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Botschafter überraschender Nachrichten: das Internet.

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Wenn Paare sich trennen: Da steckt man nicht drin

Gestern noch schien das Paar glücklich zu sein, dann die Überraschung auf Facebook: Die beiden haben sich getrennt! Gedanken zur Endlichkeit der Liebe.

Neulich brach eben mal kurz meine Welt zusammen, und das kam so: Mein alter Freund Jeff, drüben in Idaho, hat seine Frau verlassen. Diese Frau, die ich schrecklich laut, rechthaberisch und beifallssüchtig fand. In der ich den Freund nicht mehr wiedererkannte. Diese Frau, von der ich immer wieder mal hoffte, dass sie nur ein Versehen war. Ein viel zu lang währender, hoffentlich nicht mehr allzu lang währender Zustand bedürfnisbedingter Umnachtung. Diese Frau ist jetzt aus heiterstem Ehehimmel tatsächlich Geschichte. Und ich überraschte mich mit der Erkenntnis, dass ich darüber beinahe so erschrocken und hoffnungslos bin wie sie.

Die beiden waren gar nicht so lange zusammen. Ich meine: gemessen an der Ewigkeit, die man einander zu Beginn jeder Riesenliebe verspricht. Sie waren sechs Jahre ein Paar, drei davon verheiratet. Gemessen an der Ewigkeit ist das nichts. Gemessen an der Leere und Einsamkeit, die seine Frau jetzt empfinden muss, ist das alles. Eben noch waren sie das öffentlich glücklichste Paar auf Facebook. Brieten mit den verschiedenen Enkeln gemeinsam Frühstückspfannkuchen. Saßen beim Barbecue mit den Nachbarn und Freunden. Trieben zu Pferd Kühe und Kälber über die Prärie. Über diesen letzten Videobeleg ihres Glücks schrieb die Frau stolz: „Jeffs Büro heute früh! Mein Leben ist ein Traum!“

Dann war der Mann weg, der Traum ausgeträumt. Plötzlich, öffentlich, der Beziehungsstatus bei Facebook: „Jeff ist jetzt in einer Beziehung mit ...“. Der Name, der folgte, war nicht der Name seiner Frau. Die Frau auf dem Bild war nicht seine Frau. Die Frau auf dem Bild war viel dünner, ein paar Jahre jünger. Sie hatte längeres, lockigeres Haar. Sie hatte viel weichere Züge. War das alles von Belang? Die schöne Fremde lachte. Sie drückte Jeff einen Kuss auf die Wange. Mein alter Freund strahlte. Im ersten Impuls fragte ich mich: Ist das ein Witz?

Mein alter Freund ist 52. Noch ein paar Jahre älter als ich. Das ist eine Lebensphase, in der man nicht mehr unbedingt ein Bäumchen-wechsel- dich aus scheinbar heiterem Himmel erwartet. Selbst wenn man’s sich für den Freund wünscht, ab und an. Oder? Auf jeden Fall erwartete ich es nicht von meinem alten Freund. Den ich für einen feinen Kerl halten will, für einen guten Mann. Standfest, zuverlässig, in sich ruhend. Ein working cowboy, so etwas gibt es da drüben in Idaho noch. Ich lernte ihn kennen vor mehr als zehn Jahren, als ich selbst einmal ein Vierteljahr auf einer Ranch dort arbeitete. Kühe treiben, Pferde einreiten. Nicht unbedingt Fähigkeiten, die man mir in die Wiege gelegt hatte. Das war für mich und jeden ersichtlich. Dass mein Cowboyfreund dagegen an mich glaubte, hat mein Bild von ihm und unsere Freundschaft geprägt.

Als ich vom Pferd stürzte, einmal, zweimal, und mich jeweils mit zitternden Knien und fliegendem Magen zurück in den Sattel zog, sagte er: „Du federst gut.“ Das musste reichen. Später, in Irland, kaufte ich für eine lächerliche Summe eine Stute, die schon den Vorbesitzer das Fürchten gelehrt hatte. Nach Monaten und Monaten des Trainings vom relativ sicheren Boden aus fand ich sie weiterhin unberechenbar. Ich rief meinen alten Freund an: „Was kann ich noch mit ihr machen, damit ich nicht gleich aus dem Sattel fliege?“ Meine Angst ließ ihn ungerührt. „Ich glaube, du hast sie genug mit Vorbereitungen gequält. Du weißt, es ist Zeit, dich zusammenzureißen und aufzusteigen.“ War nicht meine Wunschantwort, klar. Nur braucht einer manchmal genau das, damit er zurück oder überhaupt erst mal in den Sattel steigt. Gibt nicht so viele Helfer, die cool genug sind, das zu erkennen. Darum hänge ich an meinem alten Freund.

Damals war er verheiratet. Mit einer anderen Frau, die ich mochte, und die nun auch und viel länger nicht mehr seine Frau ist. Er hatte mit ihr vier Kinder, die waren schon ziemlich erwachsen. Ein paar Jahre nach meiner Zeit auf der Ranch schrieb mein Cowboyfreund mir überraschend: „Ich habe meine Frau ausgetauscht!“ So ein Satz ist genau genommen nicht witzig. So ein Satz könnte, sollte möglicherweise sogar als Indikator gelten für einen, der Frauen nicht wichtig genug nimmt. Nicht ernst. Er könnte ein bisschen ein Indikator sein für ein Chauvi-Schwein. Ein Arschloch. Oder eben für einen, der das Unberechenbare annimmt als Leben. Und dann wieder ist es auch einfach so, dass es Menschen gibt, an denen hängt man, trotz allem.

Was sagt die Verlassene dazu?

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Ich stellte mir meinen alten Freund vor als den Mann aller theoretischen Träume. Einer, in den man sich nicht verliebt. Von dem man sich nur vorstellt, wie großartig es wahrscheinlich wäre, wenn man sich in ihn oder einen wie ihn verlieben könnte. Man bleibt also auf sicherem Posten. Ersatzweise wünscht man den Mann an die Seite einer glücklichen anderen. Das ist nicht großzügig und nicht altruistisch gedacht. Mehr so, damit man hoffentlich sehen und sicher sein kann: Doch! Den Mann aller Träume gibt’s! Und das mit der großen Liebe geht! Es steckt Erleichterung in der Überzeugung, dass man das eigene Versagen in Liebesdingen allein sich selbst zuzuschreiben hat. Nicht einer großen, allgemein gültigen Hoffnungslosigkeit. Wer wollte die ertragen?

Unter das Bild mit der neuen Frau hatte einer geschrieben: „Genieß es und scheiß auf die Neider!“ Ein anderer kommentierte: „Gut, dich so glücklich zu sehen, Jeff. Du hast es verdient!“ Als hätte es all die „Größte Liebe und beste Ehe seit ewig!“-Bekundungen der vergangenen sechs Jahre mit der jetzt Ausgetauschten nicht gegeben. Oder als wusste der Kommentator es schon immer besser. Aber das behauptet ja hinterher immer jeder. Weil: Wenn man es besser weiß, kommt das Leben nicht so verflucht überraschend.

Ich hatte hier zu keiner Zeit etwas besser gewusst. Hatte bestenfalls brav geargwöhnt. Ob ein so öffentliches Fest einer großen Liebe nicht zumindest zweifelhaft war. Ob es, möglicherweise, sogar der Beweis für das Gegenteil war: Dass die Liebe nicht ganz so groß ist. Auch das ja ein allgemeingültiger Verdacht: Wer andere lautstark von seiner Liebe zu dieser oder jenem überzeugen muss, glaubt selbst nicht dran. Ist so ein Verdacht berechtigt? Ist es Neid? Oder nur Ausdruck unserer Hoffnung auf Berechenbarkeit? Kann doch, darf doch nicht sein, dass noch das größte Glück von jedermann ungeahnt verpufft!

Da hatte ich die Dauer dieser unbegreiflichen Liebe lang immer wieder mal still auf ihr Ende gehofft. Jetzt, wo das Ende da war, quälte ich mich mit der Frage: Bedeutete es tatsächlich, dass der Freund von einem Sechs-Jahres-Wahnsinn genesen war? Oder fiel er, im Gegenteil, gerade erst einem anheim? Als meine beste Freundin nach 20 Jahren Ehe ihrem Mann davonlief, wie es schien einfach so, aus heiterem Himmel, für einen anderen, fühlten sich Freunde und Bekannte gleichermaßen betrogen. Fragten: „Was ist in dich gefahren, muss das denn sein?“ Klagten: „Ihr wart doch das ideale Paar!“ Dass der Mann zwei Mal pro Woche im Alkoholrausch die Wohnung zerlegte, hatte meine Freundin verschwiegen. Jetzt wollte es keiner mehr wissen. Wie oft, wenn wir das Ende einer Ehe, die wir für glücklich hielten, beweinen, weinen wir eigentlich um uns selbst?

Weil hier offenbar weder meinem alten Freund noch mir zu trauen war, schrieb ich seiner Frau. „Ich weiß, dass wir uns nicht wirklich kennen, ich hoffe trotzdem, du bist okay. So okay wie jemand unter den offensichtlichen Umständen sein kann.“ Mehr nicht. Sie antwortete mir Fremden sofort und rückhaltlos, wie es nur zutiefst Verzweifelte tun: „Danke. Ich hoffe das Beste. Ich liebe ihn von ganzem Herzen. Er glaubt nicht, dass wir das noch mal hinkriegen können und dass ich es schaffe, ihm zu vergeben.“ Selbstverständlich sah sie das anders. „Er ist meine Welt, und ich werde auf ihn warten. Die andere ist nicht die Frau, die ich bin, und er ist es wert. Bis dahin bin ich schlecht gelaunt und am Boden zerstört.“ Bevor ich zu sehr mit ihr fühlen konnte, schickte sie diesen Satz hinterher: „Er ist ein guter Mann, der einen Fehler gemacht hat!“

Sie und er kannten sich seit High-School-Tagen, die längste Zeit gingen sie eigene Wege. Heirateten, bekamen Kinder, Enkel, alles nicht miteinander. Als sie sich wiedertrafen, sie 49, er 46 Jahre alt, war wenigstens sie seit Langem geschieden. Lebte allein. Plante nicht, wünschte nicht, das zu ändern. Sie hielt Hunde, Pferde, hatte ein kleines Haus mit Ställen und Blick auf die Berge. Mehr, dachte sie, brauchte sie nicht zum Glück. Dann kam mein alter Freund, schnitt ihren Pferden die Hufe, und mit ihrer inneren Ruhe und Unabhängigkeit war’s vorbei. „Jeff war alles, was ich mir nie erträumt hatte. Bis ich’s bekam.“ Und ich dachte: Verflucht, war’s das wert. Musste an meine irischen Nachbarn denken, die im Winter kaum je die Heizung anstellen, denn: „Warum soll ich’s mir erst warm machen, wenn mir doch irgendwann das Heizöl ausgeht. Man gewöhnt sich nur unnötig dran.“ Ich, seit 13 Jahren Single, mit Hunden und Pferden, konnte fühlen, wie sehr sie da drüben jetzt fror.

Er zog ein und renovierte das Haus. Baute um, baute an. Ritt ihre jungen Pferde ein. War ihren Enkeln der Opa, lehrte sie das Reiten, Kälber brennen, das Vieh zu treiben. Als im vergangenen Herbst eines der Kinder erkrankte und um ein Haar starb, tat er das, worin er, für eine Weile wenigstens, großartig ist: Er war da. Ein Mann und Großvater wie ein Traum.

Einmal lud sie ein Bild auf ihre Facebook-Pinnwand, von einem uralten, amerikanisch-idyllischen Paar, sie mit Teetasse, er mit Pfeife, nebeneinander in der Holzschaukel auf der Veranda sitzend, in schönster Unterschiedlichkeit vereint. Darunter schrieb sie: „Jeff und ich, eines Tages – ich freue mich darauf!“ Ich weiß noch, ich spürte Neid und Hoffnung ob dieser Furchtlosigkeit, die Freunde und Bekannte begeistert teilten. Oder pfiffen wir alle nur im Walde? Glauben wir gar nicht wirklich, dass die späte Liebe die unbedingt richtige ist. Diejenige, die für den Rest des Lebens hält. Ist, was wir für Glauben halten, nur Furcht und Verzweiflung. Weil, nach einer späten Liebe mit späterem Ende, was käme dann?

In jedem Sommer begleitete sie, die Grundschullehrerin, ihn, den Cowboy, auf seine Jobs in die Berge. Von dem letzten folgte er ihr nicht mehr zurück. Er zog zu der anderen, einfach so. War das zu fassen? Er kannte auch diese andere schon seit Langem. Ein guter Mann, der einen Fehler macht. Oder? Sie schrieb: „Er liebt mich noch. Er zweifelt nur, dass ich stark genug bin, ihn auch jetzt noch weiter zu lieben.“ Das war etwas, das sie einfach WUSSTE, schrieb sie, denn: „Er spricht nicht mehr mit mir.“ War dieses bessere Wissen frauliche Intuition? Oder Teil einer Sechs-Jahres-Illusion?

Sie schrieb: „Wäre ich doch nur, statt schon allein vorzugehen, bei ihm geblieben!“ Sie quälte sich mit der Vorstellung, das hätte alles geändert. Quälte sich und mich mit der Frage: „Warum, warum, warum?“ Konnte von dem Glauben nicht lassen, wenn sie ein Darum fände, könnte sie alles ändern. Sie schrieb: „Es ist unerträglich schwer, von sooo glücklich zu totaler Verzweiflung zu wechseln.“ Was bliebe ihr, als zu warten? Zu beten? Dafür, dass das RICHTIGE geschah. Die einst gemeinsamen Freunde, die erschrocken und jetzt nur noch ihre waren, beteten auf Facebook mit. Alles so verflucht öffentlich heutzutage. Jedes Glück, jeder Kummer, jede Hoffnung. Nur mein Freund schien wieder der Alte. Er schwieg.

Schrieb, statt öffentlich auf eine Pinnwand, mir. In Großbuchstaben, scheinbar vergnügt: „HIER IST GANZ SCHÖN WAS LOS!“ Um das alles vielleicht doch noch zu fassen, rief ich ihn an. Fragte: „Warum, warum, warum?“ Für mich, nicht für sie. „Die beste Ehe ever auf Facebook!“, rief ich. Eher verzweifelt als sarkastisch. „Jaha“, sagte er. Eher müde als bitter. „All das Theater. Mache ich nicht mehr mit.“ Sagte: „Ich musste was ändern.“ Und: „Mir geht’s jetzt besser.“

Ich verstand: Das Ende dieser vorzüglichen Ehe war tatsächlich aus heiterem Himmel gekommen. Von unfassbar glücklich zu totaler Verzweiflung, so war’s gewesen. Nur nicht für ihn. Ich fragte: „Aus und vorbei?“ Er sagte: „Aus und vorbei.“ Er klang nicht ein bisschen wahnsinnig. Im Gegenteil. Er klang schlicht und klar. War schon Lichtjahre von der noch wartenden, hoffenden, betenden Frau entfernt. Unerreichbar, in seinem eigenen Universum. Kaum zu glauben, dass ihre beiden sich überhaupt je berührt hatten. Und ich wünschte, ich fände das einfach nur gut.

Antje Joel

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