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Auf diesem Dateifoto vom 20. Juli 2015 sieht FIFA-Präsident Sepp Blatter zu, wie gefälschte Dollarnoten um ihn herumfliegen, die ein britischer Komiker während einer Pressekonferenz im Hauptquartier des Weltverbandes FIFA in Zürich geworfen hat.

© Foto: AFP/FABRICE COFFRINI

Kritische Reportagen zum Streamen: Drei Dokus über die Fußball-WM 2022, die man gesehen haben sollte

Netflix und die Mediatheken von ARD und ZDF bieten Dokus, in denen schonungslos mit der FIFA und dem WM-Gastgeberland Katar abgerechnet wird. Drei davon empfehlen wir besonders.

Der FIFA wäre es wahrscheinlich am liebsten, wenn zur WM in Katar nur über den Sport geredet würde. Dieser Gefallen wird dem Weltfußballverband aber nicht getan. Statt um Tore geht es in den Gesprächen über die WM auch um Tote – konkret um die vielen Todesopfer unter den Arbeitern, die für den Bau der WM-Stadien etwa aus Nepal nach Katar kamen. Es geht außerdem um die WM in einem Land, in dem queere Menschen für ihre sexuelle Orientierung bestraft werden können. Und es geht um die korrupte FIFA selbst.

Den Balanceakt zwischen Kritik und Berichterstattung versuchen die Medien seit Wochen mit vielen Artikeln, Nachrichtensendungen, Social-Media-Posts und Podcasts zu bewerkstelligen. Wer sich in filmischer Form ein Bild machen möchte, warum die Fußballweltmeisterschaft ausgerechnet an einen kleinen, autoritär regierten Wüstenstaat vergeben wurde, dem empfehlen wir zwei kurze Dokumentarfilme von ARD und ZDF sowie eine vierteilige Doku-Serie auf Netflix.


Tipp 1: „Katar - warum nur?“ mit Thomas Hitzlsperger, ARD-Mediathek

Thomas Hitzlsperger, ehem. Fußball-Nationalspieler und Presenter der ARD-Dokumentation „Katar - warum nur?“.
Thomas Hitzlsperger, ehem. Fußball-Nationalspieler und Presenter der ARD-Dokumentation „Katar - warum nur?“.

© Foto: IMAGO/Horst Galuschka

Wie viele Arbeitsmigranten sind in Katar beim Bau der WM-Stadien ums Leben gekommen? Das ist ungewiss. Es kursieren unterschiedliche Zahlen. Nach Angaben der katarischen Regierung sind zwischen 2010 und 2019 in Katar 15.021 ausländische Staatsbürger gestorben. Doch wie viele davon als Arbeiter an den Bauarbeiten für die WM beteiligt waren, ist unbekannt, da das Land hierüber keine Informationen herausgibt.

Menschliches Leid lässt sich aber ohnehin nicht mit Zahlen ausdrücken. Dafür braucht es Gesichter und persönliche Erzählungen. Genau hier liegt die Stärke des Dokumentarfilms „Katar - warum nur?“ mit Thomas Hitzlsperger, der auf Recherche-Reise in Katar unterwegs war.

Der Film beginnt mit einem Gespräch zwischen Hitzlsperger und Saraswoti Devi Chaudhari, einer nepalesischen Frau in der armen Provinz Madhesh. Ihr Ehemann gehörte zu den zehntausenden Nepalesen, die sich jeden Monat ins Ausland aufmachen, um dort Geld zu verdienen. Er ging bereits kurz nach der WM-Vergabe nach Katar.

„Verschüttet und erstickt“

Sechs Jahre lang arbeitete Chaudharis Mann in Katar, nur zwei Mal kam er nach Hause zu seiner Frau und den zwei Kindern. In der Dokumentation wird der 30. Dezember 2017 schließlich als sein Todestag genannt. „Verschüttet und erstickt unter einem Zementhaufen auf einer Baustelle in Katar“ – so beschreibt Hitzlsperger die Todesursache des Mannes. Der ehemalige Fußballprofi klingt ehrlich betroffen dabei. 

Ohnehin ist Hitzlspergers Kommunikation eine der Stärken der Doku. Er mag vornehmlich wegen seines großen Bekanntheitsgrades für diesen Film ausgewählt worden sein. Gleichwohl wirken Hitzlspergers Interesse am Thema und auch sein Ärger stets aufrichtig, ohne dass er sich zu sehr in den Vordergrund drängen würde. Hitzlsperger, so darf man annehmen, geht es in „Katar - warum nur?“ nicht primär um die eigene Profilierung, sondern um das Porträt eines Fußballturniers, das nicht nach Katar hätte vergeben werden dürfen.


Tipp 2: „Geheimsache Katar“ mit Jochen Breyer, ZDF-Mediathek

Journalist und Sportmoderator Jochen Breyer (l) spricht auf der Reportagereise in Katar mit Khalid Salman, dem katarischen WM-Botschafter.
Journalist und Sportmoderator Jochen Breyer (l) spricht auf der Reportagereise in Katar mit Khalid Salman, dem katarischen WM-Botschafter.

© dpa / Foto: Mateusz Smolka/ZDF/dpa

Die ZDF-Doku „Geheimsache Katar“ sorgte für mehr Schlagzeilen als „Katar - warum nur?“. Das liegt an einem brisanten Ausschnitt, den das „heute-journal“ bereits vor Ausstrahlung des Films zeigte. In dem Ausschnitt ist der Fernsehmoderator Jochen Breyer im Gespräch mit Khalid Salman zu sehen. Der früherer Fußball-Nationalspieler Salman wurde zum WM-Botschafter Katars ernannt und spricht mit Breyer über das Thema Homosexualität.

Schwulsein sei nach Meinung von Khalid Salman „ein geistiger Schaden“. Das sagt er, noch bevor ein Pressesprecher des WM-Organisationskomitees das Interview abbricht. Es ist ein Moment, in dem man als Zuschauer bezeugen kann, wie eine PR-Strategie in wenigen Sekunden vollständig implodiert. Katar hatte versucht, sich als ein Land zu inszenieren, das alle Gäste willkommen heißt. „Jeder wird akzeptieren, dass sie [schwule Menschen] hierherkommen“, sagt Salman, nur um gleich hinterherzuschieben: „Aber sie werden unsere Regeln akzeptieren müssen.“

Ansonsten wirkt Khalid Salman in „Geheimsache Katar“ in vielen Momenten wie ein freundlicher Mann. Jochen Breyer gelingt es auch an anderer Stelle, eine krasse Diskrepanz zwischen Gastfreundlichkeit und fragwürdigem Gedankengut offenzulegen. In einer Tischrunde mit katarischen Männern fragt Breyer, warum Frauen in Katar verschleiert sein müssen, wenn sie sich mit Männern treffen wollen, mit denen sie nicht verheiratet sind.

Einer der katarischen Männer setzt unverschleierte Frauen daraufhin mit unverpackten Süßigkeiten gleich. „Warum nur sollte eine Frau das Haus verlassen“, fragt ein anderer Mann rhetorisch. Sie habe dort doch alles, was sie brauche.

Beide Dokus ergänzen sich gut

„Geheimsache Katar“ im ZDF ergänzt sich gut mit der WM-Doku der ARD. Beide Filme decken jeweils mehrere Aspekte dieser umstrittenen WM ab. In der ARD wird das Schicksal der Gastarbeiter besonders eindrücklich erzählt. Im ZDF dagegen sind es die Einstellungen katarischer Männer gegenüber Frauen und Schwulen, die viele Zuschauer schockieren dürften.

ZDF Moderator Jochen Breyer
ZDF Moderator Jochen Breyer

© Foto: IMAGO/Sven Simon

Besonders eindrucksvoll wird in „Geheimsache Katar“ auch die mögliche Korruption rund um die Organisation der WM 2022 dargestellt. So wurde die Mehrzahl der Personen aus dem Vergabegremium wegen Korruption gesperrt. Aber die genauen Hintergründe sind bis heute nicht bekannt.

Auch Thema in der Doku ist der Fußballfunktionär des FC Bayern München, Karl-Heinz Rummenigge, der zu seiner Zeit schon für Schlagzeilen in Deutschland sorgte. Ein Vorfall mit ihm wird im Film besonders detailliert nachgezeichnet. Es ging um die Verlegung der ursprünglich für den Sommer geplanten WM in den Winter. Die großen europäischen Ligen wollten diese Änderung zunächst nicht machen. 

Rummenigge jedoch unterstützte den Plan der Kataris – nachdem er und andere Kollegen der European Club Association im Februar 2013 einen Trip in ein katarisches Luxushotel in der Hauptstadt Doha unternommen hatten. Rummenigge kam mit zwei teuren Rolex-Uhren zurück nach Deutschland, die er nach eigener Aussage „von einem Freund“ bekommen habe. 

Rummenigge, ein Katar-Besuch und zwei teure Uhren

In einer nach Angaben Breyers monatelange Recherche führte die Spur schließlich zu zwei Informanten, die in der Doku anonym bleiben und beim Treffen in Doha angeblich dabei waren. Einer von ihnen berichtet, dass die Rolex-Uhren ein Geschenk der katarischen Gastgeber gewesen sein sollen. 


Tipp 3: Die vierteilige Doku-Serie „FIFA Uncovered“, Netflix

Der damalige FIFA-Präsident Joseph Sepp Blatter bei der Vergabe der FIFA Weltmeisterschaften 2018 und 2022 (Archivbild).
Der damalige FIFA-Präsident Joseph Sepp Blatter bei der Vergabe der FIFA Weltmeisterschaften 2018 und 2022 (Archivbild).

© Foto: Imago/Ulmer

Die Geschichte des Weltfußballverbands FIFA ist so komplex, dass sie sich nicht innerhalb eines zehnminütigen Beitrages abhandeln ließe. Zu verworren sind die internen Machtstrukturen, Skandale und Korruptionsvorwürfe. Und genau da setzt die vierteilige Doku-Serie „FIFA Uncovered“ von 2022 an. Mit scharfem Blick für die Details macht sich Regisseur Daniel Gordon daran, die Seilschaften zwischen FIFA-Mitgliedern, Fußballfunktionären und hochrangigen Politikern zu entknoten.

In Interviews kommt nicht nur der langjährige FIFA-Präsident Sepp Blatter zu Wort, sondern es sprechen auch ehemalige Funktionäre, FIFA-Größen, kritische Sportjournalisten, Juristen und der ehemalige FBI-Direktor James Comey. Archivaufnahmen von Bill Clinton, Nelson Mandela, Wladimir Putin und David Cameron zeigen eindrucksvoll, wie hochrangige Landesvertreter um eine Ausrichtung der WM-Spiele buhlend zu nervösen Bittstellern werden.

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Die Geschichte der FIFA wird in vier jeweils einstündigen Folgen chronologisch erzählt. Die Reise begann vor 118 Jahren mit einer Idee von grenzenlosem Weltfußball. Im Lauf der Zeit verwischen allerdings die Übergänge und die Liebe zum Spiel muss schleichend einem Spiel um Macht und Geld weichen. Moralische Grenzen werden ausgedehnt und überschritten, bis sie schließlich regelmäßig gesprengt werden.

Obwohl die Miniserie zwischendurch ihre Längen hat und die Geschichte mutmaßlich auch als 90-minütiger Film hätte erzählt werden können, braucht es diesen langen Videobeweis wahrscheinlich, um die FIFA-Historie angemessen aufzuarbeiten.

Und am Ende steht die bittere Erkenntnis, dass die Geschichte des Weltfußballverbands doch so schön anfing, bevor es schleichend bergab ging.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes war ein Satz missverständlich formuliert. Er legte nahe, dass Karl-Heinz Rummenigge in die Korruption rund um die WM 2022 verwickelt war. Wir haben die entsprechende Stelle geändert und klarer formuliert.

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