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Mal keine Orgie. Dafür sitzt hinter Chauffeur Dirk Bujack (l.) manchmal der Rapper Massiv – und heute sein Kreuzberger Bewunderer Harald Martenstein.

© Kai-Uwe Heinrich

Stretchlimousine mieten: "Nur Typen wie Prince können hier aufrecht strippen"

Paris Hilton rollte im Hummer durch Berlin, Costa Cordalis zum Weihnachtsmarkt. Wir haben Harald Martenstein mit der Stretchlimo durch Berlin geschickt.

Wenn man in diese Limousine einsteigt, ist das so ähnlich, als ob man eine Disco betritt. Der Himmel glitzert und hängt voller rot leuchtender Sternchen. Der Fußboden leuchtet. Ach was, einfach überall blinken Lichter, rot, blau, grün. Getränkehalter und Platz für Sektkübel und Gläser sind reichlich vorhanden. Auf einem Bildschirm prasselt ein Kaminfeuer, dieses Motiv wird von zwei kleinen Bildschirmen wiederholt. Man kann sich aber auch einen lebhafteren Film wünschen. Die Musikanlage gibt ordentlich was her. Ein Fahrzeug des Typs Hummer H2 ist elf Meter lang und 4,6 Tonnen schwer. Auffälliger geht es wirklich nicht.

Dieser Dinosaurier von einem Auto wartet häufig vor Madame Tussauds, dem Wachsfigurenkabinett unweit des Brandenburger Tors. Natürlich kann man sich die Limousine auch nach Hause vor die Tür bestellen, das kostet dann 280 Euro inklusive An- und Abfahrt für eine Stunde, die zweite kostet die Hälfte. Für die Laufkundschaft ist eine einstündige Stadtrundfahrt mit maximal acht Passagieren ein bemerkenswert günstiger Spaß, 120 Euro, das wären 15 Euro pro Nase, bei voller Besatzung. Kann man mal machen.

Wie ist das, wenn man mit einem Luxusschlitten der Größe XXL durch Berlin cruist? Die Scheiben sind getönt und nur von innen durchsichtig, man selber wird nicht gesehen. Gucken die Leute? Dies hier ist Berlin. Natürlich gucken die meisten Leute nicht, hier haut so schnell niemanden was um, speziell in Mitte. Wenn in Mitte einer guckt, kann das nur ein Tourist sein. Erst, als wir nach Kreuzberg abbiegen und uns mit schwerfälliger Grazie durch kleinere Straßen bewegen, ist in den Straßencafés ein gewisses Erstaunen bemerkbar. Manche fotografieren sogar. Ob es Spaß macht, mit diesem Gerät mitzufahren? Aber klar doch. Man stelle sich die Stadt leicht getönt vor, in buntes Flackerlicht getaucht und mit Musik, in anderen Worten: Berlin als handkolorierter Stummfilm mit Orchester.

Im Cockpit hört der Chauffeur nur Geräusche

Dirk Bujack fährt dieses Ding seit 20 Jahren, der Job macht ihm Spaß. Die Touristenbusfahrer, die Polizei, alle kennen ihn. Er ist 50 Jahre alt und hat drei kleine Kinder. In seinem früheren Leben war er Verkäufer. Privat fährt er einen Skoda.

Bujack ist ein freundlicher, solider Mensch. Ihm ist zuzutrauen, dass er auch mit schwieriger Kundschaft zurechtkommt. Diese Kundschaft ist vielfältig, allerdings sind Russen, Tschetschenen und Türken besonders stark vertreten. Die mögen Blingbling, sagt Dirk Bujack. Es kommen aber auch Paare, die Silberhochzeit feiern und sich was Verrücktes gönnen. Ganz stark vertreten: Junggesellenabschiede, 18. Geburtstage und Hochzeiten, neuerdings auch öfter mal von Homosexuellen. Diese drei Gruppen buchen keine Stadtrundfahrt, sondern haben eher ein konkretes Ziel, meistens das Standesamt oder die totale Feierekstase.

Bei den Junggesellen und -gesellinnen ist in zwei Dritteln der Fälle auch eine Stripperin oder ein Stripper an Bord, das gehört dazu. Weil man in dem Hummer auch mit 1,70 Meter Körpergröße nur gebückt stehen kann, ist das für jeden Stripper eine akrobatische Herausforderung, ausgenommen ganz winzige Stripper, Typen wie Prince, falls die im Angebot sind.

Nach einer ganz bestimmten Sache fragt man unwillkürlich, das Wageninnere hat halt so was Lasziv-Halbweltartiges: Wie steht es um die sexuellen Gewohnheiten der Fahrgäste? Das Fenster zum Chauffeur kann blickdicht geschlossen werden. Davon wird auch hin und wieder Gebrauch gemacht, im Cockpit hört der Chauffeur dann Geräusche.

Amischlitten rosten stärker als ein solider Mercedes

Als der Chauffeur die Tür öffnet, hört man auf der Straße oft aufgeregte Rufe.
Als der Chauffeur die Tür öffnet, hört man auf der Straße oft aufgeregte Rufe.

© Kai-Uwe Heinrich

Als Bujack die künftige Mutter seiner Kinder zum ersten Mal auf eine Tour mitnahm, Beifahrersitz, vorne, stieg eine Gruppe von sieben Franzosen beiderlei Geschlechts ein, die sich sofort, noch bei offenem Chauffeurfenster, ihrer Kleidung weitgehend entledigten. Da habe seine Freundin einen völlig falschen Eindruck von seinem Berufsalltag bekommen, sagt er. So oft kommt das auch wieder nicht vor. Dass Party gemacht und angezogen gefeiert wird, ist der Regelfall. Das Wochenende ist oft ausgebucht. Nach einem Trinkgelage seien die Reinigungsarbeiten weniger aufwendig als nach einer Orgie, sagt Bujack. Das ist eigentlich sonderbar und lässt die Berliner Kampftrinker endlich mal in einem guten Licht dastehen.

Die Limousine kann mit Gas oder Benzin betrieben werden, auf 100 Kilometer verbraucht sie davon 35 Liter. Gebaut wurde sie 2006, in den USA. Wer fahren will, braucht einen Lkw-Führerschein, den P-Schein sowieso, der berechtigt zur Beförderung von Passagieren. Neu kostete der Hummer, Baujahr 2006, einst mehr als 200 000 Dollar, das Modell wird inzwischen nicht mehr gebaut. Die Firma „Limoservice Berlin“, einer von mehreren Berliner Anbietern, hat ihn gebraucht in Los Angeles gekauft. Über die Identität des Vorbesitzers schwieg der Verkäufer sich leider aus. Da kommen aber nicht unbegrenzt viele Personen in- frage, bei diesem Preis.

Eine Hummer-Stretchlimousine ist ein Hummer-SUV, der auseinandergesägt und in den ein langes Mittelteil hineingeschweißt wurde. Der deutsche TÜV ist für solche Modelle eine ernstzunehmende Klippe, da wird der Hummer jedes Jahr gecheckt. Amischlitten rosten stärker als ein solider deutscher Mercedes.

Rapper Massiv buchte den Wagen für seine Hochzeit

Scheichs kommen als Kunden vor, meist mit mehreren Ehefrauen. Prominente im engeren Sinn sitzen nicht mehr ganz so oft in den Stretchlimousinen. Bei Großereignissen wie der Berlinale haben die Veranstalter Verträge mit Autofirmen, die alle Promi-Transporte übernehmen. Zu Bujacks Kundenkreis gehört immerhin die Band Rammstein, deren Musik tatsächlich so klingt wie das Motorengeräusch des Hummer.

Der Berliner Rapper Massiv buchte den Wagen für seine Hochzeit. Massiv hieß früher „Pitbull“. Seine Reime klingen so: „Mit dem Säbelschwert schneid ich euch die Zungen ab, bis die Zunge in die Lungen klappt.“ Nachdem Massiv sich in stilistisch ähnlicher Weise über die Mütter von Menschen aus dem Ruhrgebiet geäußert hatte, endete ein Konzert dort mit einem rekordverdächtigen Polizeieinsatz. Dass Massiv romantisch Hochzeit gefeiert hat, beweist, dass sich sogar in seiner Brust ein Herz befindet und kein Säbelschwert.

Auch die Hells Angels mögen diesen Wagen, und von außen hat er mit den chromblitzenden Felgen und dem Kuhfänger vorne etwas angemessen Martialisches. Der Sänger Costa Cordalis, dessen Musik unter Experten ähnlich umstritten ist wie die von Massiv, nur völlig anders klingt, hat sich mit dem Hummer fünf Stunden lang Berliner Weihnachtsmärkte angeschaut. Paris Hilton hat der Firmenchef Christian Kraft persönlich durch die Hauptstadt gefahren.

"Det is Bushido! Alter, ich glaub’s nich!"

Die gefährlichste Situation in Dirk Bujacks Berufsleben hängt mit dem Sänger Justin Bieber zusammen, der musikalisch etwas näher bei Costa Cordalis liegt als bei Massiv. Bieber war in Berlin, und Bujack fuhr mit ganz normalen Touristen am Hotel Hyatt vorbei, in dem Justin Bieber angeblich wohnte. Als die Fans, etwa 100, die Limousine sahen, sei von der Menge ein einziger, animalischer Schrei gen Himmel gestiegen: „Ey, da isser drinne!“ Blitzschnell hätten Massen den Hummer umzingelt, angefasst, gestürmt, die Fahrgäste hätten ziemliche Angst bekommen. Der echte Bieber ist womöglich in diesem Moment durch den Hinterausgang entkommen. Fazit: Eine Stretchlimousine enthält selten Stars, aber man kann mit ihrer Hilfe gut von Stars ablenken.

Einmal hat Dirk Bujack ein paar Freunde eingeladen und ist zum Musikpreis „Echo“ gefahren, der im Berliner ICC verliehen wurde. Sie passierten mit der Limousine ohne größere Probleme alle Sicherheitskontrollen, der Chauffeur sagte einfach: „Das ist die Band No Name, die sind superwichtig.“ Auf dem roten Teppich ging vor ihnen Sarah Connor, hinter ihnen Nena. Erst an der letzten Tür war Schluss, wie einst bei Hape Kerkeling als Königin Beatrix.

Das Auto fährt zu „Curry 36“, Mehringdamm, wie durch ein Wunder ist genau vor dem Imbiss ein Parkplatz frei. Als der Chauffeur schwungvoll die Tür öffnet, höre ich laute Rufe: „Det is Bushido! Wetten, dass det Bushido is? Alter, ich glaub’s nich, der Bushido!“ Selten sah man so enttäuschte Gesichter. Wenn es wenigstens Costa Cordalis gewesen wäre.

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