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Peter Rabbit ist im Lake District allgegenwärtig.

© Alamy Stock Photo/Mauritius

Zum 150. Geburtstag von Beatrix Potter: Auf Hasenjagd im Lake District

Sie hat 40 Millionen Bücher verkauft – und mit ihrem Geld ganze Landstriche gerettet. Zum 150. Geburtstag der Kinderbuchautorin Beatrix Potter unterwegs im nassesten Teil der Insel.

Ich hab es nicht übers Herz gebracht. Butterzart!, seufzt mein Tischnachbar und beißt unerbittlich zu. Nein, ich konnte den Lammrücken nicht bestellen. Nicht, nachdem wir den halben Tag durch Berg und Tal gefahren waren, über atemberaubend steile, schmale Straßen, an Weiden voller Schafe vorbei, von denen einige – wenige – schon entbunden hatten. Wie die Babys sich an die Mütter schmiegten, kleine schwarze Flecken in der Landschaft: Herdwicks, eine Spezialität des Lake Districts. Dunkel kommen sie auf die Welt, erbleichen erst im Laufe der Jahre. Selbst dann erkennt man die robusten Tiere gleich – stämmige Beine, die Hörner der Böcke zu Schnecken gekringelt, zotteliges Fell. Die grobe, raue Wolle wird vorzugsweise in Teppichen verwebt.

Beatrix Potter hat das nicht gekratzt. Ein bisschen rau und zäh war sie selber. Ob es um Bücher, Häuser, Tiere oder Männer ging, Potter wusste, was sie wollte. Und kriegte es auch. Sternzeichen: Löwe. Am 28. Juli jährt sich ihr Geburtstag zum 150. Mal.

Ferkel Fried trägt Schlips zum weißen Kragen

Ihre Figuren zog die Künstlerin fein an. Peter Rabbit bekam ein himmelblaues Jäckchen verpasst, der Fuchs trug fesche rote Weste, Ferkel Fried gar Schlips zum weißen Kragen. Sie selber bevorzugte schwere, unförmige Kostüme aus dem Tweed ihrer Schafe. Schließlich war sie inzwischen Farmerin und Züchterin, die mit ihren Herdwicks Preise gewann; als erste Frau wurde sie zur Präsidentin des Züchterverbandes der uralten, immer wieder vom Aussterben bedrohten Rasse ernannt. London hatte sie weit hinter sich gelassen. Die Stadt hat sie gehasst.

Hill Top in Near Sawrey war die erste Farm, die die Geschichtenerzählerin 1905 kaufte. Mit selbst verdientem Geld. 1902 war „Peter Rabbit“ („Peter Hase“) erschienen, zwei Jahre später waren 50 000 Exemplare verkauft. Winzig waren ihre 23 Büchlein, 12,2 mal 9,2 Zentimeter, riesig der Erfolg: Über 40 Millionen soll die Gesamtauflage heute betragen.

Sie leistete ihrem Häuschen Gesellschaft

Das fast unscheinbare Haus von anno 1750 war ihr Paradies, ihre Freiheit. Hierher floh sie, so oft sie konnte, vor den strengen Eltern, bei denen sie, als alleinstehende Dame aus wohlhabendem Hause, noch als Erwachsene leben musste. Hier tröstete sie sich, als ihr Verlobter plötzlich starb, hier schrieb und malte sie Mäuse, Katzen, Schweine, erlernte nebenbei die Landwirtschaft. Selbst als sie dann mit Ende 40 gegen den Willen ihrer Eltern ihren Anwalt heiratete – zu spät, um Kinder zu kriegen, früh genug für 30 glückliche Ehejahre –, und mit ihm in ein anderes Cottage im Dorf einzog, kehrte sie als Mrs. Heelis jeden Tag zurück, um ihrem alten Häuschen Gesellschaft zu leisten, wie sie es nannte.

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Seit 70 Jahren ist Hill Top Museum des National Trust. Heute quetschen sich die Fans, darunter viele Japaner, durch die puppenstubengroßen Räume. Die Besucher fühlen sich ganz wie zu Hause. Den Kamin kennen sie doch, aus „Samuel Whiskers“! Und: „Guck mal, das Buffet!“ Der Cottage-Garten ist ihnen aus „Jemima Puddle-Duck“ bestens vertraut. Die Leute laufen durch ihre Kindheit.

Hinterm Haus liegt der Friedhof. Als Beatrix Potter am 22. Dezember 1943 in Sawrey starb, verstreute ihr Lieblingsschäfer auf ihren Wunsch die Asche auf dem Hügel hinter Hill Top.

Wordsworth war von den Osterglocken ganz verzückt

Beatrix Potter vor ihrer geliebten Hill Top Farm.
Beatrix Potter vor ihrer geliebten Hill Top Farm.

© IMAGO

Die Dorfbewohner sollen ganz scharf darauf gewesen sein, in Potters Büchlein verewigt zu werden. Was nicht ohne Risiko war, denn Potter zeichnete gern Tiere von recht geringem Verstand. Jemima Puddle-Duck etwa sucht sich ausgerechnet das Haus des Fuchses aus, um endlich in Ruhe ihre Eier auszubrüten. Kommen Sie, raunt mir der junge National Trust-Freiwillige zu, ich zeige Ihnen Jemimas Ei. Unter Rhabarberlättern liegt ein dickes Entenei nur halb verborgen.

Der Lake District kann mit vielen Superlativen prahlen. Zum Beispiel, die nasseste Gegend im ganzen Land zu sein. Auch wenn an diesem Märznachmittag unverhofft der Himmel aufbricht – nirgendwo fällt so viel Regen wie hier. Was Wanderer, Mountainbiker und Paddler nicht weiter zu stören scheint. Hier findet man auch den längsten natürlichen See im ganzen Land, den langgestreckten Windermere, das Zentrum von Potterland. Auf den Gipfeln von Englands höchsten Bergen, auf knapp 1000 Metern, liegt jetzt noch Schnee. Selbst in den Ebenen sind die Bäume ganz nackt.

Umso größer die Freude über die leuchtenden Osterglocken am Wegesrand. Noch eine Sehenswürdigkeit des Lake Districts: William Wordsworth hat sie in einem Gedicht, das jedes Schulkind auswendig kennt, bejauchzt. Darin lässt sich der einsame Wanderer („I wandered lonely as a cloud“) von den im Wind tanzenden, funkelnden Narzissen verzücken. Und zehrt später, auf dem Sofa sinnierend, noch von dieser Erinnerung: „And then my heart with pleasure fills/And dances with the daffodils.“

1600 Hektar vermachte sie dem National Trust

Das nennt man Nachhaltigkeit. Um die sich auch Beatrix Potter kümmerte. Seit 1951 ist der Lake District Nationalpark. Sie war es, die die Grundlage dafür schuf, die Farmen kaufte, deren Besitzer aufgeben wollten, und Ländereien. Alles, um die Landwirtschaft und damit die Landschaft zu schützen. Denn der drohte Gefahr: von kommerzieller Forstwirtschaft, von Wasserflugzeugen, Investoren. Fast ihren ganzen Besitz, 15 Farmen, etliche Cottages und 1600 Hektar Land, vermachte Potter dem National Trust, mit dem sie schon zu Lebzeiten kooperierte.

New Seary, ihr Heimatdorf, das ihr am Ende zu 60 Prozent gehörte, ist ein für den dramatischen Lake District überraschend idyllisch zwischen Hügeln gelegenes Dorf mit weißen Cottages, Ferienhäuschen und B&Bs. Der Dorfladen ist längst verschwunden. Geblieben ist der freundliche Pub nebenan, in dem man heute weit besser als zu Potters Zeiten essen kann. Zum Lunch wird im Tower Bank Arms eine wunderbare Käseplatte serviert, zum Nachtisch gibt’s zarte, warme Scones mit Clotted Cream.

Die geschäftsuntüchtigsten Ladenbesitzer

Und doch existiert der Dorfladen noch – mit ihrer Geschichte von „Ginger und Pickles“ hat Potter ihm ein Denkmal gesetzt. Wobei der Kater und der Terrier die wohl geschäftsuntüchtigsten Ladenbesitzer der Bilderbuchgeschichte sind; ihren Kunden gewähren sie so lange unbegrenzt Kredit, bis sie selber pleite sind. Das Gegenteil von Miss Potter, einer frühen Meisterin des Merchandisings. Malbücher, Teetassen, Kinderzimmertapeten, Spiele hat sie entworfen. War ja für einen guten Zweck: den Lake District zu retten.

16 Millionen Besucher im Jahr, bei 43 000 Bewohner – einen Geheimtipp kann man den Lake District schon lange nicht mehr nennen. William Wordsworth himself schrieb 1810 einen der ersten Reiseführer, ein Instant-Hit. Der Dichter ging in Hawkshead zur Schule, ein Bilderbuchort, schiefe alte Häuser, Kopfsteinpflaster, Tearooms und ein einziger Rabbit & Co-Andenkenladen. Vor den Pubs sitzen die Wanderer, tanken Bier und erste Sonnenstrahlen. Die einstige Anwaltskanzlei von Potters Ehemann dient heute als Beatrix-Potter-Galerie. In der Jubiläumsausstellung wird – zum ersten Mal!, wie die National Trust-Mitarbeiterin strahlend erzählt – das Fell von Potters Kaninchen Benjamin Bouncer gezeigt, dem Vorbild von Benjamin Bunny.

Wordsworth war Romantiker. Potter Realistin. Ein halbes Jahrhundert später geboren, wäre sie vermutlich Biologin geworden. Ihr Spezialgebiet: Pilze. Ihre minutiösen Zeichnungen und wissenschaftlichen Studien zur Sporenbildung sind in der Armitt Library in Ambleside zu sehen, ein kleines Museum mit großen Schätzen, darunter zahlreiche Arbeiten von Kurt Schwitters. Der deutsche Dadaist war nach England ins Exil gegangen und 1945 nach Ambleside gezogen, wo er drei Jahre später verarmt starb.

Vater Hase landete im Pie

Herdwick-Schafe vor der Yew Tree Farm
Herdwick-Schafe vor der Yew Tree Farm

© Paul Harris/National Trust

Auch Beatrix Potter kam in jungen Jahren als Urlauberin in die Gegend. Zur Schule gehen durfte die höhere Tochter nicht, Gouvernanten übernahmen den Unterricht. Sie las viel, Märchen, Edward Lears Nonsense-Verse, „Alice im Wunderland“, und malte, malte, malte. Am liebsten die Gefährten, die ihr die Freunde ersetzten: Molche, Mäuse, Frösche, Fledermäuse, Eidechsen, ihr Kaninchen Peter Piper, Vorbild für Peter Rabbit. Wenn ein Tier starb, hat sie es schon mal ausgekocht, um das Skelett zu studieren.

Ihre lebendige Darstellung der tierischen Wesen in Menschenkleidung ist einer der Gründe für den anhaltenden Erfolg der Klassiker. Dazu kommen die einfache Sprache, die sie an der Bibel und Shakespeare schulte, der trockene bis schwarze Humor, der fehlende erhobene Zeigefinger, die zum Teil rebellischen, zum Teil blöden Figuren. In ihrem Realismus ist Potter gnadenlos. So warnt Mutter Hase ihren Peter, bloß nicht in Nachbars Garten zu spazieren, da habe es nämlich einen Unfall gegeben. Vater Hase war im Pie von Mrs. McGregor gelandet.

Eine Playmobil-Burg aus Stein

Ihre Menagerie durfte die junge Beatrix in die monatelangen Sommerferien mitnehmen. Ein Schloss, Wray, war das erste Ferienhaus der Familie im Lake District. Hier freundete die 16-Jährige sich mit Hardwick Rawnsley an, einem linken Pfarrer, später Mitbegründer des National Trusts, der ihre Liebe zur Landschaft der Lakes entscheidend prägte.

Wray Castle mit seinen Türmen und Zinnen und Radio- und Handymasten sieht aus wie eine Playmobil-Burg aus Stein. Erbaut von einem viktorianischen Rentnerpaar aus Liverpool, diente es im Laufe der Zeit als Jugendherberge, Bürohaus und fünf Jahrzehnte lang als Ausbildungs- und Wohnstätte der Handelsmarine. Eigentlich sollte es zum Hotel umgewandelt werden, dann kam die Wirtschaftskrise dazwischen. Also öffnete der National Trust es 2012 probeweise Besuchern, mit solchem Erfolg, dass man jetzt weiter, mit Pfiff und wenig Geld, improvisiert. Die Burg ist eine große, entspannte Spielwiese für Kinder und Erwachsene, aus dem Dienstbotenflügel wurde ein ganzes „Peter Rabbit Adventure“ , man kann sich lümmeln, Fotos von Potter betrachten, wie sie als junge Dame ihr Kaninchen an der Leine spazieren führt, und die unglaubliche Aussicht auf den Windermere-See genießen.

Hammelfleisch essen für einen guten Zweck

Auf dessen anderer Seite liegt das Lindeth Howe Country House Hotel, wo man das erwähnte butterzarte Lamm und andere Köstlichkeiten serviert, und das Potter natürlich auch mal gehört hatte. Was nicht. Auch die Yew Tree Farm hatte sie gekauft, um sie vor Investoren zu schützen. In dem leider unfassbar schlechten Film „Miss Potter“ mit Renée Zellwegger diente das weiße Bauernhaus als Double für Hill Top. Auf der Farm kann man zwischen Potter-Möbeln übernachten und hoch gelobtes Herdwick-Lamm-, ja, sogar Hammelfleisch kaufen. Das sollte man auch. Denn damit, erklärt ein Schild, helfe man der bedrohten Rasse, die ihrerseits die alte Landschaft pflegt. Bon appétit!

Wo ist Peter Rabbit?

Der Lake District
Der Lake District

© Schill/Tsp

Anreise

Easy Jet fliegt von Berlin direkt nach Manchester (ab 50 Euro).

Übernachten

Im Lindeth Howe Country House Hotel hat einst Beatrix Potters Mutter im Alter residiert. Lindeth Drive, Bowness-on-Windermere, Cumbria LA23 3JF, Doppelzimmer ab £132 (lindeth-howe.co.uk).

Auf der Yew Tree Farm in Coniston, Cumbria, LA21 8DP kann man als Selbstversorger-Hasenfan zwischen Original-Potter-Möbeln und Schnickschnack Urlaub machen, eine Woche je nach Saison £400-£1200 (yewtree-farm.com).

Sehenswürdigkeiten

Hill Top Farm, Near Sawrey, Hawkshead, Ambleside, Cumbria LA22 0LF (nationaltrust.org.uk/hill-top)

In der Beatrix Potter Gallery, Main Street, Hawkshead, Cumbria LA22 0NS (nationaltrust.org.uk/beatrix-potter-gallery) sind ihre Aquarelle und das Kaninchenfell zu sehen.

Vor allem für Familien zu empfehlen: Wray Castle, Low Wray, Ambleside, Cumbria LA22 0JA (nationaltrust.org.uk/wray-castle) und „The World of Beatrix Potter Attraction“, eine Art Indoor-Vergnügungspark mit Hase, Ente & Co. Das Unternehmen bringt im Juni ein musikalisches Spektakel heraus, „Where is Peter Rabbit?“, zu dem der Dramatiker Alan Ayckbourn die Verse schrieb.

Touren
Das Reiseunternehmen „Mountain Goat“ bietet knapp fünfstündige Rundreisen auf den Spuren der Schriftstellerin im Minibus an, ab £30 (mountain-goat.co.uk).

Lektüre

Vor kurzem erschien eine neue Potter-Gesamtausgabe in neuer Übersetzung im Anaconda Verlag: „Sämtliche Geschichten von Peter Hase

und seinen Freunden“.

Ihr Tagebuch 1881-97 gibt es als Insel-Taschenbuch („Meine Geschichte“).

James Rebanks’ Bestseller „Mein Leben als Schäfer“ im Lake District kommt Anfang Mai bei Bertelsmann heraus.

Informationen

visitbritain.com

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