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Hoch hinauf. In den bayerischen Bergen gibt es heute rund 1400 Almen, auf denen die Jungrinder grasen.

© Ludwig Hörth

Wandern in Bayern: Der Senner von der Königsalm

Der Bach rauscht, Spechte trommeln, Kuhglocken läuten. Nirgendwo fühlt sich Andreas Mehringer so wohl wie hier - wo einst Sisi saß.

Wie still es hier nachts ist. Nichts übertönt die Gedanken. Da muss der Mensch sich selbst aushalten. Andreas Mehringer kann das. Seit vier Jahren bewirtet er von Anfang Juni bis Ende September die Königsalm bei Kreuth. Seine Tage beginnen, wenn die Sonne aufgeht, und enden mit der Dämmerung. Strom hat Mehringer keinen in seiner Hütte.

Die Alm in Oberbayern gehört zum Besitz der Wittelsbacher, einem Adelsgeschlecht, das jahrhundertelang die Könige von Bayern stellte. Deshalb weilte schon die junge Sisi im Kavaliershaus, in dem heute der 31-jährige Senner mit Hirtenhut, Hemd und grau gestrickter Weste sitzt. Im Glas eines Fensters soll die spätere Kaiserin von Österreich ihre Initialen eingeritzt haben. Maximilian I., König von Bayern, ließ das Gebäude zu Beginn des 19. Jahrhunderts errichten. Ein fast quadratischer Grundriss mit einem gemauerten Sockel und hölzernem Obergeschoss. Unten Küche und Gaststube, oben die Schlafzimmer von Mehringer und einer Sennerin, die sich um die Bewirtung der Wanderer kümmert.

Um sechs Uhr in der Früh, erzählt Mehringer, steht er auf. Wie kalt es 440 Meter über dem Talgrund manchmal ist! Der Senner geht die Treppe runter, in die Hinterstube, zündet Holzscheite im Ofen an. „Dann geht’s zu de Viechern“, sagt er im Dialekt. „Kontrolliern, ob’s Verletzungen anne Haxe ham oder an de Augen.“

82 Rinder von Bauern aus dem Dorf grasen hier oben und zehn Haflinger der Herzogin Helene.

Sie war es auch, die ihren Jäger, Andreas Mehringer, fragte, ob er nicht die Arbeit übernehmen wolle. Der alte Senner war erkrankt, und da Mehringer bereits als Kind seine Tage gern im Stall verbracht hatte, sagte er zu. Die Stelle kam ihm gelegen. Er hatte eine Lehre zum Zimmermann absolviert. Der raue Umgangston in der Werkstatt, das ständige Getriebensein, beides lag dem jungen Mann nicht. „Die Leute sind immer so ungeduldig“, sagt er. Auf der Alm treibt ihn niemand an, obwohl er mehr Jobs ausfüllen muss als früher: Handwerker, Gärtner, Landwirt, Tierarzt, Gastronom.

Er lebt in den Bergen, die Freundin im Tal

Das Wort Alm beziehungsweise Alpe stammt vom lateinischen alpis, was Hochweide im Gebirge bedeutet. Schon seit Jahrhunderten treiben die Menschen ihr Vieh hinauf. Während es oben frisst, ernten die Landwirte unten Heu und lagern es ein. Heute gibt es in den bayerischen Bergen rund 1400 Almen, auf denen die Jungrinder grasen.

Wer von Kreuth zur Königsalm wandern möchte, braucht drei, vier Stunden. Der Hinweg ist zunächst flach, steigt dann bis zur gemauerten Geißalm an. Von dort geht es durch den Klammgraben wieder taleinwärts, über einen Bach, bis zur Königsalm, mit Blick auf die Blauberge.

Mehringer ist Handwerker, Gärtner, Landwirt, Tierarzt und Gastronom.
Mehringer ist Handwerker, Gärtner, Landwirt, Tierarzt und Gastronom.

© Marie Rövekamp

Andere Touren führen Wanderer durch die felsige Wolfsschlucht hoch zum Schildenstein oder zum Hirschberg – der ist beliebt bei den Münchnern, die nur 60 Kilometer südwärts fahren müssen, um nach Kreuth zu gelangen.

Auf der Straße im Tal knattert ein Traktor, oben auf der Alm rattert höchstens ein Generator. Mit dem lädt der Senner Batterien auf. Mehringers Freundin lebt unten in Kreuth, in der gemeinsamen Doppelhaushälfte. „Manchmal“ komme sie zu Besuch, aber meist sind sie den Sommer über voneinander getrennt.

Hört Andreas Mehringer den rauschenden Bach, die Spechte, Waldkauze, Hirsche, breitet sich Zufriedenheit in ihm aus. Ihm fehlt die große Welt nicht. Fernsehen, Internet, „sind nicht so große Opfer“, findet er.

Wo sonst sieht er einen dermaßen klaren Sternenhimmel, erlebt er ein derart gewaltiges Gewitter. Die Luft ist so sauber, dass sie ein Heilklima-Gütesiegel bekommen hat. Bei Wind klingt es nachts, als würde jemand um das Haus schleichen. „Schon unheimlich“, sagt Mehringer.

Im Tal verfällt das Wildbad Kreuth

Die Königsalm von vorne.
Die Königsalm von vorne.

© Marie Rövekamp

Im Tal verfällt das Wildbad Kreuth. Im Wildbad, einem klassizistischen Gebäudekomplex, hielt die CSU bis 2016 ihre Klausuren ab. Mehr als 40 Jahre lang. Eigentlich sollte das Areal nun wieder zum Kurbad werden, das im 19. Jahrhundert schon Zar Nikolaus I. anzog. Doch es steht leer. Verkaufen will Herzogin Helene den Familienbesitz nicht, ihre Pläne kennt niemand in der Gemeinde.

Auf der Königsalm hört Andreas Mehringer von solchen Problemen wenig. Mittags muss er zusehen, dass die Gäste ihre Schnittlauch-, Griebenschmalz- und Käsebrote bekommen. Ihren Apfel-Streusel-Kuchen. Kehren 200 Besucher am Tag ein, schiebt die Sennerin neun, zehn Bleche in den Holzofen.

Früher kümmerten sich Familien um eine Alm. Inzwischen bewerben sich Menschen aus unterschiedlichen Berufen um eine Hirtenstelle. Manche wollen in den Bergen eine Auszeit nehmen, das Leben vereinfachen, eine Weile ohne WhatsApp und Netflix sein, zwei Wochen, einen Monat auf der Alm entspannen, wie beim Yoga-Retreat auf Bali. Eine Wunschvorstellung, die sich selten erfüllt. Ist doch kein Ort zum Insichruhen, findet Mehringer, sondern „horte Arbeit“.

Der Senner repariert Zäune, reißt Disteln aus, schwendet die gut 100 Hektar große Almfläche. Das bedeutet: den Aufwuchs der jungen Bäume regelmäßig wegschneiden, damit die Alm bleibt, wie sie ist. Mehringer hütet die Rinder, treibt sie auf eine andere Koppel, erkennt Fanny, Cora oder Laura an den Markierungen, ihren verschiedenen Färbungen, Glocken, Hörnern, daran, in welchen Gruppen die Kühe beisammenstehen.

Der Almabtrieb geht auf uralte Zeiten zurück

Renkt sich ein Tier die Schulter aus, wird es zum Metzger ins Dorf gebracht. Wölfe sind zurück – und mit ihnen die Angst um das Vieh. Der Klimawandel bringt heiße Monate, Unwetter, trockene Wiesen. Je wärmer es ist, desto mehr Parasiten gibt es. Kühe auf anderen Almen erblindeten im vergangenen Jahr, weil sich schädliche Erreger über Fliegen und Mücken übertrugen. Mancherorts wuchs nicht mehr genügend Futter nach. Wasserquellen versiegten. Deswegen wurde der Almabtrieb vorgezogen und fand einige Wochen früher im Herbst statt.

Lautes Gebimmel kündigt die Herde im Tal an, wenn sie im September zurückkommt. Das Ritual geht auf uralte Zeiten zurück. Die Glocken um den Hals der Tiere sollen sie auf dem Weg von der Alm ins Dorf vor Dämonen schützen und sicher auf den Hof geleiten. War der Sommer unfallfrei, werden die Rinder außerdem mit Eibenzweigen, Silberdisteln und anderen Gewächsen geschmückt. Vor zwei Jahren stürzte eine Kuh ab und musste getötet werden. Die Tiere liefen ohne Bänder und Kränze auf ihre Gehöfte zurück.

Wie viele Sommer Andreas Mehringer hier oben noch verbringen wird? Weiß er nicht. Möchte er Kinder haben, wird es schwierig. Dann gehen die Jungen meist zurück ins Dorf und die Großeltern hoch auf die Alm. So will es die Tradition.

„Alles zu seiner Zeit.“ Den Satz sagt der Senner oft. Auch über sein Jahr, das sich in zwei Hälften teilt. Im Frühjahr kann er es kaum erwarten, hinauf in die Berge zu gehen. Wie die Kühe, die den Weg noch im Gedächtnis haben. „Ich merke schon, dass ich unten mehr Sachen im Kopf hab“, sagt Mehringer. An den letzten Tagen auf der Alm sehnt er das Ende der Anstrengungen herbei.

Es wird dann Zeit für die kalten Monate, in denen er als Jäger über das Wild der Herzogin wacht, für das Zuhause zu zweit – und seine geliebte Fußbodenheizung.

Tipps für Kreuth am Tegernsee

Andreas Mehringer leistet im Sommer harte Arbeit. Manchmal genießt er den Blick auf Kreuth.
Andreas Mehringer leistet im Sommer harte Arbeit. Manchmal genießt er den Blick auf Kreuth.

© Urs Golling

Hinkommen

Nach Kreuth gelangt man bequem mit der Bahn. Fernzüge von Berlin nach München kosten von rund 20 (Sparpreis) bis 190 Euro. Im Stundentakt geht es dann für 15 Euro mit der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) nach Gmund oder Tegernsee, von wo aus Busse (3-4 Euro) weiterfahren. Zur Alm wandert man am besten vom Parkplatz Königsalm, drei Kilometer an der Weißach entlang, rund 90 Minuten dauert der Aufstieg. Geöffnet hat die Hütte von Juni bis September, Brotzeit 10 bis 17 Uhr, Dienstag ist Ruhetag.

Unterkommen

Gästehaus Eck, Am Kirchberg 10, Doppelzimmer ab 60 Euro: gaestehaus-eck.de

Ferienwohnungen bietet zum Beispiel die Familie Kandlinger an. Eine Woche kostet 308 Euro und mehr, je nach ausgewählter Wohnung: boecklhof-kreuth.de

Rumkommen

Für Kinder wurde ein Erlebnispfad entlang der Weißach eingerichtet. Wer es sportlich mag, kann Mountainbike fahren oder klettern. Sämtliche Touren stehen unter alpenvereinaktiv.com

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