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Anziehend. In „Adorn“ beginnen die Darsteller nackt und bekleiden sich nach und nach.

© Blue Artichoke Films

Sexfilme gegen Sexismus: Sozialdemokratische Pornos

Berlins SPD will Sexfilme mit feministischem Anspruch fördern. Doch wie sollen die eigentlich aussehen?

Von Barbara Nolte

Wir sind zum Pornogucken verabredet. Ferike Thom besitzt selbst keine. Deshalb treffen wir uns bei der Frau mit einer der größten Sammlungen Berlins, Laura Méritt, die in der Kreuzberger Fürbringerstraße ein Dachgeschoss bewohnt.

Méritt, 59, hennarote Haare, öffnet mit einer DVD in der Hand die Tür. Ferike Thom, 26, Pagenkopf, Doktorandin der Agrarökonomie, zieht sich im Flur noch ihre Turnschuhe aus. Kurze, herzliche Begrüßung. Beide kennen sich, seitdem Laura Méritt vor den Pankower Jusos einen Vortrag über feministische Pornographie gehalten hat; Thom ist dort die Vorsitzende. Méritt hatte damals Filmbeispiele mitgebracht. Da alle Juso-Männer laut Parteistatut Feministen sind, wie Thom erklärt, war für jeden etwas dabei. Es sei ein „richtig lustiger“ Abend gewesen, versichern beide.

Für heute hat Laura Méritt die Kurzfilmsammlung „Silver Shoes“ von Jennifer Lyon Bell herausgesucht. „Achtet auf die Kommunikation!“, sagt sie und legt die DVD in den Player ein. Der Film spielt in einer sonnendurchfluteten Altbauwohnung, in der eine Gruppe Mittdreißiger rund um einem opulent gedeckten Frühstückstisch sitzt. Eine Frau und ein Mann, der aussieht wie Matthias Schweighöfer, plaudern angeregt miteinander. Sie hält ihn für schwul, was der richtigstellt. Dann ziehen sich beide zum Sex aufs Wohnzimmersofa zurück.

Keine Viertelstunde ist vorbei, und Ferike Thom schaut bereits auf die Uhr. Dabei stammt der Antrag für den letzten Landesparteitag der SPD von ihr, dass sich die Partei für die Förderung von feministischer Pornografie, wie sie hier gerade läuft, einsetzen soll. Die Berliner Delegierten haben sich einstimmig dafür ausgesprochen. Bürgermeister Müller, Fraktionschef Saleh, Innensenator Geisel - alle sind dafür. Der Beschluss dominierte die Berichterstattung über den Parteitag. Allerdings wurde er meist mit Spott bedacht: als Versuch einer verzweifelten Partei, sich progressiv zu geben. Ist mehr dran?

Ferike Thom hat vom Parteitag den Auftrag bekommen, das Thema voranzutreiben. Deshalb sitzt sie an diesem heißen Sommernachmittag auf dem Sofa von Laura Méritt und guckt dem Pärchen beim Sex zu. „Aber ich habe doch noch andere Anträge geschrieben, die auch einstimmig beschlossen wurden“, sagt Thom matt. Beispielsweise zur Sicherheit vernetzter Endgeräte. „Warum will denn dazu keiner was wissen?“

Ihre versteinerte Mine, mit der sie den Film verfolgt, lässt keinen Zweifel daran: Sie ist nicht zum Vergnügen hier. Als sie den Parteitagsantrag formulierte, sei es ihr nicht, wie man vielleicht denken könnte, um ihre eigenen filmischen Vorlieben gegangen, sondern um Jugendliche. Konsumenten von Pornos würden immer jünger, erklärt sie. Und das, was sie im Netz zu sehen bekämen, würde immer krasser. „Dem muss eine andere Sicht auf Sexualität entgegengesetzt werden, schon um weitere MeToo-Fälle zu verhindern.“ Sexfilme, um Sexismus zu bekämpfen. Doch viele Fragen bleiben offen. Färbt Sex im Film wirklich auf echten Sex ab? Und wenn ja – warum sollten Jugendliche in der Fülle der herkömmlichen Sexfilme im Internet ausgerechnet die ihnen zugedachten Pornos auswählen? Damit, was feministische Pornografie ist, fängt es schon an.

Ferike Thom, Juso aus Pankow, steckt hinter der SPD-Initiative für gute Pornos.
Ferike Thom, Juso aus Pankow, steckt hinter der SPD-Initiative für gute Pornos.

© privat

Ferike Thom weiß das auch nicht so genau, was sie offen zugibt. Sie will nicht zur Pornobeauftragten ihrer Partei werden. Zuletzt habe sie sich als Jugendliche mal einen Sexfilm angeschaut. „Um zu gucken, was die Jungs so gucken.“

Laura Méritt ist die Expertin. Sie sammelt feministische Sexfilme, seitdem das Genre Ende der 70er Jahre enstanden ist - als Reaktion auf die damals übliche Position von Frauenrechtlerinnen wie Alice Schwarzer, die Pornografie pauschal als sexuelle Ausbeutung von Frauen ablehnten. Eine Bekannte von Meritt, die sich im Wohnzimmer dazu gesetzt, mischt sie ein. „Siehst du die geröteten Hautstellen?“, fragt sie Ferike Thom, wobei sie auf die Darstellerin zeigt. Sie will Thoms Blick für Details schärfen. Feministische Pornos haben oft einen naturalistischen Anspruch, was Ferike Thom gut gefällt. Die „rasierten Brötchen“, wie sie Frauen in herkömmlichen Pornos trügen, sagt sie, finde sie „unmöglich“.

Nach nur einer Stunde bricht Ferike Thom wieder auf. Schon bald wolle sie mit den Parteifreunden im Abgeordnetenhaus beraten, wie der Parteitagsbeschluss am besten umzusetzen sei, verspricht sie im Gehen. Nur für was genau sie sich einsetzen wird, bleibt nach wie vor vage. Vom Film „Silver Shoes“ her zu schließen, zeichnet sich die förderungswürdige Porno-Unterart durch ein stylischeres Setting und hübschere Darsteller aus, die sich beim Sex meist anlächeln, um zu zeigen, dass das Ganze freudvoll und einvernehmlich ist.

Weiterbildung in feministischer Pornografie verspricht das „Feminist Porn Watching“, zu dem Laura Méritt einmal im Monat lädt. Am darauf folgenden Freitag sitzen ein Dutzend Frauen und zwei Männer auf ihrem Wohnzimmerteppich. Es läuft der Film „Coming together“ der deutschen Veteranin des Genres, Petra Joy. Anlass ist, dass Joy gerade aus dem Geschäft ausgestiegen ist, um sich ihrer „zweiten Leidenschaft“ zu widmen, wie sie auf ihrer Homepage schreibt: dem Tierschutz. Diesmal trägt die Hauptdarstellerin Anzug, Fliege und Gelfrisur, sie verführt einen Mann mit Engelsflügeln, Perlenkette und Lacksandalen. Méritt stoppt den Film und fragt in die Runde: „Wem ist etwas aufgefallen?“ Eine Frau meldet sich und sagt, dass Geschlechterrollen hinterfragt würden. Méritts Freitagssalon erinnert an ein filmwissenschaftliches Seminar. Feministische Sexfilme, so viel wird klar, haben oft eine Botschaft. Sexuelle Normen sollen aufgebrochen werden. Gruppensexszenen und Verkleidungstheater sind deshalb üblich, sado-masochistische Spielarten können vorkommen, sofern sie einvernehmlich sind, und es gibt sogar Comics: wie „Dildoman“ der Schwedin Aza Sandzen, der sich über Männer in Stripclubs lustig macht. Geeignet als Lehrfilme für Jugendliche sind natürlich eher die, die echte Menschen bei einander zugewandtem Sex zeigen - wie „Silver Shoes“ von Jennifer Lyon Bell.

Die Idee hat sich bis Amsterdam herumgesprochen

Jennifer Lyon Bell studierte in Harvard, jetzt macht sie Sexfilme in Amsterdam.
Jennifer Lyon Bell studierte in Harvard, jetzt macht sie Sexfilme in Amsterdam.

© Barbara Nolte

Lyon Bell hat in Amsterdam ihr Büro. Der Beschluss von Berlins Regierungspartei hat sich bis zu ihr herumgesprochen. Von der Aussicht auf Filmförderung ist sie so angetan, dass sie dem Interview zugestimmt hat, obwohl sie zwei Pornos gleichzeitig fertig machen muss. Ihre Firma „Blue Artichoke Films“ liegt im Zentrum, nahe der Prinsengracht. Dort wartet sie im Foyer. Eine rundliche Frau von 48 Jahren mit kurzen, braunen Haaren, die einen knöchellangen Rock trägt. Sie stammt aus den USA, hat in Harvard Psychologie studiert, in Portland in einer Werbeagentur gearbeitet, bevor sie sich in Amsterdam an der Filmhochschule eingeschrieben hat mit dem Berufsziel Pornoregisseurin. Bislang, sagt Lyon Bell, während sie mich durch verschlungene Gänge zu ihrem Büro führt, sei sie in ihrer Arbeit noch nie gefördert, sondern immer nur behindert worden. Zum Beispiel haben ihr Paypal und Youtube die Zugänge gesperrt, als sie herausfanden, welche Art Filme sie dreht. Bei ihrem neuen Film „Adorn“ ist ihr gerade der Komponist abgesprungen. Die Option, ein bekanntes Stück zu verwenden, hat sie nicht. Musikverlage vergeben in der Regel keine Lizenzen für Sexfilme.

Das Büro ist nicht groß, aber hoch. Eine selbst gezimmerte Holzempore teilt es in zwei Ebenen. Sonst würden die beiden Dokumentarfilmer, die zwei Grafiker und der Kameramann, mit denen sich Lyon Bell das Zimmer teilt, nicht reinpassen. Sie setzt sich an einen runden Konferenztisch in die Mitte des Raums. Lyon Bell wirkt sehr freundlich, und auch ein bisschen amerikanisch, wenn sie sagt, dass ihr Mann, ein Werber, ihren Beruf einfach wunderbar finde. Sie bittet an, Milchkaffee zu kochen, stellt dann aber fest, dass der Kühlschrank leer ist - bis auf eine 3D-Brille, die gekühlt werden muss. Ihr neuer Porno soll damit zu sehen sein, erzählt sie. Ein Auftrag für ein Tech-Start-Up aus Kalifornien, das auf eine aufmerksamkeitsstarke Werbung für seine neue Software spekuliert. Doch die Brille läuft ständig heißt und fällt aus.

Lyon Bells hemdsärmelige Arbeitsweise erinnert an eine normale Independent-Film-Produzentin. Doch der Unterschied sei der monothematische Zuschnitt ihrer Filme auf Sex, sagt sie. Feministisch sei an den sexuellen Handlungen, dass sie ihre eigenen Phantasien ausdrückten – also die einer Frau. „Oft gehe ich von einer Konstellation aus, die ich als sexy empfinde“, erklärt sie, wie die Frühstücksszene in „Silver Shoes“, „wo man sich ungezwungen unterhält, weil man den anderen für schwul hält.“ Bei ihrem neuen Film „Adorn“ habe sie nur die Regeln festgelegt: Die Partner beginnen nackt und müssen sich während des Liebesspiels nach und nach anziehen.

Typisch für feministische Pornos ist außerdem, wie Lyon Bell mit ihren Darstellern umgeht. „Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sie sich sicher fühlen“, sagt sie. Wenn sie ein Paar zusammengestellt hat, befragt sie beide getrennt voneinander, wie sie einander finden. Mitunter bittet sie ihre Darsteller auch, sich nackt gegenüberzustellen, um auszuloten, ob zwischen beiden die Chemie stimmt. Proben gibt es keine. Den männlichen Darstellern gegenüber versuche sie, den Druck rauszunehmen. „Ich sage ihnen: Was auch immer passiert, ist okay. Wir machen was draus.“ Der Dreh selbst erinnert an Improvisationstheater. Es gibt nur einen Durchlauf. Nachdrehen ist unmöglich. Die Anschlüsse würden nicht stimmen. Für ihren letzten Film hat Bell ihren Schreibtischnachbarn, der sonst für Dokumentarfilmer arbeitet, als Kameramann engagiert. Sie selbst bediente die zweite Kamera.

Doch ihre Rücksichtnahme stößt manchmal an gesetzliche Grenzen. Einmal bestand ihr Team nur aus Frauen. „Die Darsteller waren ausschließlich heterosexuelle Männer, die masturbieren sollten, und die hätten sich in ihrem sexuellen Erleben womöglich gestört gefühlt von anderen Männern, die ihnen dabei zusehen“, erklärt sie. Anschließend habe sie erfahren, dass sie in Ländern wie Großbritannien mit ihrem weiblichen Team gegen die Antidiskriminierungsgesetze verstoßen hätte.

„Wer in Pornos spielt, schätzt den Trubel am Set“

Der Brite Parker Marx ist ein Star in der feministischen Pornoszene.
Der Brite Parker Marx ist ein Star in der feministischen Pornoszene.

© Lenore Holloway

Zurück in Berlin treffe ich den Hauptdarsteller von Lyon Bells neuem Film „Adorn“, Parker Marx, im Café Nothaft & Seidel an der Schönhauser Allee. Er ist 35, Brite, und wirkt auch an Mainstreampornos wie der Beate-Uhse-Produktion „Pärchentausch“ mit. Wie erlebt er die Unterschiede? Er schätze Lyon Bell als professionelle Regisseurin, sagt er. Doch das Schwarz-Weiß-Denken, was feministische und Mainstream-Pornos betreffe, beruhe seiner Ansicht nach auf Vorurteilen und Missverständnissen. Dass sich in alternativen Produktionen Filmteams mitunter zu verstecken versuchten, um vermeintlich mehr Intimität für die Darsteller zu gewährleisten, sei kontraproduktiv. „Wer in Pornos spielt, schätzt in der Regel gerade den Trubel am Set.“ Auch der Hauptvorwurf gegen herkömmliche Pornos, dass aus armen Weltgegenden stammende Frauen darin ausgebeutet würden, entspreche nicht seiner Erfahrung. „Ich habe das noch nie erlebt. Deshalb halte ich es für eine diskriminierende Fantasie.“ Aber vielleicht wird der sympathische Marx auch nicht für die fiesen Stoffe besetzt. Er ist mittelgroß, nicht übertrieben muskulös, von Beruf Architekt. Seit zwei Jahren lebt er in Berlin. Reich, sagt er, werde man als Pornodarsteller übrigens weder im Mainstream- noch im alternativen Pornofach. „Ich habe eine Assistentin, um Mails zu beantworten. Die verdient mehr als ich.“ Dass er trotzdem weitermache, liege daran, dass er den Beruf besonders gut könne. „Das kann ich von der Architektur nicht behaupten.“

Die SPD-Initiative stockt

Bald beginnt das „Porn Film Festival“. „Adorn“, der neue Film von Jennifer Lyon Bell mit Parker Marx, ist ins Programm aufgenommen worden. Lyon Bell hat inzwischen auch eine neue Filmmusik gefunden. Ein Bekannter empfahl ihr die Folk-Elektropop-Musikerin Zoe Boekbinder. Boekbinder gestattete ihr nicht nur, ihr Stück zu benutzen. Sie kommt sogar zur Premiere. Auch Laura Méritt wird auf dem Fest vorbeischauen. In Sachen Förderung von feministischen Pornos sei sie mit einer weiteren Partei im Gespräch, sagt sie. Ihr schwebt eine kleine Lösung vor: eine Kurzfilmsammlung nach Vorbild von Schweden, wo der Staat bereits einen solches Projekt mit dem Titel „Dirty Diaries“ finanziert hat. So ein Film würde einen Einblick in dieses randständige Genre liefern, das immerhin den Blick der Hälfte der Weltbevölkerung auf Sex repräsentiert.

Fraglich bleibt, ob er der Jugend nutzt. Ferike Thom hat als wissenschaftlichen Experten den Soziologen Sven Lewandowski empfohlen. Beim Anruf in Kassel, wo Lewandowski arbeitet, lacht der erstmal herzhaft über den Vorschlag der SPD. Herkömmliche Pornographie würde Jugendlichen gar nicht schaden, glaubt er. Sie wüssten doch, dass es sich um Phantasiewelten handele. In der Wissenschaft habe es längst einen Paradigmenwechsel gegeben. Statt „Was macht Pornographie mit den Menschen?“ laute die Frage zunehmend: „Was machen Menschen mit der Pornographie?“ Pornos könnten mehrere Funktionen erfüllen, erklärt er, auch soziale. „Wenn  beispielsweise Jungs in der homosozialen Gruppe scheinbar teilnahmslos harte Pornos gucken, handelt es sich nicht um Verrohung, sondern um einen alterstypischen Überbietungswettbewerb in dem Sinne: Wer ist cool genug, das auszuhalten.“

Doch die SPD-Initiative stockt ohnehin. Ferike Thom hat sich Wochen nach dem Beschluss noch mit keinem Abgeordneten getroffen. Aktuelle politische Entwicklungen wie die um den Verfassungsschutz hätten sie zu sehr beschäftigt, sagt sie. Beim „Porn Film Festival“ will sie aber gern vorbeischauen, wenn sie Zeit findet.

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