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Schwebendes Verfahren. Die Imoca-Klasse - hier beim Start im französischen Duamenez - ist für Soloregatten konzipiert. Beim Ocean Race sollen mehrköpfige Besatzungen an Bord sein.

© Eliza Chohadzieva

Segeln: Wettlauf zum Ocean Race

Zwanzig Jahre nach dem Illbruck-Triumph wollen gleich zwei deutsche Teams beim Ocean Race antreten. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein.

Es kommt nicht allzu häufig vor, dass sich deutsche Segler um die Krone des Hochseesegelns bemühen. Und nun, da es gleich zwei Teams auf einmal tun wollen, hat ihr Rennen schon vor dem Rennen begonnen. Sowohl Boris Herrmann als auch das Offshore Team Germany wollen 2021 an einem Ozean-Klassiker teilnehmen, der 1973 als Whitbread Round the World Race begonnen hatte, ab 1998 unter dem Namen Volvo Ocean Race fortgeführt wurde und nach dem Weggang der schwedischen Automarke im vergangenen Jahr nach einer neuen Identität sucht. Und keines der beiden Projekte will schon vor dem Startschuss in den Windschatten des anderen geraten.

So kommt es dieser Tage zu einer gewissen Dichte an Verlautbarungen, die mit deutschen Superlativen nicht geizen. Da will man „als erster“ gemeldet haben, „als erster“ registriert worden sein, als „erster“ in die Fußstapfen der Illbruck treten, die das Rennen um die Welt vor annähernd 20 Jahren mit dem Geld des Leverkusener Unternehmers Michael Illbruck gewonnen hatte. 15 Millionen Euro soll ihm der erste deutsche Gesamtsieg bei einem so bedeutenden Rennen wert gewesen sein.

Danach hat es erstmal keine weiteren Versuche mehr gegeben. Stattdessen begannen sich Franzosen, Spanier und Scheichs für das Volvo Ocean Race zu interessieren. Sie hatten Versicherungskonzerne (Groupama und Mapfre) oder gleich einen ganzen Staat im Rücken (Abu Dhabi). Zuletzt triumphierte eine französische Crew aus gelernten Einhandseglern, die von einem chinesischen Autobauer (Dongfeng) finanziert war.

Hochexklusive Wettkämpfe

Das deutsche Ringen um die Poleposition verrät viel über das Dilemma, dem sich ehrgeizige Segler in diesem Land ausgesetzt sehen. Sie müssen fürchten, dass mögliche Geldtöpfe nicht für mehrere Kampagnen reichen. Denn es mangelt hierzulande doch sehr an dem Bewusstsein, dass sich dem Meer auf einer zerbrechlichen Rennmaschine auszusetzen, die durch nichts als Wind vorangetrieben wird, so ziemlich die anspruchsvollste Prüfung ist, die man suchen kann. Unterstützer solcher Vorhaben sind rar.

Nachdem Boris Herrmann seine Ambitionen für eine Teilnahme am Ocean Race schon vor einem Jahr angedeutet hatte, ging das Offshore Team Germany vor einigen Wochen mit einer Geschichte in der „Yacht“ an die Öffentlichkeit. Es will seine Yacht am Freitag in Kiel präsentieren, um beim Ocean Race anzutreten. Es wird die fünf- bis achtköpfigen Besatzungen in mehreren Etappen um die Welt führen. Neben Herrmanns „Malizia 2“ segelt damit der zweite Open 60 unter deutscher Flagge. Das folgt einem Trend.

Boris Herrmann sammelt unermüdlich Erfahrungen, um beim Start zur Vendée Globe eins mit seiner Malizia zu sein.
Boris Herrmann sammelt unermüdlich Erfahrungen, um beim Start zur Vendée Globe eins mit seiner Malizia zu sein.

© Jean Marie Liot

Eigentlich sind die überdimensionierten 18-Meter-Yachten der Imoca-Klasse für Soloregatten konzipiert. All die technischen Innovationen, die ihr Erscheinungsbild prägen – das breite Heck, die Doppelruderanlage, die überdachte Plicht, der drehbare Mast mit seinen auskragenden Spreizen und die Flügelschwerter, die das acht Tonnen schwere Gefährt aus dem Wasser heben – sind Folge einer 25-jährigen Entwicklung, bei der eine einzelne Person möglichst schnell nonstop um die Welt gelangen und dabei den brutalen Bedingungen des Südpolarmeers trotzen soll.

Für die Bedürfnisse von Mannschaften sind diese Rennmaschinen ursprünglich nicht ausgelegt. Das machte sie für den normalen Regattabetrieb unbrauchbar, weshalb die von französischen Seglern und Designern dominierte Imoca-Szene ihre eigenen hochexklusiven Wettkämpfe veranstaltete. Den Höhepunkt bildet das Vendée Globe Race, das alle vier Jahre von Les Sables d’Olonne in der Bretagne aus nonstop um den Globus führt.

Boris Herrmann bereitet sich seit Jahren akribisch auf seine Teilnahme an diesem „Everest der Meere“ vor. Noch nie ist ein Deutscher mitgefahren. Im Herbst 2020 dürfte er dabei auf eine der größten Imoca-Flotten treffen, die das legendäre Rennen je gesehen hat. Obwohl er dann mit der „Malizia“ nicht über das modernste Boot verfügen wird, könnte es eines der verlässlichsten sein. Jedenfalls sammelt der Skipper so viel Erfahrung mit der 2015 gebauten Yacht wie möglich, um Geschwindigkeitsnachteile durch solides Handwerk auszugleichen. Die Foil-Technik ist immer noch so neu, dass niemand genau sagen kann, welche Konfiguration sich auf 30.000-Meilen-Trip um den Erdball auszahlen wird.

Warum länger warten auf eine Chance?

Auch das Offshore Team Germany (OTG) war ursprünglich mit dem Ziel einer Vendée-Globe-Teilnahme gegründet worden. Solosegler Jörg Riechers hatte sich mit Star-Boot-Weltmeister Robert Stanjek aus Berlin zusammengetan, um die Präzision des olympischen Seglers mit der Hochsee-Erfahrung des anderen zu verbinden. Man erwarb einen Open 60 von 2011, die vormalige „Acciona“ von Javier Sanso, mit der dieser im Jahr darauf beim Vendée Globe angetreten und nach 84 Tagen auf See kurz vor dem Ziel gekentert war. Doch es sollte sich zeigen, dass Riechers‘ Anforderungen an die Yacht sich mit weiterführenden Projekten nicht vereinbaren ließen. So trennte man sich wieder.

Lange lag die "Acciona" in einer Halle auf Mallorca, bevor die Berliner sie ausfindig machten. Der von den britischen Designern Owen Clark gezeichnete Open 60 von 2011 wurde in England für seine neuen Aufgaben fit gemacht.
Lange lag die "Acciona" in einer Halle auf Mallorca, bevor die Berliner sie ausfindig machten. Der von den britischen Designern Owen Clark gezeichnete Open 60 von 2011 wurde in England für seine neuen Aufgaben fit gemacht.

© OTG

Dem war die Entscheidung des Ocean-Race-Managements vorausgegangen, eine neue Ära einzuleiten und auf Open 60 umzusteigen. Ein absoluter „Glücksfall“ für das OTG, wie Team-Manager Jens Kuphal sagt. Plötzlich hatten die Berliner genau das richtige Boot, um mit einer Crew aus olympischen Spitzenseglern den Mythos dieses Rennens neu heraufzubeschwören. Der zehrt von jeher davon, dass den Teilnehmern in Stürmen und harten Positionskämpfen mehr abverlangt wird, als sie sich haben vorstellen können.

In die Annalen des Rennens ging die Weigerung des zweimaligen Gewinners Conny van Rietschoten ein, sich nach einem Herzinfarkt auf See an den Arzt eines konkurrierenden Bootes zu wenden. Er wollte nicht, dass die anderen dadurch animiert wurden, härter zu segeln. Glücklicherweise erholte sich van Rietschoten wieder. Dass im vergangenen Rennen ein so erfahrener Mann wie John Fisher von Bord gespült wurde und starb, zeigt, dass es nichts von seiner Gefährlichkeit verloren hat.

Noch ist die OTG-Yacht nicht mit Foils ausgestattet. Was Kuphal für einen Vorteil hält. Er könne sie nun mit der jüngsten Generation an Auftriebsflügeln bestücken, und sogar das ältere Rumpfdesign zahle sich aus, meint er, nachdem die neuesten Boote nun wieder die schmalere Form annähmen, die ihr Racer schon habe. Um die richtige Crew für das Abenteuer zu rekrutieren, hat sich das OTG mit dem Deutschen Segelverband zusammengetan und hofft, in dessen Pool genügend Nachwuchskräfte zu finden.

Sie sehen sich als Underdogs

Zwei Millionen Euro haben Kuphal und seine Mitstreiter bereits in das Projekt investiert. Das Boot wurde im britischen Gosport gründlich überarbeitet. Doch ansonsten soll gelten: „Made in Germany“, was übersetzt wohl heißen soll: Wir können das auch. Wobei Kuphal von einer „Underdog“-Kampagne spricht und meint: „Wir müssen da nicht gewinnen. Die Teilnahme wäre an sich schon ein Erfolg.“

Brothers in Arms. Pierre Casiraghi (li) und Boris Herrmann verbindet eine abenteuerliche Freundschaft. Gemeinsam werden sie in diesem Sommer beim Fastnet Race antreten.
Brothers in Arms. Pierre Casiraghi (li) und Boris Herrmann verbindet eine abenteuerliche Freundschaft. Gemeinsam werden sie in diesem Sommer beim Fastnet Race antreten.

© Martin Messmer

Ob Boris Herrmann ein solcher Ansatz genügt? Der 38-jährige Wahlhamburger zählt in der Imoca-Klasse zu den Topleuten. Obwohl es für einen Sieg noch nicht gereicht hat, zuletzt machte die Kollision mit Treibgut einen zweiten Platz zunichte, hat er das Glück, von wohlhabenden Förderern umgeben zu sein, und seine Partnerschaft mit dem monegassischen Prinzen Pierre Casiraghi macht ihn einigermaßen unabhängig. Trotzdem wäre der Aufbau eines Rennstalls nur durch potente Finanziers möglich.

Mit der finanziellen Neuausrichtung des Ocean Race, die kleineren Teams eine Teilnahme einfacher machen wird, hat Herrmann nun ein Argument an der Hand, warum man ihn über das Vendée Globe hinaus und bis 2022 unterstützen sollte. Es gilt nur noch, jenen Sponsor zu finden, der seinen Sprung auf den Weltmarkt vorbereitet und seinen Ehrgeiz mit dem einer Handvoll von Seglern verbindet, die im wahrsten Sinne des Wortes „abheben“ werden. In Deutschland müsste sich dafür mehr als ein Unternehmen finden lassen.

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