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Eine Frau in den Überresten ihrer Wohnung in Beirut.

© AFP

„Sonst käme ja keiner“: Wie Libanesen sich selbst helfen müssen

Freiwillige beseitigen die Schäden in Beirut – weil es oft niemand sonst tut. Auch das größte Getreidesilo des Landes wurde bei der Explosion vernichtet.

Die junge Frau wirkt kämpferisch. „Wenn die Regierung nichts unternimmt, müssen wir es eben machen“, sagt Jara Moujaes. Die 22-Jährige ist am Freitag mit einer Gruppe der NGO „Offre Joie“ im Beiruter Stadtteil Karantina unterwegs. Vielleicht 600 Meter entfernt vom Zentrum der Explosion haben sie und ihre Freunde gerade die Wohnung zweier Brüder und ihrer Mutter entrümpelt. „Die Leute rufen uns von den Balkonen zu sich hoch. Manche von ihnen sind alt. Sonst käme ja keiner, um ihnen zu helfen“, erzählt Jara.

In Beirut am Tag drei nach der Katastrophe – der Detonation von 2750 Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen – hört man in der schwülen Hitze der Mittelmeerstadt vor allem Klirren, Bohren und Hämmern. Doch es ist keine groß angelegte Aufräumaktion der Regierung, es sind private Organisationen, Freunde und andere nichtstaatliche Gruppen, die hier die Straßen, Gehwege und Wohnungen räumen. 154 Beiruter wurden bei der Explosion getötet, rund 5000 verletzt, 300000 obdachlos.

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In den schwer getroffenen östlichen Stadtvierteln schuften vor allem junge Menschen, viele erst Anfang 20, mit Handschuhen, Besen und Schaufeln. Viele bieten auch Wasser oder Lebensmittel an. Einerseits ist ihr Anblick ein ermutigendes Zeichen für den Zusammenhalt und die Widerstandskraft dieser Gesellschaft, andererseits zeigen die Bilder, wie alleingelassen sich diese Menschen fühlen von ihrer Regierung.

Viele schenken auch den neuesten Ankündigungen der Verantwortlichen keinen Glauben. Präsident Michel Aoun erklärte am Freitag, man werde bei der Untersuchung, wie es zur Explosion kommen konnte, drei konkrete Fragen klären: Wo kam der Stoff her, war die Explosion ein Unfall oder Folge von Fahrlässigkeit und wurde sie vielleicht durch einen Angriff ausgelöst?

Jetzt sind Fotos aufgetaucht, die angeblich die Lagerung des hochgefährlichen Stoffes in einer der Hallen im Hafen zeigen. Bei den Bildern der verstaubten und achtlos aufeinandergeschichteten Säcke würde ein argloser Betrachter nicht davon ausgehen, dass hier ein Stoff aufbewahrt wurde, der auch für hochpotente Bomben benutzt werden kann.

Hafenmitarbeiter hatten seit Beginn der Lagerung vor über sechs Jahren wohl mehrmals vor dieser tickenden Bombe gewarnt gewarnt. Vergeblich. Die Explosion hatte auch das direkt neben der Lagerhalle stehende größte Getreidesilo des Landes vernichtet. Deren Zerstörung verschärft die Versorgungskrise des kleinen Landes.

Thore Schröder

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