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Hans Baldung Griens „Jungfrau und Kind“ (1539/40).

© Wikipedia

Stillende Frauen in der Kunst: Öffentliches Stillen: erlaubt in Kirchen und Museen

In Berlin wird gestritten: Ist öffentliches Stillen okay – oder eine Zumutung? In Kirchen und Museen ist diese Debatte längst beendet: Die Brust der „Maria lactans“ ist allgegenwärtig. Ein kunsthistorischer Essay.

Ob Dürer, Cranach, Hans Baldung Grien, Jan van Eyck, Picasso, Gauguin oder Chagall – alle malten sie: Das Bild der stillenden Mutter gibt es in der Kunstgeschichte zuhauf. Im Mittelalter erlebte das Motiv einen regelrechten Boom. „Maria lactans“, die stillende Muttergottes, wurde zu einem eigenen Genre. Für die Künstler war es eine Möglichkeit, Maria zugleich als himmlische Mutter und irdische Ernährerin darzustellen. Dialektisch eine kniffelige Angelegenheit, schließlich hatte sie ihr Kind als Jungfrau zur Welt gebracht und stand insofern allen anderen Niederungen einer gewöhnlichen Mutterschaft fern. Mit der Milch der Muttergottes hatte es denn auch seine besondere Bewandtnis. Ihr wurden übernatürliche Kräfte zugesprochen, weshalb es nicht nur in der Malerei, sondern auch in der Bildhauerei ein beliebtes Sujet war. Bis hin zur Umsetzung als Wallfahrtsbrunnen mit Maria im Zentrum, aus deren Brüsten das heilende Wasser ins Becken plätscherte.

Die Idee von der göttlichen Milch ist jedoch sehr viel älter als in der christlichen Ikonografie. Das Motiv taucht schon bei den alten Ägyptern mit Isis auf, die den Horusknaben stillt. Durch ihre Milch nimmt Horus göttliche Kräfte auf. Daran wollten die ägyptischen Könige glauben und ließen sich an der Brust der Isis oder anderer Göttinnen darstellen, die zuweilen sogar in Gestalt einer Kuh auftraten. Die Bildtradition setzt sich fort in der griechischen Antike mit Herakles und verschiebt sich schließlich im 7. / 8. Jahrhundert in den christlichen Kontext. Dort gewinnt die Darstellung der stillenden Muttergottes – anders als bei den sehr viel strengeren, Maria gewidmeten Bildtypen wie Pietà, Sacra conversazione oder Schutzmantelmadonna – stets einen menschlichen, ja zärtlichen Zug. Auch Erotik spielt hinein, die sich so manches Mal im Blick des entzückt die Idylle beobachtenden Josef spiegelt.

Fouquets Madonna lebt von der Spannung zwischen Göttlichkeit und Erotik

Jean Fouquets "Die thronende Madonna mit dem Christuskind" aus dem 15. Jahrhundert.
Jean Fouquets "Die thronende Madonna mit dem Christuskind" aus dem 15. Jahrhundert.

© Wikipedia/Royal Museum of Fine Arts Antwerpen

Genau von dieser Spannung zwischen Göttlichkeit und Erotik, konkreter Person und mystischer Figur lebt die berühmte „Madonna von Melun“ des französischen Hofmalers Jean Fouquet, auch „Madonna Sorel“ genannt, da sich hinter der bleichen Muttergottes mit dem roten Kussmund vermutlich die Geliebte Karls VII., Agnès Sorel, verbirgt. Dem eher desinteressiert wirkenden Christusknaben bietet sie ihre pralle Brust dar, von Intimität keine Spur. Statt wie ein Andachtsbild wirkt das Gemälde wie ein Standesporträt, bei dem die Frau ihre körperlichen Vorzüge präsentiert. Kein Wunder, dass sich ein halbes Jahrtausend später eine Verwandlungskünstlerin wie Cindy Sherman dieses Motivs für ihr Rollenspiel bedient: Der Busen wird zur Attrappe, ist nur noch Requisit einer Sexpuppe – hier ist von Stillen ebenfalls keine Spur.

Zwischen Fouquet und Sherman aber gibt es eine ganze Phalanx anrührender Bilder, in denen nicht länger allein die Muttergottes ihr Kind nährt. Bei Jean-Laurent Mosnier ist es eine Rokoko-Dame, bei Gauguin eine tahitianische Naturschönheit, bei Paula Modersohn-Becker eine Frau vom Land, die in ihrer vollkommenen Nacktheit wieder zur Urmutter wird. Der Kreis schließt sich hier. Paula Modersohn-Becker sucht mit ihrer Kunst zu den elementaren Dingen zurückzukehren und beginnt mit dem Ursprung des Seins. Ihre Radikalität erschreckte damals die Kunstwelt, heute sorgt nur noch das Stillen selbst dann und wann für Aufregung.

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