30 000 exklusiv angebotene Betten auf 150 000 auf. Derzeit übernachten rund 60 Prozent der Tui-Gäste in Hotels, die im deutschen Markt von niemand anderem angeboten werden. Bis 2015 soll diese Zahl nach dem Willen des neuen Tui-Deutschland-Chefs Christian Clemens auf 80 Prozent steigen.

Thomas Cook und Neckermann haben derzeit 34 000 exklusiv buchbare Betten im Angebot. Alltours kommt auf 36 000 – elf Prozent mehr als im Vorjahr. „Wir werden den Exklusivanteil weiter ausbauen“, erklärte Firmenchef Willi Verhuven. Und auch Brandes verspricht: „Gute Hotels versuchen wir weiterhin, exklusiv zu bekommen.“ Wer in einem exklusiv von Tui oder Thomas Cook angebotenen Hotel übernachtet, darf sich dennoch nicht wundern, wenn er mit Briten, Italienern oder Russen im Frühstückssaal sitzt. Denn das „exklusiv“ versteht sich nur für den deutschen Markt. In anderen Ländern sind unter Umständen andere Reiseveranstalter im Spiel – auch wenn bei vielen Hotels die großen Reisekonzerne versuchen, die Betten zusammen mit ihren Schwesterfirmen in anderen Ländern zu füllen.

Wer sichergehen möchte, dass er nur mit Gästen aus dem deutschsprachigen Raum am Pool liegt, muss bei den veranstaltereigenen Hotels buchen. Auch hier ist Expansion angesagt: 90 eigene Konzepthotels hat Tui im Portfolio – von Sensimar über Puravida bis hin zu Viverde. Thomas Cook stockt im kommenden Sommer bei seinen Sentido-Hotels von 31 auf 44 auf – und richtet diese stärker auf die Zielgruppen aus: sechs speziell für Familien, sieben ausschließlich für Erwachsene. Bei Alltours gibt es die Allsun-Häuser, bei denen Firmenchef Verhuven schon mal persönlich die Farbe der Sofas wählt. (dpa)

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