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Party im Sisyphos.

© Marcel Runge

Trend Open-Air-Partys: Wochenend & Sonnenschein

Berlin ist durch die Love Parade und weltbekannte Clubs seit langem der Ort überhaupt für Technomusik und Partys. Was es früher nur im Dunkeln gab, findet heute unter freiem Himmel und bei Tageslicht statt. Ein 48-Stunden-Report.

Revaler Straße, Friedrichshain, jeder Schritt den Asphalt hinunter ist an diesem Samstag ein Schritt hinein in die Musik. Das Rauschen auf der Warschauer Brücke nur ein paar hundert Meter entfernt, öffnet sich zwischen den Mauern alter Fabrikgebäude: ein Tor.

Dahinter beginnt es. Ein Wochenende anderer Art. Ein offenes, ein luftiges, eines entlang der Basslinien. Feierei unter freiem Himmel – nicht im Dunkel der Clubs, nicht im Dunkel der Nacht.

12 Uhr mittags, hier läuft das Knutschen Open Air. Die Tanzfläche wird von kargen Mauern, kahlen Wänden begrenzt. Die Bässe, die Höhen und Tiefen, hängen in den Bäumen. Daran Discokugeln wie reife Früchte. Noch sind nur die ganz Frühen da, der DJ aber tritt das Soundpedal an den Anschlag. Von der Stadt ist nichts mehr zu hören, nicht die S-Bahn, nicht die Brücke. Und doch ist das hier vor allem, 360-Grad-Blick, ein routinierter Frischluft-Schwof.

Zeit und Ort standen auf Facebook. Kommt alle, wir feiern zusammen. Techno ist ja längst Konsensmusik. Populärschranz. Klar, dass die Open-Airs da keine Heimlichkeiten mehr verkaufen können.

Vor fünf Jahren waren sie noch geheime Schnitzeljagden für nicht ganz erwachsen gewordene Großstadtkinder. Wer mitmachen durfte, eingeweiht, ein Freund von Freunden, bekam GPS-Koordinaten aufs Mobiltelefon und zog los. Meist waren die Orte hinter den Zahlen nicht viel. Eine Lichtung, ein bisschen Sand hinter den Schallschutzwänden der Stadtautobahn, eine Wiese im Treptower Park. Neben den Boxen, mit Planen gegen das Wetter geschützt, verkaufte dann einer Mate und Bier direkt aus dem Kasten heraus.

Die Zeit der illegalen Partys ist vorbei, sagt Paul. Er sitzt jetzt auf der Mauer neben der Bar auf dem Knutschen Open Air und baut sich einen Joint. Er ist gerade erst aufgestanden. Paul stand früher vorn am Tor, entschied: Ja oder nein. Folterte die Wartenden mit Fragen. Seine persönliche Quizshow morgens um halb fünf. Die Hauptstadt von? Wie groß ist? Wann war? Sie wollten rein, er fragte. Sie wurden zappelig, er genoss ihre Ungeduld. Paul war Wächter der Nacht. Er durfte das.

Am Görli darf heute nicht mehr getanzt werden

Ist lange her. Er steht nicht mehr an der Tür, geht kaum noch aus. Bisschen müde geworden, sagt er, nach 16 Jahren Rave und Nacht. Am Tag aber schaut er gern mal vorbei, sitzt auf der Mauer, streut noch ein bisschen Gras ins Gras, schaut sich um und sagt: Früher war das hier mal eine illegale Party, da hat die Mate aber auch nicht 4,50 Euro gekostet.

Dann erklärt er das noch mal. Open Air, wie es war, wie es ist und warum. Sitzt da, einen Plastikbecher Sekt auf Eis in der Hand, fünf Euro mit Pfand, und sagt: Die Leute wollen Geld verdienen. Sagt: Damals sind wir einfach in den Park gegangen. Lautsprecher, Mischpult, fertig. Aber im Görli ist laute Musik heute nicht mehr erlaubt.

Es ist doch ganz einfach, sagt Paul, erst tanzen alle zusammen, die Speedjünger, die Künstler. Finden die Räume dafür, lassen sich dort nieder, werden älter, bekommen Kinder, und schließlich verbieten sie das Tanzen, die Musik. Weil es ihnen zu laut geworden ist. Die Orte von früher, sagt Paul, die gibt es nicht mehr. Dann geht er. Knutschen.

Techno aber, die Musik, die Tänzer haben sich immer und immer wieder neue Orte gesucht, die Brachen dazwischen gefunden. Deshalb braucht die Open-Air- Kultur eine Stadt wie Berlin, die noch ausreichend Winkel bietet, um sich dort einzunisten, in Ruhe wachsen zu können.

Und Berlin braucht die Musik, die Bilder vom Tanz, die Möglichkeit kleiner Fluchten. Weil das ihr vielleicht wichtigstes Exportprodukt ist, der Lockstoff für die Jugend der Welt, die nach Berlin kommt, weil sie hier die Schwere loswerden kann. Für ein paar Tage. Freiluftatmen.

Techno ist bald 30 Jahre alt. Techno hält die Stadt jung. Verändert ihr Gesicht, auch die unmöglichsten Flächen. Denn mittlerweile hat die Raumsuche die Tänzer aus der Innenstadt herausgetragen. Im Sommer lebt der Rave außerhalb des S-Bahnringes. Im Osten. Lichtenberg. Köpenick. Oder, andere Himmelsrichtung, im Tiefwesten, in Spandau.

Es war nur eine Kurznachricht. Info, stand dort. Lichtfetisch, Open Air. Merkt euch den Namen. Am U-Bahnhof oben rechts raus. Richtung Westen. Dann links neben der Spedition auf den Schotterweg. Am Ende des Weges dem Bass folgen! Hinten dran klebte noch ein Smiley.

Jungen halten Feenmädchen an den Händen

Das hörte sich natürlich gleich ganz wunderbar an. Eingeweiht, verboten. Also: schön echt. Ein Open Air wie aus den Erzählungen des Türstehers. Ein Versteckspiel, eine Schatzsuche. Folge dem Bass, diesem weißen Kaninchen für die Ohren. Also raus mit der U-Bahn nach Spandau. Derselben, mit der die Leute sonst fahren, um sich auf der Zitadelle Lana del Rey anzuhören.

Also den Schotterweg runter. Hinein in ein Waldstück, bis da wirklich, ganz plötzlich, der Bass zu hören ist. Sofort Freude. Die Musik, sie lockt. Nimmt an die Hand, zieht hinein. Dort auf einer Lichtung, umringt von jungen Birken, haben ein paar Jungs ein Soundsystem aufgestellt. Daneben das Provisorium einer Bar. Das sieht alles gleich so herzallerliebst zusammengeschustert aus. Die Mate mit Wodka kostet vier Euro. Der Rausch ist noch erschwinglich.

Junge Mädchen sind da, Glitzer auf den Wangen. Feenmädchen. Jungs sind da, die Feenmädchen an den Händen. Und Kalle ist da. Er gehört dazu. Kalle hat das hier im Griff, ist in etwa so alt wie die nicht mehr ganz so jungen Birken. Er kommt zu jedem Open Air, spricht vor allem mit sich selbst. In seinem Gürtel steckt eine Pistole. Selbst geschnitzt. Aus Eiche. Kalle ist ein Indianer, der nicht ganz sicher ist, ob er lieber Cowboy wäre. Aber ihn fragt ja keiner.

Kalle räumt auf. Jetzt, bevor es hier komplett losgeht, harkt er noch schnell die Lichtung, treibt eine Forke durch den märkischen Sand. Muss sein. Ordnung, sagt Kalle. Damit alle tanzen können. In Ordnung, Kalle. Die Forke, die Musik. Kalle macht das. Die jungen Mädchen an den Händen der Jungs lachen. Heute noch Regen, sagt Kalle. In Woodstock standen sie auch bis zu den Knöcheln im Schlamm. Er schaut in den Himmel. Zieht seine Forke durch den Sand.

Hänsel und Gretel auf 130 Beats per Minute

Party im Sisyphos.
Party im Sisyphos.

© Marcel Runge

Als die Dunkelheit die Birken schluckt, die Schemen zu tanzen beginnen, ist die Lichtung voll. Die Jungs und Mädchen legen sich in die Musik, die laut ist, über das Wasser gleitet, aber von mächtigen Mauern an der anderen Uferseite zurückgeworfen wird. So bleibt der Sound, wo er gebraucht wird. Wandert nicht als Verräter zur Straße hin.

In den Bäumen hängen die Lampen wie Glühwürmchen. Die Feenmädchen machen ein Selfie mit Kalle. Gehört dazu. Kalle. Indianer, Cowboy, Birkentroll. Das ist die Utopie: Jeder darf sein, wer er ist. Eine Figur in einem Märchen. Denn Open Air, das ist im Grunde auch etwas Urdeutsches. Es ist die Sehnsucht nach dem Wald, den Fabeln der Kindheit.

Deshalb die Feuerspucker, der Nebel, die Laser. Deshalb die Mädchen, die Glitzerprinzessinnen. In den Händen die Tütchen, darin ihr Feenstaub. MDMA, die Droge für draußen. 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin, in den 90ern mal Ecstasy, damals Pille, heute Kristalle. Die Zauberdroge der Technotänzer. Gehört dazu, wie Kalle. MDMA zieht die Forke durch die Rezeptoren.

Wenn der Bass einsetzt, sie sich jauchzend an den Händen fassen. Hänsel und Gretel auf 130 Beats per Minute. Hier funktioniert das. Die Musik auch, die unter freiem Himmel eine viel schwungvollere ist. Die leicht ist, die Tänzer davonträgt. Open Air, das ist die Bühne dafür.

Am nächsten Tag, am anderen Ende der Stadt, steht deshalb gleich ein ganzes Märchendorf: Sisyphos. Hauptstraße 15, Richtung Köpenick. Hinten Ostkreuz, vorn Schornsteine. Aus der Tram tropfen neue Besucher, Dauergäste, Gegenwelttouristen.

Das Sisyphos ist, was die Bar 25 einmal war – der Ort für jene, die es ernst meinen. Mit dem Tanzen, dem Feiern, den Drogen. Sie kommen am Freitag, vielleicht am Donnerstag schon, und bleiben bis Montag. Das Sisyphos, blickdichter Holzverschlag, strenge Tür aus Eisen, ist ein Ort, um Urlaub von der Realität zu machen. Drinnen eine andere Stadt, ein anderes Land. Als hätte jemand im Wahn die Kulissen für die Karl-May-Festspiele neu zusammengeschraubt. Ein alter Truck, eine Couchlandschaft. In einer Holzhütte gibt es Massagen. In einem Tümpel baden Selbstvergessene. Und in der Mitte tanzen die Menschen im feinen Sprühregen, der ihre Haut benetzt, den Sand in Schlamm verwandelt, in den die Zehen eintauchen.

Kalle hatte ja recht, der Schlamm, auch er gehört dazu. Wie der Märchenblick, der nur entsteht, wenn man alle Brotkrumen vom Weg aufliest, jeden Trank säuft, jedes Kraut schluckt. Ravemutter, warum hast du so große Augen? Dass ich mich besser drehen kann.

Der Tanz ist hier Notwendigkeit. Die Musik rollt heran, die Tänzer springen auf. Bis später. Es muss nach vorn gehen, sagt der DJ. Er ist schon seit Stunden hier. Heute hat er frei, spielt sonst viel im Tresor. Sisyphos ist echtes Wochenende für ihn. Barfuß im Sand, vergessen, was gestern ist, was morgen sein wird.

Zwei neue Freunde drehen auf

Mit dem DJ im Sand: Backfisch und Sonnenschein. Neue Freunde, gerade erst kennengelernt. Auf einem anderen Open Air. Sie mögen sich, gehen nun zusammen, bis sie sich verlieren. Sonnenschein, das Mädchen, tanzt für sich hinter ihrer Sonnenbrille. Backfisch, der Junge, stampft durch den Sand. Spricht mit einer Stimme, die junge Birken zu Nutzholz schleifen könnte. Er sagt: Das Sprachzentrum hat Urlaub. Ist lange schon unterwegs, Tage. Sagt: Natürlich muss man verballert sein. Sonst macht das keinen Spaß.

Backfisch, Bermudashorts, Ray Ban, hat ein bisschen Speed gezogen vorhin. Jetzt raucht er einen Joint. Uppers, Downers. Das Auf und Ab eines solchen Wochenendes. Jetzt aber: auf. Sie wollen noch weiter. In die Rummelsburg. Die liegt nicht weit weg. Vom Sisyphos aus immer geradeaus, bis die Hauptstraße zur Köpenicker Chaussee wird. Kann, wer noch nicht genug hat, hinkriechen. Kann, wer noch kann, mal eben hinschweben.

Trotzdem ist der Weg dorthin ein Spaziergang zwischen den Gegensätzen, von der Möglichkeit eines Märchens hinein in den geordneten Mainstream-Rave. In der Rummelsburg, früher eine Brache, die sich die ersten Raver mit dem Boot erschlossen, findet an jedem Sonntag das Watergate Open Air statt. Auch das natürlich kein Geheimnis. Die Werbung für die Veranstaltung läuft sogar in der U-Bahn.

In der U-Bahn, sagt der DJ, verstehste. Mainstreamiger geht es ja wohl nicht!

Die Rummelsburg ist die Waschstraße unter den Clubs

Die Rummelsburg und das Sisyphos bilden die Pole, zwischen denen sich die Tänzer bewegen, ohne sich dabei ständig zu begegnen. Weil die einen lieber für sich sind in ihrer Welt. Der DJ erklärt es, ganz simpel: Die Raver im Sisyphos ernähren sich von bunten Pillen und Leitungswasser. Er deutet auf die Waschräume hinter der Bar. Er sagt: Die interessiert nicht, was da zwei Kilometer entfernt passiert. Warum sollten sie für 20 Euro Eintritt mit 4000 anderen feiern, mit Burgerstand und Marlboro-Promotion, wenn sie hier genau die Infrastruktur haben, die sie brauchen.

Wenn das Sisyphos das Märchendorf ist, dann ist die Rummelsburg eine industrielle Waschstraße. Durchgetaktet, durchgeschleust.

Das Geldverdienen, von dem Paul, der frühere Türsteher, gesprochen hat, funktioniert auf beiden Seiten. Auch das Sisyphos, das auf dem Gelände einer ehemaligen Hundefutterfabrik steht, ist eine Vergnügungsmaschine. Eintritt: zehn Euro. Den Verstand kostet es ohnehin. Derzeit, hat der DJ erzählt, werden die oberen Etagen des alten Backsteingebäudes ausgebaut. Mit den bereits vorhandenen Tanzflächen wäre das Sisyphos dann der größte Technoclub Europas. Auch das ein Märchen. Vom Dukatenesel.

Der DJ, Backfisch und Sonnenschein gehen trotzdem in die Rummelsburg. Der DJ hat eine Gästeliste. Tatsächlich verändern sich auf den wenigen hundert Metern das Publikum, Kleidung und Pose. Plötzlich sind da Bauchtaschen und rasierte Stiernacken. Aber die Musik stimmt.

Deshalb schiebt Backfisch, der auf dem Weg noch einen Joint geraucht hat, gleich das restliche MDMA hinterher. Den angefeuchteten kleinen Finger erst ins Tütchen, bis genug Kristalle haften bleiben, dann unter die Oberlippe. Er reibt die Kristalle ins Zahnfleisch. Der DJ hat da, im Backfischvergleich, eine eher preußische Einstellung zum Drogenkonsum. Drittelt nun eine Ecstasy-Tablette, gibt ein Stück an Backfisch. Und eines an Sonnenschein. Nimmt das letzte selbst. Er sagt: Das dürfte jetzt zwei Stunden wirken. Genau richtig. Nach vorn, aber nicht zu viel. Langsam raus aus der Musik. Er muss ja am Montag wieder arbeiten.

Backfisch wird am Montag barfuß nach Thüringen laufen. Dort ist ein Techno-Festival. Sonne, Mond und Sterne. Natürlich unter freiem Himmel.

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