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WissensHUNGER: Gut und giftig

Kai Kupferschmidt .

Hier ist ein Rezept, das Sie vermutlich nicht ausprobieren wollen: Nehmen Sie einen Fliegenpilz, schneiden Sie ihn in dünne Scheiben, kochen sie ihn kurz. Voilà! Fertig ist das Abendessen.

Das mag nicht gerade verlockend klingen. Aber als ich vor einigen Wochen im „Nordic Food Lab“ in Kopenhagen war, der Laborküche des Nobelrestaurants „Noma“, schwärmte Forschungs-Chef Ben Reade von der Idee. Schon im 19. Jahrhundert hat der französische Arzt Felix Pouchet die rot-weißen Giftpilze gekocht und gezeigt, dass Hunde, die danach die Brühe tranken, starben. Die Tiere, die die gekochten Pilze fraßen, nicht. Der Grund: Die Gifte des Fliegenpilzes sind wasserlöslich, gekocht ist er essbar. „Wir haben alle nur beigebracht bekommen, dass diese Pilze giftig sind und nicht, wie man sie sicher zubereitet“, sagt Reade.

Lebensmittel werden gerne in die Kategorien gut oder giftig eingeteilt. Aber viele sind beides – je nach Zubereitung. Maniokwurzeln etwa sind in rohem Zustand giftig. Darum werden sie seit Jahrhunderten zuerst zerkleinert, eingeweicht und getrocknet – und dann verzehrt. Rohe Bohnen und Kichererbsen enthalten Eiweiße, die zur Gruppe der Lektine gehören und rote Blutkörperchen miteinander verkleben. Beim Kochen wird die Struktur dieser Eiweiße zerstört – nur dann sind sie zum Verzehr geeignet.

Selbst die Kartoffel ist äußerst giftig: Ein Kilo kann bis zu 500 Milligramm Solanin enthalten, genug, um beim Menschen Kopfschmerzen, Erbrechen, Halluzinationen und Tod durch Atemlähmung herbeizuführen. Geschälte Kartoffeln, die dunkel gelagert wurden, enthalten viel weniger Solanin und beim Kochen geht das Gift ins Wasser über. Nur deshalb konnte die Kartoffel zur Kulturknolle werden.

Manchmal scheint es gar das Gift zu sein, das ein Lebensmittel interessant macht. So enthalten Leber und Eierstöcke des Kugelfischs das hochgiftige Tetrodotoxin. Schon wenige Milligramm reichen aus, um einen Menschen zu töten. Der Stoff blockiert einen Natriumkanal, der für die Weiterleitung von Nervensignalen nötig ist: Das Herz schlägt schneller, die Gliedmaßen können nicht mehr bewegt werden, das Atmen fällt immer schwerer, bis die Atemmuskulatur komplett gelähmt ist. Ein Gegengift gibt es nicht.

In Japan gilt der rohe Fisch, Fugu, dennoch als Delikatesse. Winzige Mengen des Giftes verursachen ein Prickeln auf der Zunge oder ein Gefühl, als seien die Lippen eingeschlafen und gehörten zur Faszination des Fisches. Heute werden Köche zwei Jahre lang ausgebildet, ehe sie Fugu servieren dürfen. Die Leber und andere Organe dürfen nicht verzehrt werden.

Der japanische Forscher Tamao Noguchi glaubt, das Problem gelöst zu haben – mit Fischen aus dem Aquarium. Kugelfische produzieren ihr Gift nicht selbst, sagt er. Sie nehmen mit ihrer Nahrung Bakterien auf, die das Gift für sie produzieren. Indem er die Ernährung der Tiere im Aquarium strikt kontrollierte, konnte Noguchi ungefährliche Kugelfische heranziehen. Doch bisher scheinen sich weder die Industrie noch die Gourmets dafür zu begeistern. Manchmal scheint der Mensch gerade das Giftige gut zu finden. Oder, wie Noguchi selbst es der „New York Times“ erklärte: „Im Grunde haben wir dem Fugu das Romantische genommen.“

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