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Es ist gar nicht so lange her, wie es sich anfühlt, dass man mit Filmdosen, Telefonkarten und Faltplänen reiste.

© Lionel Gustave

Reisen in den 90ern: So aufregend waren Ferien früher

„Hallo, wir sind gut angek…“ Dann brach die Verbindung ab. Urlaub – vor 25 Jahren ein echtes Abenteuer.

Kiloschwere Reiselektüre

Der Spanien-Katalog war etwa so dick wie ein Berliner Telefonbuch. Vier bis fünf solcher Wälzer gab’s im Reisebüro – zum Mitnehmen im Neckermann-Jutebeutel. Vorm Drin-Schmökern und Auswählen auf dem Sofa stand immer erst das Symbole-Lernen – auf der Vokabel-Seite, meist gleich auf den ersten Seiten im Katalog: Was bedeuten noch mal zwei Sonnen, eine durchgestrichene Dusche und der eingeklammerte Hund?

Rosa Flugtickets

Zur Buchung wieder zurück ins Reisebüro. Mit den Unterlagen vom Umfang einer Gerichtsakte lagen Wochen später auch die Flugtickets im Briefkasten. Längliche Papierstreifen mit unendlich vielen Durchschlägen, die Tickets waren ja quietschbunt und von wächsernem lila Tintenstrahldruck auf rosafarbenen und beigen Feldern mit seltsamen Krypto-Kürzeln versehen. Hatte man das Ticket verloren, war quasi auch die Reise weg. Neuausstellung? Ganz schwierig.

Begrenzte Musikauswahl

Kein Urlaub ohne Lieblingsmusik. Ob Gregorianische Choräle, Smooth-Jazz oder Elektrobeats – heute ist praktisch jeder weltweit aufgenommene Ton übers Smartphone verfügbar. Damals musste der Discman mit, eine Abspiel-Brotdose, hinter deren (meist zerkratztem) Fenster eine CD kreiselte. Was vor jedem Urlaub aufs Neue die schwierige Insel-Frage aufwarf: Welche 20 CDs aus der heimischen Sammlung dürfen mit?

Winziges Bordkino

Der Runterklappbildschirm im Flieger hing immer zehn Reihen weiter vorn, war kaum größer als heutige Tablets. Und so wurde jedes Bordkino zum TV-Quiz: Läuft da jetzt „Forrest Gump“, „Rain Man“ oder doch „Mission Impossible“?

Verqualmter Flieger

Der Vorhang war wohl eher ein Zeichen des guten Willens. Lediglich ein Stück Stoff trennte die Raucher von den Nichtrauchern, was effektiv gar nichts brachte. Gepafft wurde an Bord kräftig. Schon kurz nach dem Start konnten Passagiere durch den blauen Qualm kaum noch drei Reihen weit blicken. Geschweige denn das Bordkino sehen. Die Aschenbecher in der Bordtoilette und den Armlehnen sind bis heute geblieben, dürfen aber längst nicht mehr benutzt werden.

Voller Film

36 Bilder pro Filmrolle, Profis holten 38 raus, klemmten sie kürzer als empfohlen in die Plastiknasen des Transportrades der Analogkamera. Selfies? Pure Verschwendung! Einfach draufgehalten wurde auch nicht, sondern gut überlegt, wie man den Eiffelturm nun knipst. Und wenn’s doch mal ein Schnappschuss sein sollte, war der Film garantiert alle. Nach dem Urlaub dann zwei Wochen warten, bis die Bilder entwickelt waren. Kundenorientierte Drogisten nahmen entwickelte Fotos, „die nichts geworden waren“, gnädig zurück.

Getrennte Verbindung

Whatsapp schon aus dem gerade gelandeten Flieger? Ging vor 25 Jahren nicht. Also Schlange stehen und dann rein in eine dieser meist offenen Telefonzellen. Inmitten von Roms Soundtrack aus Vespa-Gehupe, Straßenpalaver und Polizeisirenengeheul reichte es leider nur für „Hallo, wir sind …“, weil dann das Kleingeld durchfiel und das Gespräch abriss. Weitere Versuche scheiterten am Operator, der verbinden sollte, aber überhaupt nicht verbindlich war, sowie schließlich am völlig unverständlichen Anleitungs-Kauderwelsch auf der endlich gekauften Telefonkarte.

Abenteuerliches Amerika

„Echt, so weit wart ihr weg?“ Um sich heute mit dieser neidisch-anerkennenden Frage von Freunden als Power-Offroad-Marco-Polo geadelt fühlen zu können, muss man mindestens im Heißluftballon über die Innere Mongolei gefahren oder in der Antarktis zur Neumayer-Station getrampt sein. Vor 25 Jahren reichten noch die USA. Jedenfalls alles, was abseits von New York und Los Angeles liegt. Und wer damals nicht gerade nach Mallorca, Rimini oder an die Costa Brava flog, konnte schon mit europäischen Zielen punkten.

Baumelnde Reisekasse

Kreditkarten hatten nur Geschäftsleute, und man bekam sie auch nicht alle zehn Meter im Flughafen aufgedrängt. Man tourte daher als wandelnde Notenbank durch die Lande – mit D-Mark, Schilling und Lira, alles mit Büroklammern gebündelt und vor Dieben sicher verstaut im Brustbeutel. Speckig war er, aus beigem Leder und baumelte an einer ebensolchen Kordel um den Hals. Eiserne Reserve darin: Traveller’s Cheques. Künstlerisch aufwendig gestaltete Papiere, etwas kleiner als Geldscheine, mit einem Feld zum Unterschreiben: In Italiens Banca Risparmo etwa, dort selbst mit schweißnassen Händen und Puddingknien darauf hoffend, dass der Krawattennadelträger hinter dem Panzerglas das Papier in Berge von Lira eintauschen möge.

Gestrige Nachrichten

Schumi wurde Formel-1-Weltmeister? Erich Honecker verhaftet? Nachrichten, die heute binnen Sekunden im Handydisplay aufpoppen würden. Damals bekam man auf Fernreisen gar nichts und in europäischen Nachbarländern fast nichts davon mit. Mit Glück klemmte im Kioskständer eine vergilbte, tagealte Zeitung, meist jedoch nur die „Bild“. News-Junkies mussten schon mit dem nötigen Fingerspitzengefühl die Deutsche Welle im Radio so einstellen, dass wenigstens deren Nachrichten einigermaßen rauschfrei zu verstehen waren.

Faltbares Navi

Bis zur Abfahrt lief es meist problemlos, es sei denn, man verhedderte sich im bandsalatähnlichen Wirrwarr der NRW-Autobahnen. Die wahre Herausforderung begann stets kurz hinterm Ortseingangsschild: Die Beifahrerin nestelte den gut zehn Jahre alten Stadtplan aus dem Handschuhfach. Oft der Falk-Plan, der aus gutem Grund nicht Falt-Plan hieß, da er sich praktisch nie wie gedacht knicken ließ. Was ja meist eine Ursache war für das dann folgende Beziehungsdrama: Ganz auseinandergefaltet, nahm die Beifahrerin dem Fahrer kurz die Sicht, vermochte es aber nicht, den Plan zügig wieder so zusammenzufalten, dass sie den Weg darauf finden konnte. „Hätten wir da nicht eben links gemusst?“, fragte nun genervt der Fahrer, der sich vorher keinen Deut mit der Strecke befasst hatte. Schweigen auf dem Beifahrersitz. Daraufhin der Fahrer: „Du hältst den Plan übrigens verkehrtherum.“ Meist reichte dieser Satz schon für einen Zoff und die Forderung vom Beifahrersitz: „Dein oller Falsch-Plan stimmt nicht mehr.“

Lasche Kontrollen

Vor 9/11 war es fast so entspannt wie im Loriot-Sketch aus den 70ern: Darin schlendert eine Schlange von Passagieren an einem Bundespolizisten vorüber, der jeden im Vorbeigehen nachlässig mit einem kreisförmigen Detektor absucht. Bei einem schwer bewaffneten Passagier piept der Detektor, und weil der stieselige Polizist gar nicht hinschaut, was der Passagier da an Handgranaten und Schießprügeln im Gürtel trägt, hält er den Detektor für defekt und bearbeitet ihn so lange, bis er Ruhe gibt. Ja, man bestieg ein Flugzeug ohne dass die Hose rutschte, denn Gürtel durften ebenso drinbleiben wie Shampoos und Parfums im Handgepäck. Niemand musste sich von oben bis unten befummeln und seinen Kofferinhalt durchwühlen lassen.

Schwimmende Freizeitparks

Schön, dass Kreuzfahrten demokratisiert und beim Discounter neben No-Name-Cola erhältlich sind. Die schwimmenden Hochhaussiedlungen fahren kreuz und quer über die Weltmeere, während ihre Bewohner in blubbernden Pools Pommes mit Caipi runterspülen, vom Schornstein aus Wasserrutschen-Gnubbel runterglitschen und gemäß Armbandfarbe exakt zwischen 18.45 und 19 Uhr zur Buffet-Fütterung erscheinen, gefolgt von der Abendshow im „Theatre Dome“. Nein, früher war nicht alles besser, aber Kreuzfahrten hatten Stil und ein Ziel: alle paar Tage den Hafen einer Stadt, für deren Besichtigung ausreichend Zeit im Reiseplan stand.

Geheime Geheimtipps

„Kaum zu finden, verschwiegen im Hinterhof, am Ende des Ortes.“ Oder: „Kommst du nie drauf, dass Antonio seine Trattoria in der alten Ziegelei hat.“ So klangen früher Geheimcodes für Empfehlungen von Restaurants, Bars und Kneipen. Weitergereicht an Freunde, die in denselben Urlaubsort wollten, aus dem man gerade zurückgekehrt war. „Antonio’s“ und andere versteckte Ecken standen in keinem Reiseführer – geschweige denn bei „Tripadvisor“ mit Sternchen als Schulnoten und Gastro-Beurteilungen von Gästen, die ein Haar in der Suppe fanden. Heute reicht es, einen Hashtag bei Instagram aufzurufen, um jedes Café und jeden Strand perfekt in Szene gesetzt anzuschauen. Weil ja niemand mehr das Problem hat, dass der Film voll ist.

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