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Susanna Krüger (45) ist seit März 2016 Geschäftsführerin und Vorstandsvorsitzende von Save the Children Deutschland.

© Breuel-Bild

„Save the Children“-Chefin Susanna Krüger: „Wir dürfen nicht still sein“

Susanna Krüger, Geschäftsführerin von Save the Children, über das bedrängte humanitäre Völkerrecht und die Bedeutung von Bildung.

Frau Krüger, seit 100 Jahren kümmert sich Save the Children um Sicherheit, Gerechtigkeit und Hilfe für Kinder. Wie ist es heute um die Rechte der Schutzbedürftigsten bestellt?

Trotz all der Kriege und des Leids: Ich glaube, wir haben enorme Fortschritte gemacht! Das wird oft unterschätzt. Zum Beispiel konnte die Kindersterblichkeit um 50 Prozent verringert werden. Und mittlerweile besuchen viel mehr Mädchen eine Schule. Heute sind es weltweit etwa 80 Prozent. Das war noch vor 20, 30 Jahren ganz anders. Um die Kinderrechte ist es alles in allem besser bestellt als zu früheren Zeiten. Auch weil es Organisationen wie Save the Children gibt. Und klar definierte Entwicklungsziele. Dennoch sind wir noch nicht dort angelangt, wo wir gerne wären.

Wo wären Sie denn gerne?

Wir wollen, dass alle Kinder Zugang zu Grundbildung haben. Dass kein Kind unter fünf an vermeidbaren Krankheiten stirbt. Und wir wollen, dass Gewalt gegen Kinder unter keinen Umständen toleriert wird. In jedem Land der Welt muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass Mädchen und Jungen Rechte besitzen, die auch eingehalten werden.

Wie sieht effektive Lobbyarbeit im Sinne der Kinder aus?

Wichtig ist ein Netzwerk mit anderen Hilfsorganisationen, und das auf nationaler wie internationaler Ebene. Uns als Save the Children kommt dabei zugute, dass wir schon so lange Zeit global agieren und unsere Arbeit wertgeschätzt wird. Das gibt uns die notwendige Überzeugungs- und Schlagkraft, um auf der internationalen Bühne Gehör zu finden.

Ihnen wird zugehört, aber passiert danach auch etwas?

Ich glaube schon. Zum Beispiel haben wir mit anderen Organisationen eine Deklaration „Sichere Schulen“ auf den Weg gebracht. Darin werden Bombenangriffe auf Schulen klipp und klar verdammt. Auch Deutschland hat diese Erklärung unterschrieben. Die Attacken auf Schule zeigen auf schreckliche Weise, dass sich die Kriegsführung verändert hat.

Inwiefern?

Immer häufiger werden zivile Ziele unter Beschuss genommen. Schulen und Krankenhäuser sollten immer geschützt sein und nie zu Angriffszielen werden. Deshalb die Deklaration.

Nach wie vor – im Grunde sogar verstärkt – werden jedoch Schulen und Kliniken angegriffen. Papier ist willig …

… aber immerhin reden wir jetzt über derartige Verbrechen! Es braucht eine Stimme, die diese unhaltbaren Zustände anprangert. Wir dürfen nicht still sein.

Hunger, Krankheiten, Vertreibung, Gewalt: 420 Millionen Kinder leben heute weltweit in Kriegsgebieten. Das klingt nach viel Arbeit für die humanitäre Hilfe. Wo setzen Sie an?

Wir als Save the Children legen großen Wert darauf, an Ort und Stelle zu sein. Dort zu helfen, wo Not und Elend herrschen. Wir wissen also, was konkret zu tun ist. Außerdem ist politische Arbeit auf internationaler Ebene wichtig. Die Rahmenbedingungen für Kinder müssen verbessert werden. Und wir setzen uns dafür ein, dass über die Probleme der humanitären Hilfe offen geredet wird. Die klassischen Hilfsorganisationen und deren Arbeit ändern sich derzeit stark.

Was heißt das?

Es gibt verschiedene Trends. So verschmelzen klassische Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe. Dabei geht es oft um eine Menge Geld, das sinnvoll und effektiv eingesetzt werden muss. Transparenz ist hier das zentrale Stichwort. Wir sind angehalten, nachzuweisen, welche Mittel für welche Projekte eingesetzt werden. Dann gibt es das Phänomen der „verschleppten Krisen“; der Jemen ist ein prägnantes Beispiel: Viele humanitäre Krisen gehen heute mit Kriegen einher.

Was bedeutet das für eine Hilfsorganisation wie Save the Children?

Es ist in einigen Ländern mittlerweile sehr gefährlich, zu helfen. In jüngster Zeit sind mehrere unserer Mitarbeiter ums Leben gekommen. In Afghanistan wurde ein Save-the-Children-Büro angegriffen. Im Jemen ist es äußerst riskant, Hilfstransporte in einige Landesteile zu schicken. Ein Fahrzeug mit einem roten Kreuz garantiert eben heute keineswegs mehr, dass es nicht zu einem Anschlagsziel wird. Bezeichnenderweise wird auch unsere Legitimität als Hilfsorganisation mehr und mehr infrage gestellt.

Haben diese Entwicklungen damit zu tun, dass das humanitäre Völkerrecht zunehmend erodiert?

Auf jeden Fall wird von verschiedenen Seiten getestet, wo die Grenzen liegen. Man schaut, was ungestraft möglich ist. Früher war es unvorstellbar, Helfer zu attackieren. Heute wird diese Regel viel zu oft gebrochen. Und früher mussten die Helfer nicht mit jenen zusammenarbeiten, mit denen sie keinesfalls kooperieren wollten. Wir sind so selbst zu Akteuren geworden, die nicht mehr strikt neutral agieren können, sondern sich mit den verschiedenen Konfliktparteien ins Benehmen setzen müssen.

Muss man also gegebenenfalls mit den Bösen gemeinsame Sache machen, um Gutes tun zu können?

Ja, unter bestimmten Bedingungen kann das nötig sein. Aber unsere Mission ist es nun mal, Kindern zu helfen. Manchmal sind dafür unangenehme Wege zu gehen. Wir werden aber nie politisch Partei ergreifen.

Laufen Hilfsorganisationen nicht dennoch Gefahr, ihre viel beschworene Neutralität aufzugeben?

Neutralität im Sinne der Kinder – nämlich sie nach allen Kräften zu unterstützen – ist damit nicht eingeschränkt. Wir bewegen uns jedoch zugegebenermaßen ab und an in Grauzonen. Über die reden wir allerdings auch ganz offen.

Wie reagieren die Spender darauf?

Fragen aus dem Kreis der Spender kommen dazu recht selten. Die Geldgeber aus der Politik dagegen fragen viel kritischer nach. Und das ist auch völlig legitim. Wir suchen daher immer das persönliche Gespräch mit den Verantwortlichen und erklären, was wir warum und wo vorhaben. Zum Beispiel ist die Bundesregierung sehr vorsichtig, wenn es um Syrien geht.

Stichwort Syrien. Wo ist denn derzeit die Lage der Kinder am dramatischsten?

Unseren Analysen zufolge gibt es einige besonders problematische Länder und Regionen. Dazu gehören neben Syrien und dem Jemen etwa Pakistan oder Somalia. Das sind Staaten, in denen besonders viele Mädchen und Jungen leben. Vor allem in Nigeria werden wir aufgrund der sozioökonomischen Entwicklung einen unfassbar rasanten Anstieg von Kinderarmut erleben. Da gibt es künftig für uns eine Menge Arbeit.

Was hat sich Save the Children für die kommenden zehn Jahre vorgenommen?

Als global agierende Organisation wollen wir unsere Arbeit so ausbauen, dass vor allem die Kindersterblichkeit deutlich verringert wird. Daraus folgt, dass wir gerade auf verbesserte Gesundheitsversorgung und Bildung besonderen Wert legen.

Und in 100 Jahren?

Wir werden in den nächsten Jahrzehnten aufgrund der Migrationsbewegungen und des Klimawandels sicherlich vor immensen Herausforderungen stehen. Ich glaube dennoch, dass die Welt es dann geschafft haben sollte, Kinder davor zu bewahren, dass sie an vermeidbaren Krankheiten wie Lungenentzündung, Durchfall und Unterernährung sterben. Dass Kinder überall eine Grundbildung erhalten und geschützt aufwachsen können. Um dieses Ziel zu erreichen, dürften wir sogar deutlich weniger als 100 Jahre benötigen.

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