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Axel Schloffer in Kitchener, ehemals Berlin. Die Stadt veranstaltet das größte Oktoberfest Kanadas

© Axel Schloffer

Von Südafrika bis Schleswig-Holstein: Dieser Kreuzberger reist zu allen Berlins der Welt

Mehr als 130 Berlins soll es rund um den Globus verteilt geben. Axel Schloffer hat es sich zur Aufgabe gemacht, sie alle zu besuchen.

Von Markus Lücker

Nach tagelanger Suche stand Axel Schloffer mitten in Berlin. Nur gab es hier kein Neukölln und keinen Alexanderplatz, sondern bloß eine Straße, einen Laden und eine Kneipe. Ein Dorf auf Jamaika, dass sich mit der deutschen Hauptstadt nicht mehr als den Namen teilt. Wie es der Name Tausende Kilometer über den Atlantischen Ozean bis auf die Karibikinsel geschafft hatte, blieb zunächst ein Rätsel.

Neun Jahre ist das her, erzählt Schloffer. Seit jener Reise 2011 ist der Kreuzberger auf der Suche nach allen Berlins auf diesem Planeten. Rund 130 Stück davon soll es weltweit geben. Mehr als die Hälfte hat er bereits besucht. Von Schleswig-Holstein bis nach Südafrika war er dafür unterwegs. Fast alle Bundesstaaten der USA hat er befahren. Nicht selten endeten seine Touren dabei in irgendeinem Kaff, das aus kaum mehr als ein paar Bauernhöfen und einem Ortsschild bestand – wenn überhaupt.

Doch sind es weniger die Sehenswürdigkeiten, sondern vielmehr die Geschichten der Orte, die den großgewachsenen 43-Jährigen antreiben. Sie berichten von Migrationsbewegungen in den amerikanischen Westen, von religiösen Minderheiten auf der Flucht und diplomatischen Verstrickungen.

So wie in Connecticut, wo das Berlin angeblich seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs „Böörlin“ ausgesprochen wird, mit Betonung auf der ersten Silbe. Der Erzählung nach wollte die Kleinstadt damals auf Distanz zu seinem deutschen Erbe gehen. Doch ein geänderter Ortsname hätte bürokratischen Aufwand und Kosten für neue Schilder bedeutet. Als Kompromiss beschloss man, lediglich die Betonung zu verschieben. Oder so wie in Ohio, wo Auswanderer Anfang des 19. Jahrhunderts ein Berlin gründeten – heute Zentrum der größten Amish-Gemeinde in den Vereinigten Staaten.

Eine Verbindung nach Hause

Während sich andere zu Hause die Fotos von ihrem Venedig-Wochenende einrahmen, hat Schloffer eine ganze Privatbibliothek über seine Urlaubsziele zusammengetragen. In seinem Arbeitszimmer steht eine Regalwand, vollgestopft mit historischen Dokumenten, Reisetagebüchern und Fahrtrouten. Im Flur lagert er Tüten mit abgelaufenen Chips der Marke „Snyder of Berlin“, hergestellt in Pennsylvania. An einer Tafel hängt ein Magnet als Souvenir mit der Aufschrift „New Berlin – The Way Life Should Be“.

Im Bundesstaat Illinois der USA stehen gleich mehrere Optionen zur Auswahl.
Im Bundesstaat Illinois der USA stehen gleich mehrere Optionen zur Auswahl.

© Axel Schloffer

Ursprünglich stammt das Wort Berlin aus dem Slawischen. Abgeleitet von dem Begriff „berlo“ bedeutet es „Ort am Sumpf“. Auswanderern diente der Name jedoch weniger als Beschreibung von Bodenbeschaffenheiten, sondern als emotionale Verbindung zum zurückgelassenen Zuhause. „New-Germany war vermutlich vielen zu pompös, stattdessen musste die Hauptstadt herhalten“, sagt Schloffer.

Sein eigener Blick auf Berlin, das in Deutschland, ist im Vergleich dazu nüchtern. Zwar hat er fast sein gesamtes Leben in der Stadt verbracht, als Lokalpatriot würde er sich aber nicht beschreiben. Auf seinen Reisen habe er gelernt: „Im Prinzip funktioniert das Leben doch überall gleich.“ Das heißt: Aufstehen, Frühstücken, zur Arbeit gehen, Sport treiben, abends Freunde treffen, schlafen. Da unterscheide sich dieses Berlin nicht groß von dem auf Jamaika.

Auf dem Berlin Raceway in Michigan drehen Rennwagen ihre Runden.
Auf dem Berlin Raceway in Michigan drehen Rennwagen ihre Runden.

© Axel Schloffer

Statt Ausdruck von Heimatverbundenheit sind die Orte für ihn ein Mittel, um sich von der traditionellen Touristenmentalität zu befreien – Schluss mit Urlaub nach dem Vorbild von Reiseführern und Top-Ten-Listen für Wahrzeichen. Für authentische Erlebnisse fahre er lieber in die Pampa, auch wenn ihn dort möglicherweise Enttäuschungen und Langeweile erwarten. Die üblichen Highlights wie New York City oder die Niagarafälle könne er auf dem Weg dorthin immer noch abhaken.

Was sagt die Familie?

Für den Sommer steht der vorerst letzte Trip in die USA an, dann hat er die Vereinigten Staaten komplett. Anschließend will er eventuell ein Buch schreiben. Auf seinem Blog „1000xBerlin“ hat der Familienvater bereits einige seiner Erlebnisse dokumentiert. Eigentlich arbeitet er für eine Fluggesellschaft. Sein Wissen über die Branche helfe ihm dabei, Reisekosten niedrig zu halten.

Das Berlin in New Jersey lässt nur bedingt Hauptstadtgefühle aufkommen.
Das Berlin in New Jersey lässt nur bedingt Hauptstadtgefühle aufkommen.

© Axel Schloffer

Was seine Frau und seine zwei Söhne von der Sammelleidenschaft halten? „Das geht überraschend gut“, sagt Schloffer. Dafür gibt es Regeln: Einmal im Jahr dürfe er allein auf Berlin-Expedition gehen, für alle anderen Ausflüge müsse ein Kompromiss her, der alle gemeinsam zufriedenstellt. Dann stellen sich Fragen wie: Gibt es in dem winzigen Berlin mit 500 Einwohnern auch Unterhaltungsprogramm für die gemeinsamen Kinder?

Die Fähre „Berlin Nakroma“ ist häufig im Hafen von Osttimors Hauptstadt Dili zu sehen.
Die Fähre „Berlin Nakroma“ ist häufig im Hafen von Osttimors Hauptstadt Dili zu sehen.

© Axel Schloffer

Also wird verhandelt. Müssen es wirklich drei Tage Zwischenstopp in San Francisco sein? Er alleine würde einfach an der Küstenstadt vorbeifahren, sagt Schloffer, obwohl er noch nie dort war. Lieber noch ein weiteres Berlin anschauen und ein weiteres Rätsel knacken.

Das um den winzigen Ort auf Jamaika konnte er schließlich doch noch lösen. Von Ortsansässigen erfuhr er, dass wahrscheinlich deutsche Schiffbrüchige einst den Ort gründeten. Darunter war wohl auch ein gewisser „Mr. Berlin“. Früher habe hier eine Plantage mit seinem Namen existiert. Überwucherte Überreste lassen sich noch heute finden. Ein Blick in die Archive des Londoner University College ergibt ein genaueres Bild. Demnach sollen zeitweise annähernd 1000 Sklaven auf dem Gelände gearbeitet haben. Auch das gehört zum Rätsel der Berlins.

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