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Autor Tom Wolfe.

© pa/ Globe-ZUMA

Tom Wolfe im Interview: „Ich trage Speedos“

Starautor Tom Wolfe in knapper Badehose am Strand – unvorstellbar! Und doch fährt er immer nach Long Island und schwitzt in Miami Beach. Seine Kinder hassen das.

Tom Wolfe, 82, gilt als Pionier des „New Journalism“, berühmt wurde er durch Bestseller wie „Fegefeuer der Eitelkeiten“ – und seine weißen Anzüge. Zuletzt erschien sein Roman „Back to Blood“ (Blessing), der in Florida spielt. Wolfe lebt mit seiner Frau in New York.

Mr. Wolfe, es tut mir leid, ich bin gerade in einen Wolkenbruch geraten. Nun stehe ich pitschnass vor Ihnen und tropfe auf den Teppich.

Machen Sie sich nichts draus. Meine Haushälterin steckt erst mal Ihre Jacke in den Trockner.

Schön haben Sie es. Eine große Wohnung in der Upper East Side mit Blick auf den Central Park.

Wunderbar, nicht? Nur das Wetter ist furchtbar. Wir wollten eigentlich rausfahren in die Hamptons, in unser Sommerhaus nach Southampton.

Der Ort auf Long Island, wo sich gern die New Yorker High Society abkühlt?

Wo die Menschen seit den 70er Jahren nur eine Beschwerde kennen: Oh, es ist so überfüllt in den Hamptons! Das stimmt nicht. Wenn Sie mit einem Kleinflugzeug über Long Island fliegen, sehen Sie, wie viel unbebautes Land es gibt. Das Problem ist, dass alle New Yorker ihr Haus am Strand haben möchten. Ich habe eines am See, zählt das auch?

Sie mögen den Ozean nicht?

Ich gehe einfach nicht mehr oft dorthin, weil meine Kinder es hassen, wie ich mich anziehe.

Kann man sich kaum vorstellen, wenn man ein Foto von Ihnen kennt, wo Sie an einem Strand mit Kurt Vonnegut sitzen, dem berühmten Autor von „Schlachthof 5“. Sie erinnern sich?

Natürlich, das war auf Long Island in den 70er Jahren. Ich sehe uns beide genau vor mir: wie zwanglos Kurt war und wie förmlich ich.

Er trägt ein Polohemd und Jeans, Sie hingegen beigefarbene Hosen, die zur Farbe des Sandes passen, und ein hellblaues Sakko, tipptopp auf den Himmel abgestimmt. Wie haben Sie das denn hingekriegt?

Ich bin vor den Aufnahmen vor das Haus gelaufen, habe einige Kleidungsstücke gegen den Himmel gehalten und geschaut, welches am besten passt. Ach, Kurt, ein wunderbarer Mensch …

… Vonnegut starb 2007 …

… er war zwar nicht mein Busenfreund, aber für mein erstes Buch „Das bonbonfarbene tangerinrot-gespritzte Stromlinienbaby“ von 1965 schrieb er ohne mein Wissen ein Zitat für das Cover. Dass ich ein lustiger Autor sei. Er fügte hinzu: „Schickt ihm Bonbons und anderes gutes Zeug.“

"Jeder Mann über 35 Jahre sollte sich obenrum bedecken"

Heute sitzen Sie hier in einem weißen Anzug, tragen ein gestreiftes Hemd, eine weiße Krawatte und weiße Schuhe. Passt das Ihren Kindern nicht?

Nein, diese Kombination ist nicht das Problem. Aber am Strand trage ich ein Tanktop, denn ich finde, jeder Mann über 35, egal wie viel Sport er treibt, sollte sich obenrum bedecken. Die Haut ist einfach nicht mehr dieselbe. Dazu ziehe ich Speedos an, Badehosen in Slipform, was meine Kinder ganz, ganz schlimm finden.

An amerikanischen Stränden ein Fauxpas.

Es gilt als Verstoß gegen die guten Sitten. Männer tragen allesamt knielange Shorts, mein Sohn auch. Ich sehe sie ja, wie sie sich mit allerlei Kram durch die Dünen schleppen. Auf Long Island ist es nämlich verboten, innerhalb einer Meile vom Ufer entfernt zu parken. Also stellen alle ihren Wagen im Ort ab, behängen sich mit Körben und Taschen und marschieren zum Strand. Mich erinnern sie dann an Flüchtlinge, die nur das Nötigste zusammenpacken konnten.

In Miami Beach haben Sie echte Flüchtlinge aus Kuba kennengelernt, als Sie für Ihren jüngsten Roman „Back to Blood“ recherchiert haben.

Erschütternde Geschichten. Menschen, die sich mit selbst gebauten Booten auf den Weg über das Meer machten. Manchmal waren diese zusammengeflickt aus Gummi von Lkw-Reifen. Es sind zwar nur 90 Meilen aus der Karibik nach Florida, aber die können auf hoher See endlos werden.

Warum haben Sie nach New York und Atlanta nun Miami als Schauplatz ausgewählt?

Es ist die einzige Stadt, die ich kenne, in der eine eingewanderte Volksgruppe die Macht übernommen hat. Mit einer anderen Kultur, mit einer anderen Sprache, und alles innerhalb von 30 Jahren. Natürlich rede ich von den Kubanern. Es ist ein sehr genaues Buch über Miami geworden, wie mir von mehreren Seiten bestätigt wurde.

In dem Roman geht es um einen kubanischstämmigen Polizisten, der einen Flüchtling aus Kuba vor dem rettenden Land abfängt. Kritiker der „New York Times“ bewundern Ihre „fotorealistische Erinnerung“. Bitte beschreiben Sie aus dem Kopf eine Szene am South Beach in Miami.

Es ist Mittag, ich gehe die Collins Avenue entlang. Das Wasser sehe ich gar nicht, lauter Gebäude stehen so dicht am Meer, dass ich höchstens zwischen zwei Hotels mal den Ozean erahnen kann. Es sind wenige Menschen auf der Straße. Die Sonne steht so hoch, dass die Schatten zu unförmigen Klumpen werden. Ich gehe in ein Hotel, durch die Lobby in den Garten hinein. Da gibt es eine Bar, überall stehen Liegen, auf denen Menschen dösen. Am Ende des Gartens ist eine Tür, die sich zum Strand öffnet. Endlich! Das Meer! Junge Menschen überall, sie hören Hip-Hop, tragen Badeshorts, trinken Bier – und sie sind alle Touristen.

Menschen aus Miami gehen gar nicht so oft dahin?

Die Kubaner segeln gern, aber am Strand liegen sie wenig herum. Wenn Sie das Leben der Kubaner sehen wollen, fahren Sie nach Hialeah, eine Stadt bei Miami, wo 200 000 von ihnen leben. Es gibt zwar in Miami das Little Havana, wo viele Menschen hingehen, um am Straßenrand süßen kubanischen Kaffee zu trinken und alten Männern auf der anderen Straßenseite beim Schach zuzusehen, aber eigentlich leben da Nicaraguaner.

Sprechen Sie Spanisch?

Ich sollte, ich habe die Sprache vier Jahre studiert. Als ich 1959 bei der „Washington Post“ arbeitete, gelangte Fidel Castro an die Macht. Die Zeitung schickte zwei Korrespondenten auf die Insel – einen für internationale Beziehungen und einen für Lokales. Ich war für Letzteres zuständig, sechs Monate lang in Havanna. Den Job bekam ich, weil ich der Redaktion verschwieg, dass es während meines gesamten Studiums nicht eine Stunde Konversationsunterricht gab.

Ein US-Amerikaner auf Kuba

Wie haben Sie sich in Havanna beholfen?

Das Ziel des Studiums war, eines Tages „Don Quixote“ im Original zu schaffen. Das half mir wenig in Kuba. Ich konnte allerdings etwas lesen und nahm mir jeden Tag die Lokalzeitung vor. Die ausländischen Journalisten fassten die nicht mit der Kneifzange an, weil darin nur Propaganda stand und Ankündigungen von Parteiveranstaltungen. Eines Morgens bin ich mal zu so einem Treffen gegangen. Vor einem Gebäude standen 100 Leute, von Kindern bis Rentnern, alle mussten Morgengymnastik machen, auf der Stelle hüpfen und mit den Armen in die Luft klatschen wie ein Hampelmann. 70-Jährige, die im Morgengrauen Sport treiben müssen, um für die Revolution fit zu werden? Das war der Moment, wo ich erkannte, dass mit dem ganzen System etwas nicht stimmen konnte.

War es für Sie als Amerikaner gefährlich auf Kuba?

Wir Journalisten sind oft zu zweit aufgetreten, das gab uns mehr Sicherheit. Ich habe mich mit einem Briten zusammengetan, Logan Gourlay vom „Daily Express“. Seinen Auftrag aus London erhielt er mit einem Telegramm: „Schreiben Sie was über das Sexleben von Fidel Castro.“ Jeden Tag wedelte er mit dem Wisch vor meinen Augen, er fand das sehr lustig. Ich sagte ihm, er solle das Papier lieber sofort verbrennen.

Hat er?

Nein. Wir setzten uns mal in ein Taxi, Logan Gourlay fragt sofort den Fahrer: „Stimmt es, dass Fidel Schneid bei den Frauen hat?“ Der Ärmste war so beschämt, weil dieser Engländer dreckige Geheimnisse von ihm hören wollte. Er war ein Patriot, viele Kubaner hielten große Stücke auf Fidel. Unser Stringer …

… ein einheimischer Kontaktmann …

… forderte Gourlay auf, leise über das Thema zu reden. Eines Morgens konnte ich Gourlay nicht finden, also benachrichtigte ich die britische Botschaft. Der Konsul sagte nur: „Oh, that bloody fool from the Express.“ Offenbar war in der Nacht zuvor der Geheimdienst bei ihm gewesen und hatte ihm acht Stunden gegeben, um das Land zu verlassen. Er packte seine Sache, so schnell es ging, und hat nie etwas über Fidels Sexleben herausgefunden.

Haben diese alten Erfahrungen Ihnen geholfen, die Kubaner in Miami besser zu verstehen?

Ich konnte den Zorn auf Castro nachvollziehen. Viele der Kubaner in Miami waren enteignet und hatten Glück, dass sie aus dem Land herauskamen, sonst wären sie im Gefängnis gelandet.

Sie sind in Miami mit dem früheren Polizeichef, John Timoney, befreundet.

Von Timoney heißt es, er musste nie eine Waffe ziehen, er brauchte nur böse zu gucken, und die Leute waren eingeschüchtert. Der Bürgermeister von Miami holte ihn in die Stadt. Wann immer ein ethnischer Konflikt drohte, stellten sich beide vor die Kameras, und Timoney sagte: „Ich bin der Polizeichef, gebürtig aus Dublin, das ist unser Bürgermeister, gebürtig aus Havanna. Wie können wir Ihnen helfen?“ Das half, die Lage zu entschärfen.

Timoney behauptet: „In New York geht es ums Geld, in Washington um die Macht und in Miami um Sex.“ Stimmt das?

Ich kann nicht für den Polizeichef sprechen. Aber ich bin einmal zur Columbus Day Regatta hinausgefahren. Vornehmlich junge Leute schippern mit ihren Jachten und Booten nach Elliott Key, eine unerschlossene Insel südlich von Miami. Wenn alle angekommen sind, gibt es eine große Party. Die Boote ankern alle nebeneinander, so dass man von einem Deck auf das andere springen kann. Und ja, da habe ich schon einige gesehen, die Sex auf den Jachten hatten.

Sie trugen selbstverständlich Ihren weißen Anzug?

Nein, es war heiß. An jenem Tag trug ich ein weißes Hemd, weiße Hosen und weiße Schuhe.

Was er auf Studentenpartys erlebte

Und wurden sofort als Tom Wolfe erkannt?

Für die jungen Leute war ich nur ein alter Mann, der plötzlich in ihr Revier eindrang. Ein paar Jungs sprangen vom Deck einer Jacht ins Wasser und spritzten mich nass. Ansonsten ließen sie sich kaum stören.

Sie haben die Zeiten der sexuellen Revolution in den 60er Jahren miterlebt. War das nicht wilder?

Nein. Als ich vor einigen Jahren „Ich bin Charlotte Simmons“ geschrieben habe, bin ich auf viele Studentenpartys gegangen. Da haben mir Jungs erzählt, dass sie nicht mehr mit einem Mädchen ausgehen, wenn sie nach viermal Ausgehen nicht zum Zug kommen. Später hörte ich, dass der Zeitrahmen auf zwei Wochen gesenkt worden sei. Neulich habe ich mal einen Studenten gefragt, wie viele Dates er mit Mädchen habe, bevor er mit ihnen ins Bett steige. Er schaute mich nur an und sagte: „Was meinen Sie mit Date?“ Sex ist eine verfügbare Annehmlichkeit geworden. Das war in den 60er oder 70er Jahren nicht so. Ein kluger Deutscher hat diese Entwicklung vorausgesehen, diese Sexualisierung der Gesellschaft: Nietzsche.

Er hat 1880 die Vorzüge des Strands von Genua gepriesen. Da schrieb er: „Unter meinem Schirm still wie eine Eidechse, das hat meinem Kopfe wieder aufgeholfen. Das Meer und der reine Himmel.“

Sehr untypisch für Nietzsche. Ich kann mich nicht an den Strand legen, weil ich sofort einen Sonnenbrand bekomme. Das ist ja für die meisten die größte Faszination: richtig schön braun zu werden. Es geht kaum jemand ins Wasser, alle liegen an Land herum. Bei mir gibt es keine Zwischenstufe von weiß über rot zu braun, ich werde rosafarben wie ein Hummer. Nachts schmerzt alles wie verrückt, am nächsten Tag pellt die Haut. Ach nein, ein Strandurlaub ist nichts für mich.

Tom Wolfe liebte den Jahrmarkt

Als Sie in den 30er und 40er Jahren ein Kind waren, gab es da nicht den Traum vom Urlaubsstrand?

Ich bin in Richmond in Virginia aufgewachsen. Das ist im Inland. Meine größte Attraktion war der jährlich stattfindende Jahrmarkt. Um sechs Uhr morgens gab mir meine Mutter zwölf Nickel, ich ging mit einem Freund den ganzen Tag auf den Rummel, und um sechs Uhr abends kamen wir zurück. Der größte Strand in der Nähe war Virginia Beach, eineinhalb Stunden Zugfahrt entfernt. Mir war der Strand zu demokratisch.

Was heißt das?

Die Menschen fuhren mit ihren Autos direkt ans Wasser, es gab Umkleidekabinen neben den Parkplätzen, jeder ging dahin, egal, ob arm oder reich, jung oder alt. Ich mochte das nicht besonders.

Sie sind ein Anhänger der Status-Theorie: Die Menschen streben danach, einen bestimmten sozialen Status zu erreichen oder ihn beizubehalten. Zählt der Status halb nackt am Meer?

Status zählt überall. Meine Lieblingszeitschrift ist ja der „Simplicissimus“...

... das deutsche Satireheft aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, von dem Sie ein paar Plakate hier in Ihrer Bibliothek hängen haben …

… und darin gab es mal eine Zeichnung von zwei Männern im Badeanzug am Strand. Der eine ist älter und gebrechlich, der andere jung und gesund. Der Alte fragt: Brauche ich ein Schild um den Hals, auf dem steht „Ich bin Multimillionär“? Sein Status ist ihm nach wie vor wichtig.

Sie sind nicht gerade ein Demokrat.

Nicht am Strand. Doch von allen New Yorker Schriftstellern halte ich mich für den größten Demokraten. Die anderen sind großbürgerliche Intellektuelle, die sich aufgrund ihrer Bildung überlegen fühlen – so, als wären sie eine Klasse für sich. Ich kümmere mich um das amerikanische Volk. Wenn ich so etwas sage, werde ich von anderen Schriftstellern als rührselig abgestempelt.

Ärgert Sie das?

Nein, das tut mir nicht weh. Jeder denkt auch, ich bin verrückt, weil ich an einem Buch über die Evolutionstheorie schreibe. Wenn ich davon Freunden erzähle, sagen sie: Oh, wie interessant. Und sind im nächsten Moment eingeschlafen. Ich finde, es ist ein spannendes Thema, wie sich die Gegner und Befürworter an den Universitäten bekriegen. Wenn ich auf Long Island bin, werde ich daran weiterschreiben. Dort kann ich mich gut konzentrieren, weil das Telefon nicht klingelt ...

... und nicht wie hier laufend das Hupen der Autos in Ihr Arbeitszimmer hochdringt.

Mitte Juni ist der Stichtag für die Abreise. Früher begannen zu dieser Zeit die Ferien unserer Kinder. Wir sind Gewohnheitstiere, meine Frau und ich fahren immer noch um diese Jahreszeit raus. Sagen Sie, ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass mit steigenden Temperaturen auch die Zahl der Studentendemonstrationen steigt? Mein Rat an die Regierung: Schließt alle Universitäten ab dem 1. Mai, dann ersparen Sie sich eine Menge Ärger.

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