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Tom Weitzmann (links) ist Dozent am einer Kunsthochschule, über ein Filmprojekt lernte er Nobbi Dickel kennen.

© Tom Weitzmann

Vor dem BVB-Spiel: Das Senf-Orakel

Es geht um die Wurst: Vor jedem Heimspiel des BVB pflegen Nobbi Dickel und seine Freunde ein Ritual. Tom Weitzmann hat den Fotobeweis. Ein Protokoll.

Aberglaube gehört im Fußball dazu. Ich trage deshalb bis heute mein allererstes Trikot. Gewaschen wird es nur ungefähr einmal im Jahr, was aber nicht schlimm ist, weil ich ja keine Flecken drauf mache. Damit sind wir schon beim Senf-Orakel. Das gibt es seit 2013.

Wenn man jede Woche eine Wurst isst, lernt man irgendwann, die richtige Bratwursthaltung einzunehmen. Leicht vorgebeugt, damit nichts auf die Kleidung tropft. Also kleckst es auf den Boden. Nach einer Weile habe ich angefangen, das zu fotografieren. Ich fragte mich, ob die Flecken eine Bedeutung hätten oder man nicht etwas da reininterpretieren könnte. Nach ein paar Monaten war der Brauch etabliert. Das Orakel hat übrigens immer recht, wir interpretieren es nur ständig falsch. Hat der Ketchup-Anteil einen positiven oder negativen Einfluss? Gibt es Multiplikatoren? Welche Rolle spielt die Anzahl der Personen?

Unbewusst nehmen wir vielleicht auch Einfluss auf das Ergebnis. Einer aus der Runde hat einen exorbitanten Senfkonsum. Was aber meiner Ansicht nach nicht unbedingt dazu führt, dass er mehr kleckert. Der Senf hat seinen eigenen Willen. Ich glaube, wenn man nur ein bisschen drauf tut, kann das eine Menge klecksen und umgekehrt. Was bei mir niemals auf die Wurst kommen würde, ist Ketchup. Das schmeckt mir nicht, und ich vermute, dass die Ketchupmenge das Ergebnis nicht unbedingt positiv beeinflusst.

Die ganze Aktion ist zwar kurzzeitig eine große Sauerei, die Flecken, die dabei entstehen, werden jedoch von 80 000 Fans mit den Schuhen ins Stadion getragen und dort verewigt.

Das Spiel selbst schaue ich mir im Stadion gar nicht an

Die Tradition hinter dem Orakel ist schon um einiges älter. Nobbi und ich haben uns über ein Filmprojekt kennengelernt und angefreundet. Bei der Siegerwurst bin ich seit 2008 dabei. Anfangs waren wir meist zu dritt, heute sind wir im Schnitt sechs bis acht Leute. Das macht es unterhaltsam, aber auch hektisch. Zumal ja alle paar Minuten jemand ein Selfie mit Nobbi Dickel machen will. Wir treffen uns immer zwei Stunden vor Anpfiff, bei jedem Heimspiel, egal ob Pokal, Liga oder Champions League, egal ob Samstag, Sonntag oder Mittwoch. Anfangs standen wir noch bei Strobl’s am Wurststand. Später hatte der BVB einen eigenen Stand, über die Jahre haben wir uns an den verschiedensten Ecken des Dortmunder Stadions rumgetrieben. Weit weg konnten wir ja ohnehin nie, da viele der Jungs und Mädels aus der Runde beim BVB arbeiten und an so einem Spieltag natürlich extrem eingespannt sind. Und Nobbi sowieso.

Für mich ist es gar nicht so einfach, immer pünktlich da zu sein. Ich komme von Kassel hergefahren, das dauert je nach Verkehr zwei bis zweieinhalb Stunden. Ich muss immer früher da sein, weil die Wurstbude innerhalb der Stadionabsperrung steht. Da muss mich jedes Mal erst jemand aufs Gelände bringen. Ich habe ja keine richtige Karte. Zu spät war ich aber noch nie, ich verpasse auch höchstens ein bis zwei Partien pro Jahr, wenn ich meinen Urlaub doof geplant habe zum Beispiel.

Das Spiel selbst schaue ich mir im Stadion gar nicht an. Das ist vor einigen Jahren so gekommen, als ich mal zwei Spiele angeschaut habe und Dortmund beide verlor. Da sagte ich zu Nobbi: „Ich glaube, ich tue dem Spiel nicht gut.“ Er antwortete mir: „Kein Problem, dann hast du jetzt Stadionverbot.“ Also fahre ich nach der Wurst heim und höre mir das Spiel im Netradio an. Manchmal schreibe ich Nobbi dann Nachrichten bei WhatsApp. So unterhalten wir uns während der Partie. Und von Zeit zu Zeit baut er meine Nachrichten auch in seine Kommentare ein. Auch eine Form der Kommunikation.

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