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Käpplers Kombüse. Jeden Abend scheuert der Bootsbesitzer seinen Grill für die hungrigen Badegäste. Das Ketchup-Senf-Muster ist seine Signatur.

© Mike Wolff

Schwimmender Havel-Kiosk: Wurst on the water

Was fehlt zum Glück an einem Tag am Strand? Schokoeis? Bier? Snacks? Das alles bringt Alexander Käppler mit seinem schwimmenden Kiosk auf der Havel.

Von Julia Prosinger

Der braungebrannte Greis am Pichelssee spreizt die Finger zum V. Das kann jetzt vieles bedeuten. Entweder er grüßt in Richtung Alexander Käpplers, der an diesem sonnigen Augusttag auf seinem Boot die Leinen löst. Oder er will zwei Bier, so wie man sie in der Kneipe bestellt.

Käppler, 34, blaue Augen, Zahnlücken, warme Stimme, betreibt einen schwimmenden Kiosk auf der Havel. „Riversnack“ nennt er ihn. Und findet jetzt heraus: Der Greis will Eis, Mandel-Vanille. Weil dessen Nachbar auf dem Segelboot dahinter so traurig dreinblickt, schenkt Käppler dem auch gleich eins. „Ich kann das nicht mitansehen“, sagt er.

Dann nimmt er auf seinem Steuerstuhl Platz, gibt Gas, lehnt sich zurück, schaut in die wattigen Wolken, atmet tief ein, sieht den Segelschülern beim Scheitern zu, taucht den Blick in die Wellen und anschließend in ein paar Trauerweiden am Ufer. Graureiher, Schilf, Stockenten, Schilf, Wasserhinkel, Birken. Elvis singt dazu aus einer kleinen Box.

Käpplers Signatur

Berlin ist, hier in Spandau, ganz weit weg. Käppler stoppt den Motor, geht vier Schritte nach vorn und wendet fünf Würste auf seinem Grill. Schilf, Enten, Wolken. Der Rhythmus seines Sommers.

Plötzlich kommt ein Motorboot auf Käppler zugerast. Mit einer Entschlossenheit, die nur eine Erklärung hat: Der Mann mit den Muskeln und die Frau mit dem Goldschmuck wollen Strandwurst. Dicht neben Käpplers Boot bremsen sie ab, Schaum spritzt auf, da hat Käppler schon den Senf im Zickzack über die Wurst verteilt, Ketchup zu Zwiebeltürmen aufgetropft. An dieser Signatur erkennt man Käpplers Würste. Über die Reling wechseln sie den Besitzer. Macht fünf Euro. „Ein Traum“, sagt der Mann mit den Muskeln und gestattet der duftenden Wurst, auf seine weißen Ledersitze zu triefen. Schwimmen macht hungrig.

Als Traum fing alles an, vor 13 Jahren. Käppler lag am Havelstrand und hatte nichts zu trinken dabei. Er fantasierte von spritzigem Wasser, klebriger Limo, kühlem Bier. Von einem Boot, das wie im Schlaraffenland einfach auftauchen und ihm seine Wünsche erfüllen würde.

Es kam kein Schiff. Da baute er selbst eines. Den Job als Versicherungsverkäufer hatte er eh gehasst, die Abhängigkeit vom Chef. „Man muss wissen, was man nicht will, um glücklich zu werden“, sagt Käppler. Die „Riversnack“ schwatzte er auf offenem See einer picknickenden Familie ab, bezahlte mit Opas Erspartem.

6,50 Meter lang, 2,50 breit war der Ponton. Käppler setzte eine Reling darauf, Gefriertruhen und einen Motor mit 30 PS.

Er kann auch in der Natur überleben

Alexander Käppler ist ein Wassermann. Er wohnt wenige Meter vom Havelstrand entfernt, wo sein Vater bereits gesegelt ist. Als Teenager absolvierte er ein Praktikum beim Fischereiamt, drückte Eier aus Hechten. Sobald er konnte, mit 16, machte er den Bootsführerschein. Im badischen Lörrach besitzt er zwei Seen, darin will er eines Tages Fische züchten. Und im Herbst, wenn wirklich niemand mehr auf der Havel nach einem Wassereis „Kaktus“ ruft, hängt Käppler sein Angelboot an den alten Mercedes, fährt bis nach Spanien an den Ebro, lässt sich treiben. Nicht esoterisch, sondern buchstäblich: den Fluss hinab, Angel über die Reling.

Abends baut er sein Zelt an die schönsten Buchten, zerlegt einen Zander, isst sich den Fluss entlang bis ans Meer, wo es Delfine gibt – und Thunfisch für seinen Grill. Wenn mal etwas schiefgeht, sagt Käppler, könnte er auch in der Natur gut überleben.

Retter sein fühlt sich gut an

Er denkt viel nach über seine Zukunft. Dabei hatte er geglaubt, eine Marktlücke entdeckt zu haben. Kaum hatte es 30 Grad, rissen ihm die Leute von Spandau bis zum Wannsee das kalte Bier aus der Hand.

Erwachsene rannten auf ihn zu wie Fünfjährige, sobald er mit der Messingglocke bimmelte, Kinder schwammen ihm entgegen, die Euros fest in der Faust. Retter sein – und sei es nur vor dem schrecklichen Mangel an Eis – fühlt sich gut an. Sehnsüchtig erwartet werden auch.

Auch Prominente kaufen seine Würste

Senf im Zickzack, Ketchup zu Zwiebeltürmchen aufgetropft: Käpplers Signatur
Senf im Zickzack, Ketchup zu Zwiebeltürmchen aufgetropft: Käpplers Signatur

© Mike Wolff

Käppler trifft die Menschen, wenn sie fröhlich sind. „Zu Hause sind die bestimmt ganz anders.“ Er lernt Prominente in der Badehose kennen, Til Schweiger zum Beispiel, mit Sonnencreme im Gesicht. „Ich empfinde dann große Gleichheit“, sagt er. „Aber die Leute sehen nur die guten Tage.“

Schnell merkte er, wie sich eine Regenwoche anfühlt. In diesem Sommer ist er „froh, wenn die Havel nicht zufriert“. „Wurstbrüste“, nennt er, was er sich anfuttert, um keine Lebensmittel wegschmeißen zu müssen. Der Generator kühlt teuer, das Benzin verbrennt, auch wenn Käppler nur fünf Lemon-Biere verkauft. Er hofft, dass keine weiteren Kioskboote sein Revier kreuzen. Auf dem Müggelsee schippert schon die MS Schatzinsel. Und wann immer der Tag am schönsten ist, da schwitzt er am Grill. Arbeiten, wenn andere knutschen.

Käppler fährt nun zur Marina Tankstelle, drückt seine Brust an die des Tankwarts, kauft Pall Mall, füllt Diesel auf, braust davon. Kehrt zurück. „Wie immer“, sagt der Tankwart. Käppler hat die Zigaretten liegen lassen. Backbord pfeift jemand schrill durch die Finger. Zwei Freunde überbrücken die Flaute mit einem Joint, Käpplers Bier kommt gerade recht als Frühstück. Käppler füllt ein paar Servietten in die Halterung nach.

Käppler ist Berufeerfinder von Beruf

Er hat über die Jahre eine perfekte Routine entwickelt. Der Bäcker backt ihm die Brötchen heller, dann krümeln sie weniger auf den weinroten Teppich. 60 Bratwurstsorten hat er getestet, bis ihm eine gut genug war (ohne Kümmel!). Über der Gefriertruhe baumelt ein Flaschenöffner.

Wenn es auch in Spanien zu kalt zum Angeln wird, kehrt Käppler nach Berlin zurück. Verdient sich den Sommer. Er hat eine Synchronsprecherausbildung gemacht, spricht Trailer fürs Fernsehen ein. Käppler ist Berufeerfinder von Beruf. Er dreht mit seinem wasserdichten Smart- phone Unterwasservideos, filmt Fische beim Fressen – für Fischfutterfirmen, die damit ihre Kunden überzeugen.

Ein letztes Mal an diesem Tag legt Käppler am kleinen Strand „Kuhhorn“ an. „Wo kommst du denn her?“, fragt ein Mädchen im pinken Badeanzug und kichert fast ihr Eis in den Sand. Diesen Mann aus ihren Träumen will sie unbedingt fotografieren.

Käppler lenkt das Boot an den Heimatsteg. Er muss jetzt noch zu Gisela, der alten Dame mit der Yacht gleich nebenan. Ihr Badedeck schleifen. Aber vorher die übrig gebliebenen Schrippen loswerden. Die Enten, sagt er, sollen sich auch freuen.

Geheimtipp von Havelkenner Käppler: Kleine Bucht, gegenüber Lindwerder
Geheimtipp von Havelkenner Käppler: Kleine Bucht, gegenüber der Insel Lindwerder

© Mike Wolff

KÄPPLERS GEHEIMSTRÄNDE FÜR DEN SPÄTSOMMER

1) Kuhhorn

Ideal für Erwachsene, weil das Wasser schnell tief wird. Mit Rettungsstation, falls man mal ein Pflaster braucht.

2) Unterm Grunewaldturm
Zwischen Havelchaussee und Ufer – Waldspaziergang inklusive – liegen viele kleine Sandbuchten. Manche gerade groß genug für zwei.

3) Gegenüber von Lindwerder
Lange Sandbank, auf der Eltern ihre Kinder beruhigt planschen lassen können. Kleiner Parkplatz, um Aufblasdelfine ranzukarren.

4) Zweites Strandbad Wannsee
Gegenüber der Insel Schwanenwerder liegt das „Große Fenster“ – Wannsee- Feeling, aber ohne Eintritt zu zahlen. Das Grüne sind nur Algen!

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