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Die Autorin Judith Schalansky in ihrer Wilmersdorfer Wohnung.

© Thilo Rückeis

Schriftstellerin Judith Schalansky: „Mein Herz schlägt für die Zukurzgekommenen“

Eine glückliche Liebe, Erfolg als Autorin – und ein Kind mit ihrer Frau? Judith Schalansky fragte sich, ob all das angemessen sei. Über Geniekitsch und die Kunst des Dranbleibens.

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Frau Schalansky, Sie haben sich für Ihr Buch „Verzeichnis einiger Verluste“ fünf Jahre lang mit Leerstellen beschäftigt: mit einem zerstörten Gemälde von Caspar David Friedrich, dem ausgestorbenen Kaspischen Tiger oder der fragmentarischen Lyrik von Sappho. Was ist das Letzte, was Sie selbst verloren haben?

Die Pappeln vor meinem Fenster. Da unten sieht man noch die Stümpfe. Vor vier Wochen kamen Männer und haben sie gefällt. Das war unglaublich schmerzhaft. Ich habe mit dem Zuständigen vom Grünflächenamt gesprochen. Diese Pappeln, sagte er, hätten ihr Bestimmungsalter erreicht. Sie waren kerngesund, aber neigen eben dazu, Äste abzuwerfen, und hier unten im Hof befindet sich ein Familienzentrum, sodass ein Kind zu Schaden kommen könnte. Sie zurückzuschneiden kostet viel Geld.

Waren Sie nicht bestens gewappnet für einen solchen Verlust nach Ihren Recherchen zum Thema?
Das dachte ich. Und dann hab ich geweint wegen dieser Bäume. Dendrologisch gelten sie als nicht besonders wertvoll, aber ich mag Pappeln, das Frohwüchsige an ihnen. Die Blätter haben was Wimpelartiges, machen schöne Geräusche. Das Eichhörnchen, das wir dort beinahe täglich beobachten konnten, hing bis zum Schluss reglos in der Krone. Erst als der Baum schon kippte, sprang es ab. Seitdem haben wir es nicht mehr gesehen.

Können Sie sich auch von Gegenständen nur schwer trennen?
In unserer Familie gab es nie große Erbstücke. Ich habe einen Hang, die Dinge selbst schon als Erbstücke zu begreifen, fetischhaft damit umzugehen, sie zu musealisieren. Ich besitze einen Karton voller Gebissabdrücke von mir, weil es so schöne Objekte sind.

Sie haben eine Aufräumberaterin engagiert.
Als das Buch erschienen war, habe ich mich belohnt mit einer Ordnungsmanagerin. Ich kann das nur empfehlen, vor allem als Paar. Wir haben uns nicht an die persönlichen Sachen gewagt, sondern an das, was man glaubt, leicht aussortieren zu können. Küchenutensilien. Diese Frau gibt einem so salomonische Ratschläge wie: Jetzt darf jeder eine hässliche Tasse behalten.

Und durfte jeder eine hässliche Tasse vom anderen rauswerfen?
Ja, so was macht man dann. Aber man bleibt auf dieser Ebene, es eskaliert weniger. Oft müssen die Dinge ja dafür herhalten, etwas ganz anderes zu verhandeln. Ich gehöre leider eher zu den Sammlerinnen. Die Unterlagen auf meinem Schreibtisch, das sind nicht mal mehr Türme, es sind geologische Schichten. Meine vielen Bücher haben nicht nur was Heimeliges, sondern was Bedrohliches, Zudringliches. Wie viele davon ungelesen sind! Auch Dinge können einem Vorwürfe machen.

Die DDR haben Sie mit neun verloren, als die Mauer fiel. Wie haben Sie die Zeit erlebt?

Die Erwachsenen waren auf einmal sehr überfordert. Unsere Lehrerin wusste nicht, was sie unterrichten sollte und hat im Februar mit Frühlingsgedichten angefangen, weil man Lenins Jugend jetzt kaum mehr machen konnte. Das Land der Kindheit ist ja für alle eins, in das man nicht zurückkann. Aber bei mir ist es doppelt verloren. Dass möglich ist, dass sich über Nacht ein ganzes Referenzsystem auflöst, war nicht nur traumatisch, sondern auch schön: ein utopischer Moment. Diese Erfahrung haben wir Ostdeutschen anderen voraus.

War es das Ende Ihrer Kindheit?
Ja. Ich war irritiert, ob ich jetzt „Micky Maus“ kaufen soll oder „Bravo“. Ich wusste nicht, was „girrrls“ und „bois“ sein sollen. Auf einmal war man ’ne Zielgruppe. 1990 war ich im Ferienlager auf Rügen, morgens mussten wir antreten, aber es gab keine Parolen mehr. Die ersetzte dann ein lautes: Guten Morgen! Irre, dass die Form überdauert, auch wenn die Inhalte längst weg sind. Ein aus der Zeit gefallener Sommer.

Der Verlust des Vaters

Judith Schalansky zieht Nelken Rosen vor und Esel den Pferden.
Judith Schalansky zieht Nelken Rosen vor und Esel den Pferden.

© Jürgen Bauer

Ihre Eltern trennten sich, als Sie zwei waren, Sie trafen Ihren Vater erst spät wieder.
Ich glaube, dass man insgeheim spürt, was einem vorenthalten wird. In der Familie meines leiblichen Vaters gab es ein Segelboot. Und ich war als Kind besessen von Matrosen. Als ob etwas in mir gewusst hat, dass mir eigentlich ein Segelboot zustehen würde. Obwohl darüber nie geredet wurde.

Was genau haben Sie gespürt?
Ich hatte bis in die Pubertät enorme Verlustängste, große Probleme, wenn ich abends allein gelassen wurde – Babysitting war ja in der DDR nicht bekannt. Ich hatte immer Angst, dass meine Eltern – meine Mutter und mein Stiefvater – nicht wiederkommen. Meinen leiblichen Vater habe ich erst getroffen, als ich neun war und meine Großeltern ihn als Arzt gerufen haben. Er guckte so komisch und hatte ein Foto von mir im Portemonnaie. Ja, das war nicht schön. In meiner Familie wurde vorher nie wirklich darüber gesprochen. Es passt insgesamt zum Umgang mit Geschichte in der DDR. Dass es einen Überlieferungsbruch gibt.

Es hatte also mit dem Land zu tun, dass in Ihrer Familie nicht über die Trennung gesprochen wurde?
Total! Viele haben vergleichbare Geschichten. Eine frühe Heirat, um eine Wohnung zu bekommen, früh Kinder, um weniger Ehekredit zurückzahlen zu müssen. Konzepte wie Patchwork gab es nicht, dafür viel Kontaktabbruch. Frauen, die auf der Straße ihre Ex-Männer nicht mehr grüßten. Wer einmal draußen ist, kommt nie wieder rein.

Das Erstarken der AfD, die Ausschreitungen in Chemnitz – liegt das auch an dieser Sprachlosigkeit?
Das folgt daraus. Es gibt so vieles, was nicht aufgearbeitet worden ist und nun, wie mir scheint, am Fremden abreagiert wird: Vom verordneten Antifaschismus der DDR, der jede wirkliche Auseinandersetzung mit der Schuld in der Nazizeit verhinderte bis hin zum entmündigten Dasein als DDR-Bürger, in dem man sich irgendwie mit einem System arrangieren musste, das Aufrichtigkeit und persönliche Entfaltung behinderte. Dazu noch die Überforderung der Wendezeit, als auf die verblüffende Erfahrung, ins Weltgeschehen eingreifen zu können, die Ernüchterung der 90er folgte, die schnelle Abwicklung, der totale Ausverkauf. Und damit eine Entwertung der eigenen Biografie, das Gefühl, nicht dazuzugehören, übergangen worden zu sein, die Spielregeln nicht zu verstehen, eine Ohnmacht, die sich in Wut verwandelt.

Sie schreiben häufig von Topfservice- und Lexikavertretern, die die DDR ab 1989 als Markt entdeckten.
Meine Eltern hatten auf einmal teure Bertelsmannlexika, 24 Bände. Die brauchten sie überhaupt nicht. Man wurde für doof verkauft. Und war ja auch doof. Klar kann man heute lachen über die Naivität der Leute, die glaubten, sie hätten bei Preisausschreiben gewonnen. Das waren schon koloniale Muster.

Sie hingegen lieben Lexika.
Wenn man einen Text übers 19. Jahrhundert schreibt und schauen will, was der Stand des Wissens damals war, sind Lexika großartig. Einmal stieß ich auf den Eintrag „Auschwitz“, da durchfuhr es mich: Es gab eine Zeit, in der Auschwitz nur eine Stadt in Galizien war, mit altem Schloss, Likörfabrik und soundsoviel Einwohnern. Wir tendieren dazu, das Lexikon als was Absolutes zu sehen und zu vergessen, dass Wissen eine Geschichte hat, die immer wieder umgeschrieben wird. „Ich sag dir alles“ ist eines meiner Lieblingsbücher. Eine Art „Schotts Sammelsurium“, bloß ernst gemeint. Ich habe immer geträumt von dem einen Buch, in dem alles steht, was man wissen muss. Genau solche Bücher will ich schreiben, so maßlos und vergeblich das auch ist. Gerade heute, da einem das Smartphone jederzeit alles sagen kann, braucht man das, kuratiertes Wissen.

Listen lieben Sie generell. Wie sieht bei Ihnen eine To-Do-Liste aus?
Ich nehme immer neonfarbenes Papier, damit ich sie in dem Wust wiederfinde, mache eher Punkte als Striche, schreibe auch gern nochmal neu, damit sie schön aussieht. Und ich gehöre zu den Durchstreichern, nicht zu den Abhakern.

Die Stabi - ein besonderer Ort

Lesebändchen in Büchern hält die gelernte Buchgestalterin Judith Schalansky für ein wenig prätentiös, Schutzumschläge braucht es auch eher nicht.
Lesebändchen in Büchern hält die gelernte Buchgestalterin Judith Schalansky für ein wenig prätentiös, Schutzumschläge braucht es auch eher nicht.

© dpa/Erwin Esner

Ein anderes Ritual von Ihnen: Sie arbeiten immer in der Stabi.
Ich weiß noch, wie ich sie mit 19 zum ersten Mal betrat. Das Treppenmaß am Potsdamer Platz, nur acht Zentimeter, sehr angenehm. Man schreitet langsam hoch. Die Glasfenster, die das Licht bunt färben. Das hat schon etwas Erhabenes. Zudem gibt mir dieser Ort das Gefühl, zur Arbeit zu gehen. In die Fabrik. Und die Möglichkeit, mich jeden Tag an einen leeren Schreibtisch zu setzen. Ach, und natürlich eine ausgedehnte Mittagspause in der Potsdamer Straße zu machen. Wie ein normaler arbeitender Mensch: mittagessen gehen, Kaffee trinken.

Die Stabi soll 2022 für viele Jahre zur Renovierung geschlossen werden. Was machen Sie denn dann?
Es ist eine schreckliche Vorstellung, dass ich da erst mit 50 wieder reinkann.

Entmutigt der Ort nicht auch – es gibt schon Millionen Bücher, und jetzt schreibe ich auch eins.
Ich begreife meine Bücher ja als Forschungsprojekte, nur ohne Fußnoten. Wenn ich über ein Thema schreibe, will ich mir wenigstens, was den Forschungsstand angeht, das Niveau eines Hauptseminars erarbeiten. Je obskurer, desto besser – dann weiß man wenigstens alles über die manichäistische Buchmalerei oder die Selenografie um 1850.

Macht Ihnen Finden eigentlich mehr Spaß als Erfinden?
Erfinden fällt mir schwer. Ich finde gern, und dann erfinde ich das, was ich noch brauche, dazu. Ich traue mich nicht, einfach so loszufabulieren. Die Wirklichkeit ist doch das Unglaublichste. Vielleicht ist aber auch meine Fantasie zu armselig. Ich bin nicht gut darin, Gutenachtgeschichten zu erzählen. Meine Frau kann es, weil sie als Schauspielerin improvisiert. Bei mir wird es schnell zu verkopft.

Sie wissen so viel – und schreiben doch eher kurze Bücher. Wie köcheln Sie ein?
Ich muss auf eine Weise alles wissen und dann vergessen, um daraus Literatur zu machen. Ich schreibe mit Schrägstrichen, also Varianten und streiche dann immer mehr weg. Das brauche ich, um diesen Möglichkeitsraum des Schreibens überhaupt auszuhalten. Es ist ein tastendes Schreiben, das prüft, ob jedes Wort wirklich das richtige ist. Der Autor Thomas Hettche hat mal gesagt, früher hat er auch so geschrieben, jetzt macht er's richtig. Lustig, als ob es eine unreife Art des Schreibens gibt.

Sie sind gelernte Buchgestalterin. Wenn Sie schreiben, denken Sie die Form immer gleich dazu?
Wenn man beim Schreiben nicht weiterkommt, kann man sich mit Typografie beschäftigen. Ich liebe Bücher so sehr, weil sie das ordentlichste Medium überhaupt sind. Der Zeilenfall, das Lineare, das hat seine bestechende Ordnung, von der eine große Attraktivität und Trost ausgehen.

Brauchen Sie denn Trost?
Ich empfinde mich als trostbedürftigen Menschen. Zum Beispiel, wenn ich darüber nachdenke: Was ist jetzt schrecklicher, dass alles ein Ende hat – oder dass es möglicherweise keines gibt? Ich habe eine Psychoanalyse gemacht, da spielt der Trost eine große Rolle, oft liegt er ja im Betrauern selbst. Auch das Schreiben hat viel mit Trauerarbeit zu tun, mit dem Wunsch, etwas festzuhalten. Wenn es schon nicht mehr da ist, wenigstens davon zu erzählen.

Hat die Analyse Ihr Schreiben verändert?
Sie gehört zu den drei besten Sachen, die ich in meinem Leben gemacht habe. Die Erfahrung, aus einer großen Krise heraus eine Beziehung zu sich selbst anzufangen. Anfangs hatte ich Angst, dass ich dann nicht mehr schreiben könnte. Das ist natürlich blöder Geniekitsch. Von wegen: Man braucht den Schmerz, um überhaupt Kunst zu schaffen. Aber es geht nicht um den Dämon, die Muse oder den richtigen Füllfederhalter. Es geht ums Dranbleiben.

Sie haben Ihre Tochter zu der Zeit geboren, als Sie an dem Buch schrieben. War das eine Konkurrenz?
Es ging mir wie wohl vielen. Wenn man bei dem einen ist, hat man ein schlechtes Gewissen dem anderen gegenüber. Aber es war schön, dass das eine nicht das Alleserfüllende sein musste. Auch erfordert es eine größere Konzentration. Man hat als Elternteil ja ein anderes Verhältnis zu Zeit und Schlaf, kann nicht am Sonntag arbeiten. Was die Arbeit anging, war ich früher ziemlich maßlos, jetzt wird sie in einen Alltag eingegliedert – das tut schon gut.

Ihre Frau und Sie haben Ihre Tochter mit einem schwulen Freund bekommen. Als die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff 2014 von „Halbwesen“ geredet hat und Kinder meinte, die nach künstlicher Befruchtung entstanden sind, waren Sie gerade schwanger und haben sich geäußert. Sind Sie noch wütend?
Ich fühlte mich damals persönlich getroffen, weil wir uns ein bisschen kennen und sie wusste, dass meiner tatsächlichen Schwangerschaft eine lange theoretische vorausgegangen war. Ich hatte extrem viel über Angemessenheit nachgedacht. Darf ich das überhaupt? Darf ich alles haben? Glücklich lieben, erfolgreich veröffentlichen und auch noch ein Kind haben? Gott sei Dank konnte ich diese Fragen irgendwann mit Ja beantworten. Mich beschäftigt die Frage nach der Angemessenheit generell wahnsinnig.

Erkennen Sie so auch ein gelungenes Buch?
Es ist gelungen, wenn nichts stört. Viele Bücher sind zu schwer, manchmal ist der Einbandkarton zu dünn im Verhältnis zum Buchblock. Es kommt nicht so oft vor, dass ich ein wirklich perfektes Buch sehe.

Die Wahl der Schrift ist für Sie vergleichbar mit der Besetzung einer Rolle durch einen Schauspieler, sagten Sie mal. Warum musste es für das neue Buch diese sein?
Die Fabiol kommt aus dem Bleisatz, ihre Vorbilder stammen aus der Frühzeit des Buchdrucks. Mit einer Lupe sieht man, dass die Konturen der Buchstaben nicht scharf sind, sondern rauh und ein wenig ausfransen. Das macht das Schriftbild lebendig.

Haben Sie je versucht ein digitales Buch zu gestalten?
What for? Es ist ein Medium, das als Substitut eines anderen fungiert. Dabei geht es doch gerade darum, dass der Inhalt in der Druckerei eine Gestalt annimmt, die manifest und absolut ist. Und die ich ins Regal stellen kann, wo sie überdauert.

Die Schnecke als queerer Vorläufer

Judith Schalansky zieht Nelken Rosen vor und Esel den Pferden.
Judith Schalansky zieht Nelken Rosen vor und Esel den Pferden.

© Jürgen Bauer

Bei Matthes & Seitz geben Sie die Reihe „Naturkunden“ heraus. Über Rosen, sagten Sie mal, würden Sie kein Buch machen, über Nelken schon. Warum?
Mein Herz schlägt für die Zukurzgekommenen. Würden Sie sich über einen Nelkenstrauß freuen? Die sind verpönt durch den sozialistischen Kontext, als Arbeiter- und Kampfblume. Darum sind sie viel spannender als Rosen. Lieber ein Buch über Esel als über Pferde, Kröten statt Frösche. Oder über Schnecken, deren Vielgeschlechtlichkeit uns beunruhigt. Dabei sollten wir sie als queere Vorläufer sehen. Mir fällt das wieder ein, weil wir im Herbst ein Buch über Schleim herausbringen. Ich habe gerade das Manuskript gelesen. Am tollsten fand ich, dass die Ekelschwelle beim Menschen mit zunehmender Erregung sinkt, nach dem Sex jedoch sofort wieder ansteigt.

Sie haben auch ein Faible für Palmen.
Für mich der Inbegriff des Exotischen. Ich habe als Kind exzessiv Palmen gemalt. Von ihnen geht immer ein Versprechen aus, so etwas Fröhliches. Wie das Schirmchen auf dem Eisbecher.

Mögen Sie es überhaupt, zu reisen?
Gern an die gleichen Orte. Und wenn ich neu irgendwo bin, versuche ich, immer denselben Weg zu laufen, damit ich wenigstens den gehe wie die Einheimischen. Eher - auch da - ein Konzept der Verdichtung, nicht der Quantität. Ich habe wegen der Lesereise gerade die Bahncard 100 – das Gefühl ist fantastisch! Es müsste ermöglicht werden, dass die sich alle leisten können. Es ist nicht einzusehen, dass wir noch Auto fahren. Ich fliege nicht mehr, wenn es nicht sein muss. Und wann muss das schon sein?

Fliegen verweigern Sie aus politischen Gründen?
Aus religiösen! Man erntet ja mehr Verständnis, wenn man beispielsweise sagt, man sei aus religiösen Gründen vegan, als wenn man bekennt: aus weltanschaulichen. Das wird schnell als Vorwurf empfunden. Wir betreiben ständig einen Ablasshandel mit uns selbst. Ich esse kein Fleisch und spende, dafür darf ich dann aber dieses oder jenes. Es sind religiöse Mechanismen.

Frau Schalansky, Sie haben einen Atlas über abgelegene Inseln geschrieben, auf denen Sie "nie sein werden". Gibt es einen Ort, zu dem Sie unbedingt hinwollen?
Ich könnte jetzt sagen, zu mir. Ich denke schon, dass das die größte Herausforderung ist. Das Ersehnte nicht woanders – in der Zukunft oder in der Ferne – zu verorten, sondern im Hier und Jetzt. Nicht zu denken, wenn ich das erreiche, dann wird alles gut. Sondern: Es ist schon alles gut. Das ist hier schon das Eigentliche.

Sie sind bereits im Paradies?
Na ja, ich habe nicht wenig Lust, zur Ökoterroristin zu werden. Aber man muss anders radikal werden. Nicht gegen etwas kämpfen – sondern für etwas. Das möchte ich noch lernen. Und immer wieder auszuhalten, wie schön die Welt ist, obwohl sie so irre ist.

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