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Stephan Hentschel, Küchenchef in Cookies Cream in Berlin Mitte.

© Mike Wolff

Vegetarisch kochen mit Stephan Hentschel: „Pommes mit Mayo hat mich echt geflasht“

In Küchen mit Fleisch geht es martialischer zu, sagt er und kocht vegetarisch. Stephan Hentschel über Saucen auf dem Plattenspieler und Stammgast Tom Hanks.

Stephan Hentschel, 35, ist Chefkoch im Berliner Restaurant „Cookies Cream“, wo er seit acht Jahren mit vegetarischem Essen Furore macht – im Hinterhof neben der Komischen Oper. Der Sachse betreibt nebenbei mit Freunden das Burger-Lokal „Volta“ im Wedding

Herr Hentschel, Sie sind Chefkoch im angesagtesten vegetarischen Restaurant des Landes. Was können Sie denn am besten?

Fleisch!

Sie wollen uns veralbern.

Nein. Das habe ich von der Pike auf gelernt. Alles, was ein Jäger frisch anliefert: Wie zerlegt man ein Reh? Wie holt man das Optimale aus einem Hasen heraus? In der Lehre wurde mir eingetrichtert: Hab Respekt vor den Tieren, geh ordentlich mit ihnen um!

Heute streicheln Sie Möhren.

Spotten Sie ruhig. Ich habe gern aus Knochen und Abschnitten Saucen gekocht, war ein leidenschaftlicher Saucier. Ich konnte gute Braten machen, hatte ein perfektes Timing beim Filet. Auch in der vegetarischen Küche sind Saucen meine Stärke.

Diese Erfahrungen mit Fleisch helfen Ihnen bei Kohlrabi und Wirsing weiter?

Als ich vor acht Jahren damit anfing, gab es kaum vegetarische Kochbücher oder Kollegen, die sich intensiv mit Gemüse beschäftigt haben. Erst nach und nach wurde klar, dass man vom Fleischschmoren, -anrösten oder -im-Ofen-Garen einiges übertragen kann. Man kannte schon lange Fisch in einer dicken Hülle aus Salz, dasselbe mache ich heute mit Knollensellerie. Rote Bete wird in Alufolie eingeschlagen und kommt bei 160 Grad in den Ofen – ähnlich wie ein Braten.

Fleisch ist gut erforscht, man weiß, wie die Oberfläche auf Hitze reagiert, ab wie viel Grad sich das Eiweiß verändert, misst die Kerntemperatur. Dagegen ist ein Teltower Rübchen Terra incognita.

Michael Hoffmann war in seinem Margaux am Brandenburger Tor der Erste in Deutschland, der ganz tief in die Materie eingedrungen ist. Er hat mit Gemüse experimentiert, es fermentiert, Blätter und Beeren getrocknet, pulverisiert, mariniert. Es gab noch ein, zwei gestandene Köche, die vegetarische Gerichte hatten. Bei denen habe ich gegessen, mit denen habe ich geredet. Hoffmann ist sehr schonend mit den Produkten umgegangen und hat sie wunderbar auf dem Teller angerichtet. Ich bin zu Michael Kempf

… der heute im Facil zwei Michelin-Sterne hat …
… und schaute ihm wochenlang über die Schulter. Er bringt eine angenehme Leichtigkeit auf den Tisch, nutzt exotische Gewürze. Piment d’Espelette, Baharat, Djah Oftadeh. Kempf hat mich dann das erste Jahr im Cookies Cream beraten und beim Entwickeln der Speisekarte geholfen.

Stephan Hentschels Rezept für ein vegetarisches Drei-Gänge-Menü können Sie hier als pdf runterladen - in der Bildergalerie können Sie sich die illustrierte Anleitung anschauen:

Sie sind doch Konkurrenten?

Unter den Köchen in Berlin gibt es wenig Ellbogenmentalität und viel Solidarität. Und wir waren beide jung, ich 26, er drei Jahre älter. Wir haben bei denselben Bauern im Umland eingekauft, ich bin rausgefahren und stöberte herum: Was können die anbauen, und wie geht man damit um? Zum Beispiel Malabarspinat, den kannte kein Mensch. Das ist ein dickblättriger Spinat, der wird kurz angeschmort und fällt nicht zusammen, fast wie Spitzkohl. Ein Bauer hatte plötzlich Hörnchenkürbisse, die gab er mir testhalber mit, also musst du was draus machen. Ich hab die dann eingelegt.

Der aktuelle Gastronomieführer „Gault Millau“ kritisiert die neue Technikverliebtheit: „Mit Vakuumgerät, Rotationsverdampfer, Thermomix und Pacojet gleichen viele Küchen heute hochgerüsteten Versuchslaboren.“ Bei Ihnen stehen zwei uralte Gasherde herum, das war’s.
Ich brauche diesen Hightech-Kram nicht. Ich stehe auf klassische französische Schmorkunst, bei der einem der Duft in die Nase steigt. Klar, ich benutze auch Lecithin aus Soja, damit der Schaum schön stabil stehen bleibt.

Sie sind nie zu Ferran Adrià oder Heston Blumenthal gepilgert, den Göttern der Molekularküche?
Leider nein. Aber im Noma war ich, in Kopenhagen. Sehr inspirierend. Da stand ein Gedeck auf dem Tisch wie ein Blumenstrauß, der Kellner stellt einen Dip hin und sagt: Es kann losgehen. Da guckst du erst mal blöd. Dann erklärt er, man kann die Stängel nehmen, in den Dip tunken und essen. Aha. Steckrüben haben die wie Pappardelle geschnitten, das fand ich interessant. Man kopiert es ja nicht, aber es hat mich angeregt, mal Ravioli aus Steckrüben zu machen. Wir hatten auch schon Köche vom Noma hier zum Arbeiten und haben von uns welche hingeschickt.

"Jamie Oliver war gerade hier"

Stephan Hentschel, Küchenchef in Cookies Cream in Berlin Mitte.
Stephan Hentschel, Küchenchef in Cookies Cream in Berlin Mitte.

© Mike Wolff

Was lernen die im besten Restaurant der Welt?

Disziplin, Disziplin, Disziplin.

Daran fehlt’s hier?
Unsere Basis war der legendäre Club Cookies, da gingen die Leute zum Feiern hin. Das Restaurant einen Stock höher kam dazu, weil der Chef schon ewig lange Vegetarier ist und so etwas wollte. Glauben Sie, wir jungen Kerle sind nach der Arbeit schnurstracks nach Hause? Wir haben mal eine Nacht durchgetanzt und dann direkt wieder gearbeitet. Ich war auch DJ und habe im Club aufgelegt. Über die Jahre hat sich die Küche kulinarisch entwickelt, wir sind erwachsener geworden.

In Ihrer Restaurantküche haben wir einen Plattenspieler entdeckt, ein ziemlich ramponiertes Ding.

Der dreht sich noch. Da stellen wir Teller drauf und zaubern kreisförmige Saucenspiegel, die kriegt man sonst nicht so gleichmäßig hin. Aktuell machen wir auf dem Plattenspieler eine Spirale aus Sonnenblumenkerncreme, dazu geräucherte Topinambur, Sauce von Brunnenkresse und Senf.

Daran laben sich dann junge Hipster aus aller Welt und in die Jahre gekommene Prominente, wenn man sich Ihr Publikum so anschaut.
Sie haben tatsächlich ganz knapp Jamie Oliver und Tim Mälzer verpasst. Pink Floyd waren hier essen, die Pet Shop Boys, Tom Hanks kommt zu uns, wann immer er in der Stadt ist, und der Bösewicht aus „Matrix“ wohnt fast hier, wenn er in Berlin einen Film dreht. Wie heißt der nochmal? Hugo Weaving! Das Cookies Cream ist im Ausland bekannter als manches Sternelokal. Der Club hat einfach viele Jahre Leute aus den Branchen Mode, Musik und Film angezogen.

Sie selbst kommen unüberhörbar aus Sachsen. In der Kindheit prägt sich der Geschmack – Sie sind vermutlich mit Soljanka, Würzfleisch und Broiler aufgewachsen?
Als kleines Kind habe ich nie richtig gegessen, dann haben sie mich mit fünf Jahren zur Kur nach Moritzburg geschickt, und es wurde besser. Kartoffel mit Quark, das mochte ich. Und das Shakshuka meiner Oma, nur sagte sie Tomatenei dazu. Da wird eine Tomatensauce gekocht, leicht süßlich mit Karotten, es kommen Eier rein, Deckel drauf und stocken lassen. Zweimal im Jahr wurde bei Oma ein Schwein geschlachtet und zerlegt, sie hatte einen Bauernhof. Das fand ich nicht iiiiiih!, das war ein schönes Fest. Ich liebte es, die heiße Wurstbrühe zu trinken.

Weihnachten in Riesa, wonach roch es da?
Am Heiligabend gab’s Würstchen und Kartoffelsalat, am ersten Feiertag duftete es nach Gans, an Neujahr nach Karpfen blau, den fand ich sensationell. Mutter hat die Kartoffeln für die Klöße selbst gerieben, so Fertigmischungen gab es in der DDR nicht.

Und da hatten Sie das Erweckungserlebnis: Ich will Koch werden!
Nein, nein. In der Realschule mussten wir zwei Praktika machen, das erste war als Installateur auf dem Bau, Winter, bitterkalt. Beim nächsten kam ich in ein Hotel, mollig warm, lecker Essen. Besser geht es nicht, dachte ich. Zur Lehre bin ich in Ladbergen gelandet, Gasthaus zur Post, das gehörte einem weltläufigen Kempinski-Manager, gutbürgerliche Küche. Wir Köche haben Pilze gesammelt, Grünzeugs im Garten angepflanzt, ich habe in der Saison alle paar Tage 20 Fasane, 40 Enten und zwei Rehböcke auseinandergenommen. Und was macht ein schüchterner, rothaariger Sachse in der Fremde mit seiner Freizeit? Er arbeitet. Ich hatte 300 bis 400 Überstunden im Jahr. Dann lockte mich das Nachtleben von Berlin an, und ich bin geblieben.

Ihr unvergesslichstes Essen?
Pommes mit Mayo. Meine Mutter war schon vor der Wende selbstständige Floristin mit zwei Geschäften, mit ihr fuhr ich aus dem Tal der Ahnungslosen mal nach Mönchengladbach. Ich hatte noch nie so eine Bude gesehen. Pommes, Mayonnaise – das hat mich echt geflasht!

Heute noch auf der Zunge …

… ist der Geschmack von Tofu. Ich war im März in Japan, kleines Städtchen, da schneiden in einer Art Bäckerladen zwei alte Frauen frischen Tofu im Wasser, den isst du frisch aus der Hand, ein Wahnsinn.

Tofu schmeckt doch nach nichts.
Quatsch. Der schmeckte nach Kräutern, Wiese, Champignons, nach Meer. Zehn Tage lang war nur essenessenessen, Entenmuscheln, fermentierte Gurke, Kobe-Rind … Oh, ich wäre gern einmal im Jahr in Japan.

Was ist unterschätzt?
Salat. An dem sieht man, ob die Küche funktioniert. Ist er ordentlich gewaschen, sorgfältig gezupft, fein mariniert?

"Schnittlauch! Seine pikante Schärfe kickt alles"

Stephan Hentschel, Küchenchef in Cookies Cream in Berlin Mitte.
Stephan Hentschel, Küchenchef in Cookies Cream in Berlin Mitte.

© Mike Wolff

Und überschätzt?
Rinderfilet.

Ihr Liebling?
Schnittlauch. Seine pikante Schärfe kickt alles.

Sie erzählen das sehr enthusiastisch, Herr Hentschel. Dabei, mal ehrlich, haben Sie einen Scheißjob.
Ich? Warum?

Schauen Sie nur mal Ihre Finger, Hände und Unterarme an. Schnittwunden, Risse, Verbrennungen.

Das geht doch noch. Früher habe ich mir am Grill die ganzen Haare abgesengt. Was wirklich etwas asozial ist, sind die Arbeitszeiten. Wir haben ja den Club unten geschlossen und in dem Raum vor einem Jahr das „Crackers“ aufgemacht, ein zweites Restaurant, mit Fleisch, für das ich auch verantwortlich bin. Und dann habe ich mit Freunden noch einen eigenen Laden im Wedding, das „Volta“, ich wohne fast gegenüber. Im letzten Jahr habe ich bestimmt 120 Sonnenaufgänge gesehen. Gesund ist das nicht, ich weiß schon.

Der „Gault Millau“ hat Sie gerade mit 15 von 20 Hauben ausgezeichnet und schwärmt von „Wachtelei in Brioche auf karamellisierten Schalotten, einem Dach aus kräftig getrüffelter Kartoffelcreme und Portweinjus“. So haben Sie anfangs sicher nicht gekocht.
Nein, die erste Idee war: Purismus. Drei Komponenten pro Teller. Kartoffeltarte, grüne Bohnen, Jus. Parmesanknödel, Karotten, Zitronensud. Klare Philosophie.

Das ging gut?
Die ersten drei Monate haben sie uns die Bude eingerannt, ich hab’ allein gekocht und bin rumgehüpft wie ein Irrer. Dann ging die Mäkelei los. Wir wollen Fleisch! Die Stadt war nicht reif für rein vegetarisches Fine Dining. Einen Sommer mussten wir schließen, so schlecht lief es. Das hat sich ebenso geändert wie meine Küche. Die Bauern kamen mit neuen Kräutern …

Vorhin wurde frisch geliefert: Gartenkresse, Sauerampfer, Postelein, Senfkohl, Hirtentäschle, Gundermann, Spörgel, Klettenkraut, Taubnessel, Schafsgarbe und vieles andere.
… und daraus habe ich Essenzen gezogen. Wir fingen an, Karotten nicht mehr ins Wasser zu schmeißen, sondern mit diversen Ölen und Gewürzen luftdicht einzuschweißen und sorgsam zu dämpfen. So nimmt das Gemüse Aromen auf, anstatt die eigenen ans Wasser abzugeben. Blumenkohl hab ich im Ofen geschmort. Als Gemüsekoch warst du wie ein portugiesischer Entdecker, der aufs Geratewohl übers Meer gesegelt ist. Mal schauen! Irgendetwas Überraschendes wird auftauchen. Manchmal geht halt auch ein Schiff unter.

Womit sind Sie denn havariert?
Grünkohl. Ich habe Blätter klein geschnitten und aufs Blech gelegt. Die kamen aus dem Ofen, die Ränder verbrannt, ein Teil war weich, ein anderer roh. Schmeckte grauenhaft. Heute macht jeder Grünkohlchips – der große Trend.

Das ist ja die Gefahr bei der vegetarischen Küche: dass man am Ende nur noch Weiches auf dem Teller hat, Kost für Zahnlose.
Ich will Gemüse mit Biss. Und irgendeinen Knusper finden Sie an den meisten meiner Gerichte: Nüsse, Gebäck, Gimmicks wie Popcorn oder gepuffte Erbsen, die frittiert und getrocknet werden und krachen im Mund.

Vegetarisch heißt oft: Tofuwürstchen, Körnerbuletten, Seitanschnitzel, sogar einen nachgebauten Truthahn gibt es.
Davon halte ich nichts. Bei uns gilt die Regel: keine Pasta, kein Reis, kein Tofu. Wir sind nicht in Italien und nicht in Asien, wir wollen unverwechselbar sein. Damit bist du als Koch aufs Wesentliche zurückgeschmissen: Gemüse, Kräuter, Salate.

Vor acht Jahren waren Sie Avantgarde, nun hat das US-amerikanische Magazin „Saveur“ Berlin gerade zur „vegetarischen Hauptstadt der Welt“ gekürt. Wie konnte das passieren?
Ich war auch verblüfft, die haben 300 Imbisse und Restaurants mit vegetarischem Essen gezählt. Es sind irrsinnig viele, sehr gut ausgebildete junge Köche in die Stadt gekommen, aus Peru, Japan, Mexiko, aus Afrika, und jeder bringt neue Ideen, Gewürze und Zutaten mit. Die Stadt ist viel internationaler geworden. Und die Vielfalt der Produkte ist enorm gewachsen. Früher musste ich Romanesco bestellen, heute kriege ich ihn jede Stunde frisch. Erdbeerminze ist nichts Exotisches mehr.

In Ihrer Küche stehen auch ein paar Frauen, in vielen Restaurants ist das bis heute nicht selbstverständlich.
Ich mag mit Frauen arbeiten, da ist immer eine ruhige Küche. Auch wenn ich nicht da bin, weiß ich: Gut, die Frauen sind da, da können die Jungs nicht so rumspinnen und Krawall machen. Wobei man in Küchen mit Fleisch auch anders miteinander umgeht – da geht es martialischer zu, du zersägst Knochen, zerlegst Fleisch, da ist auch der Witz ein anderer, hart an der Grenze.

Und was ist das Ziel? Ein Michelin-Stern?
Das wird wohl nichts, wir hauen an guten Abenden Teller für 120 Gäste raus. Nein, wir haben jetzt gerade die Gemüsegärten von Michael Hoffmann übernommen und vergrößert, ein Bauer bearbeitet sie für uns. Davon träume ich schon lange. In ein, zwei Jahren könnten 80 Prozent unserer Ware aus eigenem Anbau kommen. Das ist doch geil!

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