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Samuel Finzi ist ein eher ruhiger Typ. Als er einmal seinen Vater imitiert, flüstert er nur noch.

© imago/Horst Galuschka

Samuel Finzi brüllt nur auf der Bühne: "Ich umarme Menschen immer sofort"

In seiner Heimat Bulgarien sind Männer Kavaliere. Also wollte Samuel Finzi auch den Berlinerinnen aus der Tram helfen. Da konnte er was erleben.

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Herr Finzi, in Ihrem neuen Film geht es um Männer, die versuchen, ihre Freundschaft wiederzubeleben. Sie nehmen Drogen, radeln in Strapsen bergan. Kommen Ihnen solche Schnapsideen bekannt vor?

Als ich vor vielen Jahren aus einer Bar in Sofia herauskam, war der gesamte Bürgersteig zugeparkt. Ich war so wütend, dass ich angefangen habe, auf den Dächern der Autos herumzulaufen – und ein paar Freunde haben mitgemacht. Oh, jetzt fällt mir noch eine schöne Geschichte ein. Ich weiß gar nicht, ob ich die erzählen darf.

Wir schweigen, Ehrenwort.
Als Heiner Müller 1995 starb, haben sich Dimiter Gotscheff und Johan Kresnik in der Kantine der Volksbühne wahnsinnig besoffen.

Zwei große Theaterregisseure, die ihre Trauer ertränkten.
Der Kresnik nimmt sich ein Messer und beginnt, sich die Adern durchzuschneiden. Gotscheff will natürlich nicht zurückstecken, zerschmettert eine Flasche und ritzt sich damit den Arm auf. Es fließt wahnsinnig viel Blut, schließlich ruft jemand den Krankenwagen, beide Männer stehen in der Notaufnahme, und Kresnik, der alte Kommunist, schreit: Ich muss zuerst, ich bin privatversichert! So erzählte Gotscheff die Geschichte.

Beide Künstler hat eine lange Freundschaft verbunden. Was ist der Kitt so einer Männerbeziehung?
Ha, wenn ich das wüsste! Ich habe Freunde aus meiner Kindheit in Sofia, wir haben einen gemeinsamen Code. Der Geschmack für bestimmte Dinge ist derselbe, die Erziehung ähnelt sich einigermaßen. Das wurde wahrscheinlich von den Eltern übertragen. Meine Mutter ist Musikerin, mein Vater Schauspieler, dementsprechend war der Freundeskreis. Aus deren Kindern wurden auch Künstler: Dirigent, Architekt, Jazz-Musiker.

Was hat Sie geeint?
Wir haben alle Jack Kerouac gelesen, „Der Fänger im Roggen“ von Salinger oder Tschechow-Erzählungen. Mit 15 haben wir uns Witze über das sozialistische System erzählt. Wir wussten, das ist alles eine Riesenscheiße, und die Regierung kann man nicht ernst nehmen.

Wovon haben Sie als Teenager geträumt?
Rauszukommen, zu reisen. Wir konnten nur in sozialistische Länder fahren. Meine erste Auslandsreise war mit elf Jahren nach Budapest. Mein Vater hat einen Film gedreht, bekam ein wenig Geld. In Ungarn gab es ein bisschen Kapitalismus. Wir konnten in guten Restaurants essen. Es gab Schallplatten von westlichen Bands, kleine Boutiquen, Konditoreien, das sah nach Westen aus.

Kuckuck! Der 50-Jährige bei der Verleihung des Deutschen Schauspielerpreises 2016 im Zoo Palast.
Kuckuck! Der 50-Jährige bei der Verleihung des Deutschen Schauspielerpreises 2016 im Zoo Palast.

© imago/Future Image

Was haben Sie sich mitgebracht?
Wenn ich mich nicht irre, habe ich mir Holzschuhe gekauft, diese holländischen Clocks. Die waren als Hippieschuhe gerade modern. Mit denen bin ich dann über die Pflastersteine in Sofia gelaufen, klack, klack, klack.

Spielte im Sozialismus eine Rolle, dass Ihre Familie jüdisch war?
Nein, es gab eine Synagoge, die war recht vernachlässigt, und ziemlich wenige Juden, vielleicht 5000 im ganzen Land. Die meisten sind nach dem Zweiten Weltkrieg ausgewandert, der israelische Staat und andere internationale Hilfsorganisationen haben sie 1947 abgekauft. Dimitroff...

... der kommunistische Regierungschef, der 1933 für den Reichstagsbrand in Berlin bei einem Schauprozess angeklagt wurde ...
... hat für jeden Juden 10 000 Dollar bekommen. Alle wollten sowieso raus. Mein Großvater wurde sehr krank, deshalb konnte die Familie nicht weg. Der Rest der Verwandtschaft ist ausgewandert und lebte in der ganzen Welt verstreut.

Als Bürger eines sozialistischen Landes konnten Sie die nicht besuchen. Deshalb wollten Sie Dirigent oder Diplomat werden …
… weil die problemlos verreisen konnten...

.... und haben sich doch für die Schauspielerei entschieden.
Das war das einzige, was mir einfiel. Für die anderen Aufnahmeprüfungen war ich zu faul. Ich hatte keine Lust, 20 Seiten Literaturaufsatz zu schreiben. Eine marxistische Analyse über ein Gedicht von einem Schriftsteller, der für die Partei wichtig war. Es ging immer um Klassenkampf, die Imperialisten waren böse, die Bauern und Arbeiter gut. Das konnte ich nicht über mich bringen.

"Ich schleppe Geld ins Land. Wow!"

Finzi 2007 bei der Probe zu "Anatomie Titus Fall of Rome" mit dem 2013 verstorbenen Regisseur Dimiter Gotscheff.
Finzi 2007 bei der Probe zu "Anatomie Titus Fall of Rome" mit dem 2013 verstorbenen Regisseur Dimiter Gotscheff.

© imago stock&people

Ihr Vater riet Ihnen ab, Schauspieler zu werden.
Er hat sich große Sorgen gemacht: Ist schwierig, ist schwierig, werd’ doch lieber Rechtsanwalt, da arbeitest du auch mit Menschen.

Hat er Sie nie angeschrien – wie Darsteller das gern auf der Bühne tun?
Nicht mein Vater. Schauspieler schreien in Deutschland sehr gern auf der Bühne. Vielleicht weil man die Emotionen hier lieber mit Kraft ausdrückt, mit Lautstärke. Mein Vater hat gesagt: Der Schrei ist Ausdruck von etwas Besonderem, und wenn, dann eher von Schwäche, das kann man zwei Mal pro Aufführung machen.

Ihr Landsmann und Freund Dimiter Gotscheff konnte gut schreien.
Das war etwas anderes. Wenn er Schauspielern nicht helfen konnte, sollten sie laut werden. Oder er knurrte und rief dann: Ich schrei mich selber an! Das war Mitko. Oder er brüllte plötzlich: Jaaaa!

Wir sind wach. Sie sind richtig laut geworden.
Wenn er so schrie, wusste ich, jetzt habe ich es richtig gemacht.

Damit haben Sie es zum Star auf deutschen Bühnen geschafft. „Theater heute“ hat Sie 2015 zum besten Schauspieler gekürt.
Für die Bulgaren war das ein Riesending. Der Kulturminister schreibt mir einen Brief, der Direktor von einem Theater einen anderen, alle möglichen Fernsehsender klingeln durch, ich habe auf nichts reagiert. Meine Mutter ruft mich abends an: Bitte nimm den Hörer ab, ich kann die nicht mehr abwimmeln! Tut mir leid, mach ich nicht.

Was steht über Sie als erfolgreichen Schauspieler in den dortigen Medien?
Neulich gab es einen Zwei-Seiten-Artikel, dass ich mit einem deutschen Produzenten Geschäfte in Bulgarien mache und mit einem Koffer Geld ins Land schleppe. Wow! Einmal hat eine Zeitung ein Bild von meinem Vater gedruckt, als er in einer Aufführung einen Penner gespielt hat. Dazu setzte sie einen Artikel über mich: „Der Sohn treibt sich mit drittklassigen freien Theatergruppen in Düsseldorf herum, genießt das schöne Leben, weshalb sein Vater kein Geld mehr hat und die Schuldeneintreiber an seine Tür klopfen. Seht nur, wie der Alte jetzt aussieht.“ Ich lache mich kaputt.

Ist das Neid, weil Sie der reiche Onkel aus dem Westen sind?
Mittlerweile nicht mehr. Es gibt zwei Millionen Bulgaren außerhalb des Landes. Wir werden zwar als Sommer-Bulgaren beschimpft, weil wir nur im Urlaub zurückkommen und dann unser Geld ausgeben. Aber das sind 20 Prozent der Bevölkerung, die jedes Jahr fünf Milliarden ins Land bringen. Die unterhalten ihre Eltern, weil diese sonst nicht überleben könnten.

Vor drei Jahren haben Sie sich gegen das politische System engagiert und an Demonstrationen in Sofia teilgenommen.
Das war der Sommer der Empörung, wie die Medien ihn nannten. Mit tausenden Menschen bin ich jeden Abend raus auf die Straße, weil ich die Hoffnung hatte, dass sich endlich etwas bewegt, dass Korruption bekämpft wird.

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Gegen Ministerpräsident Borissow und seine Regierung wurde protestiert.
Jetzt habe ich meinen Optimismus verloren. Die eine Regierung wurde gestürzt und derselbe Idiot ein paar Monate später wiedergewählt.

Hat sich das trotzdem gut angefühlt auf der Straße?
Selbstverständlich, es hat mich an das Ende der 1980er Jahre erinnert, wo man eine Vision hatte, die Gesellschaft zu verändern – die sich mit dem Fall des kommunistischen Regimes erfüllte. Aber der Enthusiasmus ist verpufft. Das Leben ist spießiger geworden, jeder fummelt vor sich hin. Das Auto, das Haus, die Wohnung, die Kinder, darum dreht sich alles.

"Muss ich die Scheinehe in Bulgarien legalisieren?"

Glanzauftritt. Finzi im Glitzer-Minirock 2010 bei der Premiere von "Der Mann ohne Vergangenheit" im Deutschen Theater Berlin.
Glanzauftritt. Finzi im Glitzer-Minirock 2010 bei der Premiere von "Der Mann ohne Vergangenheit" im Deutschen Theater Berlin.

© imago

Sind die Bulgaren glücklich in der EU?
Ist schon ein Riesending, die können frei reisen, das gab es früher nicht. Die Politiker nutzen jede Möglichkeit, EU-Hilfen für dieses oder jene Projekt zu beantragen. Landwirtschaft, Kultur. Gerade war ich eine Woche in Plowdiw.

Wo Sie geboren wurden.
Das wird 2019 Kulturhauptstadt Europas. Dort gibt es wahnsinnig schöne Tabaklagerhallen aus dem 19. Jahrhundert, ein Riesengelände im Stadtzentrum mit herrlichen, wenn auch nicht gepflegten Gebäuden. Die standen unter Denkmalschutz, sollten aber verkauft werden, damit man sie abreißen und ein Hotel errichten kann. Es gab Demonstrationen dagegen. Und plötzlich stehen die Hallen in Brand. Vier sind komplett ausgebrannt.

Sie vermuten Brandstiftung?
Tut mir leid, was sonst? Dasselbe ist in den 1990er Jahren mit der Stadtbibliothek in Sofia passiert. Da steht jetzt ein Hotel, ein hässliches Ding. Ach, wir können lange reden über die Zustände in diesem Land.

Ärgern Sie sich, dass in Deutschland darüber kaum berichtet wird?
Das habe ich aufgegeben. Die Bulgaren sind doch selber schuld.

Leiden Sie an Ihrer Heimat?
Sie missverstehen mich, es ist auch sehr angenehm, durch Sofia zu laufen, die kleinen Straßen, die vielen kleinen Restaurants und Kneipen zu sehen, wie die Leute sich bemühen, etwas Schönes zu erschaffen. Die Stadt entwickelt sich – in entgegengesetzte Richtungen. Ich würde es als ästhetisches Chaos bezeichnen: Hässliche Klimaanlagen hängen an Fassaden aus den 1920er Jahren, jeder macht, was er will, es gibt keine gemeinschaftliche Kontrolle.

Haben Sie mit dem Land gebrochen?
Nein, es ist gut, einen Ort zu haben, wo man alles kennt. Wenn alle Stricke reißen, kann ich mich in Sofia verstecken. Meine Eltern leben noch, toi, toi toi. Ich habe Freunde dort. Wobei Berlin auch so ein Ort ist. Ich habe jetzt mehr als die Hälfte meines Lebens hier verbracht.

Als Sie Ende 1989 kamen, fühlten Sie sich wie in einem sowjetischen Kriegsfilm, weil alles so grau war und die Leute wie Soldaten gebellt haben.
Nach zwei Monaten wollte ich fast wieder zurückgehen. Ich hatte ein Engagement über einen bulgarischen Regisseur bekommen und habe mir eingebildet, ich könnte schnell Deutsch lernen. Ging gar nicht. Meinen Text konnte ich auswendig, nur mit Leuten reden hat nicht geklappt. Ich war ein Außenseiter, in meinem Körper gefangen.

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Sie machen den Mund auf und zu wie ein Fisch.
Ich war ohne Ausdrucksmittel, versuchte, die Blicke zu verstehen. Mag er das jetzt oder nicht? Die Gesichtsausdrücke waren anders. Reservierter wahrscheinlich. Ich konnte sie nicht lesen.

Dafür hat man Ihnen über den Rücken gestrichen.
Oh Gott, das war ständig. Ich konnte damit gar nichts anfangen.

Eine Geste, die menschliche Wärme erzeugen soll?
Reibung erzeugt Wärme, ja. Ich glaube, es bedeutet das genaue Gegenteil: Berühr mich nicht! Bloß nicht näher kommen! Ich würde Menschen immer sofort umarmen. Inzwischen hat sich das zum Glück geändert, jetzt küsst man sich schneller auf die Wangen als noch vor 20 Jahren.

Was hat Sie außerdem irritiert?
Ich bin so erzogen worden, dass der Mann ein Kavalier sein soll. Die Hand reichen, wenn die Frau aus der Straßenbahn aussteigt. Als ich das in Berlin zum ersten Mal versucht habe, haben mich die Frauen erschrocken angesehen. Ich habe mich gefragt: Warum wollen die sich nicht helfen lassen? Das ist doch eine schöne Geste.

Haben Sie sich das abgewöhnt?
Ein bisschen, ich weiß, bei wem ich das machen kann. Diese Etikette will ich beibehalten.

Sie sprechen inzwischen einwandfreies Deutsch. Was war anfangs Ihr schlimmster Fehler?
Als meine erste Frau und ich heiraten wollten, mussten wir zum Standesamt.

Jetzt lachen Sie.
Ja, ich stehe vor dem Beamten, sieben Monate in der Stadt, und denke natürlich, ich verstehe alles. Zum Schluss fragt der Mann, ob wir noch etwas wissen möchten. Ja, sage ich, muss ich die Scheinehe danach in Bulgarien legalisieren? Schweigen. Der Mann guckt mich an wie ein Schäferhund, der sich wundert, und legt den Kopf nach links und rechts. Meine Frau zieht mich aus dem Zimmer raus und regt sich fürchterlich auf.

Was war passiert?
Ich wollte nach dem Eheschein fragen, habe jedoch verwechselt, wie man die Substantive zusammenbaut. Um Gottes willen, dachte ich, wir werden nie die Erlaubnis bekommen. Aber drei Wochen später kam die Bestätigung vom Standesamt.

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