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Yangons Wahrzeichen: die Shwegadon-Pagode.

© Lippitz

Yangon in Myanmar: Das alte Burma brummt

Der Boom Myanmars lässt sich am besten in Yangon beobachten. Zwischen Überresten britischen Größenwahns und goldenen Stupas gibt es Cocktails und Wifi.

Der Taxifahrer brummt zustimmend. Er bremst ab, statt knackiger 110 Kilometer pro Stunde rasen wir nur noch mit 90 zum Flughafen. Vorbei an der mächtigen Shwedagon-Pagode mit dem 99 Meter hohen Zuckerhut aus Gold, an riesigen Werbetafeln für gläserne Immobilienpaläste und neue Mobilfunkverträge.

Die Autoreifen schnurren auf den neu gebauten Straßen. Am Inya-See düst der Fahrer haarscharf um einen Fußgänger herum, der gerade die Fahrbahn überquert. Plötzlich zieht er lautstark Speichel aus seinem Rachen hoch, es klingt nach dem letzten Fauchen eines sterbenden Tigers, bei voller Fahrt öffnet der Mann nun die Tür, rotzt auf die Straße, der Tiger fliegt hinaus, der Fahrer schließt die Tür und gibt wieder Gas.

Wer es noch nicht mitbekommen hat: Yangon fährt auf der Überholspur. Das ganze Land ist im Aufschwungsmodus. Der Internationale Währungsfond rechnet in Myanmar mit einem Wirtschaftsplus von 8,5 Prozent, der stärkste Zuwachs im asiatischen Raum (von einem zugegeben niedrigen Niveau), woran auch der wachsende Tourismus einen wesentlichen Anteil hat.

Vor drei Jahren kaum Wifi

Innerhalb der letzten fünf Jahre hat sich die Zahl der Touristen versechsfacht – von etwa 800.000 auf 4,7 Millionen (2015). Und die große Mehrheit reist über die ehemalige Hauptstadt Yangon ein.

Nach Jahren der politischen Isolation sucht die Sechs-Millionen-Metropole den Anschluss an die Boomstaaten Südostasiens. Geschäftsleute aus Deutschland oder den USA erzählen mit märchenonkelhafter Miene davon, dass es vor drei Jahren so gut wie kein Internet gab, kaum Mobiltelefone und keine Werbeplakate auf der Straße.

Heute haben die meisten Hotels und Cafés in der Stadt drahtlose Wifi-Netze, öffentliche Plätze sind zugestellt von quietschbunten Konsumbotschaften, und junge Menschen schauen wie überall auf der Welt lieber auf ihre Handys als auf die Straße. 

Busse wie aus der Sowjet-Ära

Trotzdem ist Yangon noch nicht Bangkok oder Singapur. Die Straßen sind weder heillos überfüllt noch sind die Geschäfte sauber geleckt.

In Yangon fahren Busse, die wie aus der Sowjet-Ära aussehen, aus den offenen Türen preisen junge Männer die Fahrtziele an, die Straßenbeleuchtung fehlt in vielen Teilen der Innenstadt, und gleich am zentralen Punkt der Stadt, am rotweißen Kolonialbau des High Court, teilen sich abends Straßenhändler, Autofahrer und jugendliche Fußballspieler den Asphalt.

Geistige und weltliche Erbauung

Junges Paar vor dem High Court.
Junges Paar vor dem High Court.

© Lippitz

Der Platz mit dem beeindruckenden Kolonialgebäude ist ein guter Ausgangspunkt für einen Spaziergang am Nachmittag oder Morgen, wenn die Temperaturen noch nicht auf 40 Grad klettern. Den Norden des Platzes flankiert das Rondell der Sule-Pagode, eine mehr als 40 Meter hohe mit Gold überzogene Stupa – ein massiver Kegel, den man nicht betreten kann.

In den Sakralbau gehen viele Einwohner Yangons nach der Arbeit, um zu beten – oder sie schauen in eines der Geschäfte an der ringförmigen Außenmauer hinein, um Telefone, Musikkassetten oder Essen zu kaufen. Geistige und weltliche Erbauung liegen hier dicht beieinander.  

Vorsicht: Die Pagode ist gleichzeitig der Mittelpunkt eines wichtigen Kreisverkehrs. In der Rushhour sollten Fußgänger aufmerksam den Verkehrsfluss beobachten. Man muss einigen Fahrern noch beibringen, dass dies kein in die Realität verlängertes Videospiel ist.

Linksverkehr bald Vergangenheit

Allerdings lenken die meisten ihr Fahrzeug auch unter erschwerten Bedingungen. Zwar wurde vor der britische Linksverkehr 1979 abgeschafft, aber die Autos mit dem Steuer rechts behielt das Land bei. Erst vor kurzem beschloss die Regierung, diese Sonderregelung aufzuheben.

In dem Straßennetz links- und rechtsseitig der Pagode bis hinunter zum Yangon-Fluss liegt die interessanteste Gegend der Stadt: das Kolonialviertel. Es ist das größte zusammenhängende seiner Art in Südostasien.

Die burmesische Regierung kümmerte sich jahrzehntelang nicht um die Erhaltung der Häuser, die von den Briten am Ende des 19. und im frühen 20. Jahrhundert errichtet wurden. Teils aus einer tief sitzenden Abneigung gegenüber allem Englischen, teils aus Geldnot. Das Viertel verfiel bis auf ein paar Ausnahmen, die Armen der Stadt zogen ein – und die Migranten.

Moscheen und Krimskrams

Das ist die wahrscheinlich größte Überraschung. Yangon hat eine große und pulsierende chinesische, iranische und indische Community. Die Familien zogen noch als Teil der Empire-Bevölkerung in die aufstrebende Handelsstadt und blieben nach dem Wegzug der Kolonialmacht.

Zwischen Sule-Pagode und 15. Straße stehen Moscheen, Krimskramsläden mit indischen und arabischen Schriftzeichen, im Schatten der vielen Bäume laufen verschleierte Frauen und Männer mit Turbanen durch die Straßen.

Das Nachtleben kommt

In der 19. Straße hat sich eine kleine Kneipenszene etabliert. Einheimische und Touristen trinken billiges Bier auf bunten Plastikhockern, die für Europäer wie aus Kindergärten gestohlen aussehen. Hier kann man den Beginn des Nachtlebens erahnen, das in einigen Jahren das Viertel heimsuchen wird.

Nahe dem High Court an der Merchant Road treffen sich besser verdienende Burmesen im „Gekko“, einer Gastrobar mit internationalen Speisen, Cocktails und, nicht selbstverständlich, einem Kreditkartenlesegerät. Alle Getränke sind natürlich in US-Dollar angegeben, der heimlichen Währung des Landes. 

Riesige Ruine

Seit Jahren verlassen: das Secretariat Building mitten im Zentrum.
Seit Jahren verlassen: das Secretariat Building mitten im Zentrum.

© Lippitz

Einigermaßen intakt geblieben sind die repräsentativen Gebäude am Hafen wie der ehemalige Sitz des Roten Kreuzes (heute befindet sich das beliebte Restaurant „Union Bar & Grill“ hier) oder das koloniale Strand Hotel in fußläufiger Entfernung. Die Luxusherberge wirbt damit, dass Mick Jagger schon hier geschlafen hat und jeden Freitag Ex-Pats zur Happy Hour die Bar heimsuchen.

Im Klotz der Bombay Burma Trading Corporation nebenan sitzt inzwischen die Fluggesellschaft Myanmar Airways, die großflächig die sensationelle Neuigkeit anpreist, nun verlässlich und sogar nach Zeitplan zu fliegen.

Gleich um die Ecke in der schattigen Pansodan Street residiert der Yangon Heritage Trust, in der ersten Etage des früheren Informationsministeriums. Der Verein kümmert sich um die Erhaltung der Bausubstanz.

Drei Mal pro Woche Touren

Wenn Besucher auf den verwitterten Balkon treten, sehen sie sofort warum. Gegenüber steht ein wunderschöner großer Kolonialbau. Die Bäume wachsen vor, auf und in ihm, die Fenster sind wie dunkle Felseingänge in eine vergessene Höhle.

Drei Mal die Woche können Touristen organisierte Führungen durch das koloniale Zentrum vom Trust-Büro mitmachen, die 30 Dollar (oder der Gegenwert in einheimischer Währung) kommen der Einrichtung zugute.

Ein verlassener Koloss

Ein Highlight auf den zweistündigen Spaziergängen ist der verlassene Block des früheren Government Secretariat. Auf 160.000 Quadratmetern setzte sich die britische Regierung ein Denkmal ihrer Macht, das sie nur um knapp 50 Jahre überlebte. 1948 erklärte Burma seine Unabhängigkeit. In seinem Größenwahn erinnert dieser viktorianische Bau mit den vielen Türmen an eine Mischung aus indischem Maharadschapalast und Hitlers KdF-Seebad in Prora.

Leider ist es unmöglich, dieses Gebäude von nahem zu betrachten. Man kann am Zaun entlang drumherum gehen und dabei sinnieren, wie Politik in dem jahrelang abgeschotteten Land funktioniert hat.

Plötzlicher Umzug

Vor knapp zehn Jahren zog die gesamte politische Kaste 320 Kilometer nordwärts, in eine schnell hoch gezogene Hauptstadt namens Naypyidaw. Offiziell wurden keine Gründe dafür angegeben, eine Legende erzählt Martin Schacht in seiner unterhaltsamen „Gebrauchsanweisung für Burma“ (Piper Verlag, 2013): Ein Astrologe hatte den Militär-Machthaber Than Shwe gewarnt, dass eine Invasion vom Wasser her, also vom breiten Yangon-Strom, drohe. In Windeseile ließ der Diktator einen neuen Regierungssitz errichten. Einmarsch vereitelt.

Seitdem ist das Secretariat oder Ministers’s Building, wie es später hieß, verwaist. Durch den Zaun wirkt der Verfall sehr romantisch, man wünscht dem einmaligen Palast aber doch eine stabilere Zukunft. Es gibt Meldungen, nach denen ein Hotel und ein Museum in den roten Ziegelsteinbau einziehen sollen. Wann das passieren soll, ist völlig offen.

Selfies vor Stupas

Bitte recht freundlich: Jugendliche vor der Shwegadon-Pagode.
Bitte recht freundlich: Jugendliche vor der Shwegadon-Pagode.

© Lippitz

Die größte Attraktion Yangons liegt allerdings außerhalb des Zentrums, knapp drei Kilometer nördlich der Sule-Pagode: die alles überragende Shwedagon-Pagode. Zu Fuß ist die Strecke im Morgengrauen gut zu bewältigen, nach zehn Uhr gehört schon eine gewisse Portion Masochismus dazu, sich der Hitze ungeschützt auszusetzen.

Die Pagode ist ein 99 Meter kreisrunder Bau, so etwas wie ein überdimensionaler Fingerhut, auf einen Hügel über der Stadt gepflanzt. Es ist der größte und wichtigste Sakralbau des Landes – und mit angenommenen 2500 Jahren auch einer der ältesten.

Wie eine glitzernde Shoppingmall

Auf dem Hügelplateau gibt es einen Tempelbezirk, der sich wie ein schützender Kreis um die Pagode zieht. Überdachte Treppenaufgänge führen hinauf, Besucher müssen am Eingang Schuhe und Socken ausziehen, Touristen wird dafür ein Garderoben-Obulus abgeluchst.

Am großzügigen Treppenaufgang reiht sich ein Devotionaliengeschäft an das nächste, es glitzert mehr als in einer russischen Shoppingmall, und in den Wandgemälden erkennt man Szenen aus dem Leben Buddhas.

Was Ausländer bisher nicht wussten: dass der Heilige offensichtlich auch in engem Kontakt zu Myanmars Militär stand. Es gibt ein paar hübsche Darstellungen Buddhas mit den ehemaligen Führern des Landes.

Gold, Gold, Gel

Oben angekommen glänzt es noch mehr. Auf dem 16.000 Quadratmeter großen Areal, das mit Marmorplatten gebaut wurde, reihen sich dutzende Pagoden aneinander.

Die Buddhastatuen in ihr, die vielen heiligen Figuren und natürlich einige Dächer sind wie die Stupa mit Gold überzogen. Es ist ein erhabendes Gefühl, einmal um die riesige Stupa zu gehen – und Bauwerke aus verschiedenen Jahrhunderten zu bewundern.

Selbst hier oben, wo der Hauch der Vergänglichkeit weht, drängt die Moderne mit aller Macht vor. Familien knien in Familienverbänden vor den heiligen Statuen, während mit Gel gestylte Jugendliche die beste Selfieposition vor der Stupa üben.  

REISETIPPS FÜR YANGON

Einreise: Reisende aus Deutschland benötigen ein Visum. Seit einem Jahr kann man es einfach online beantragen unter http://evisa.moip.gov.mm/ Die Kosten betragen 50 US.-Dollar für einen Aufenthalt von 28 Tagen.

Anreise: Es gibt keine Direktverbindung aus Europa. Von Deutschland aus fliegen die meisten Touristen mit Lufthansa oder Swiss über Bangkok nach Yangon. Ab August fliegt Emirates täglich über Dubai die Stadt an.

Unterkunft: Sehr zentral nahe der Sule-Pagode und komfortabel ist das Shangri-La Hotel. Ein Doppelzimmer kostet ab 140 Euro aufwärts.

Tipp: Die Touren durch das Kolonialviertel finden von September bis April. Mehr Infos unter www.yangonheritagetrust.org

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