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Raum für Entfaltung. Yoga bietet in China die seltene Gelegenheit, sich ganz auf sich selbst zu besinnen.

© imago/Xinhua

Yogakolumne: Chinesische Aufwärmübungen

Wie ich auf der Yogakonferenz in Schanghai eine klitzekleine stille Revolution angestoßen habe.

Neulich war ich in China, um dort auf der Schanghai-Yogakonferenz zu unterrichten. „Pass bloß auf, die werden alles, was du denen vorstellst, filmen und dann eins zu eins kopieren. So sind sie doch, die Chinesen“, warnte mich vor dem Abflug ein befreundeter HNO-Arzt, während er mit einem Laser noch schnell einen kleinen Nasenpolypen wegschoss.

Ich war gespannt. Würden die Chinesen tatsächlich versuchen, meine Art des Unterrichts blind zu übernehmen? Würden sie einer Westlerin, wenn es um Yoga geht, überhaupt glauben? Und kann eine echte Begegnung stattfinden, wenn ich keine Ahnung habe, ob ich in der Lage sein würde, diese mir fremden Gesichter zu lesen, geschweige denn die Kultur, in der meine Teilnehmer leben, auch nur ansatzweise zu verstehen? Ich versuchte mich zu beruhigen, indem ich mir einredete, dass Yoga doch eine universelle Gültigkeit hat. Und dass das Menschsein sich überall auf der Welt gleicht.

Am Eingang eines riesigen Kongresshotels, in dem die Konferenz stattfand, begrüßten mich zwei überlebensgroße quietschgelbe Pokémonfiguren im Lotus-Sitz „Ni Hao“ rufend. Im beeindruckend gewaltigen Ballsaal, in dem ich mein Seminar abhalten sollte, blies die Klimaanlage so extrem, dass mir die Zähne klapperten. Als ich die Bühne betrat, schaute ich in 1000 laufende Handykameras. Sollte mein zynischer HNO-Arzt-Freund recht behalten?

Was dann geschah, war überraschend

Egal, ich unterrichtete so, wie ich es immer tue: fordernd, geradeaus und mit einem von der koreanischen Opernsängerin Sumi Jo gesungenen Ave Maria. In Deutschland ecke ich damit manchmal an. Aber für mich erschließt sich innere Anbindung eben nicht durch ein bisschen Shanti-Om, sondern durch Klarheit in Form und Sprache.

Nach der Stunde geschah das Überraschende: Einige Teilnehmer kamen auf mich zu und bedankten sich. Ihre Augen funkelten, als sie erklärten, wie gut es sich angefühlt habe, sich auf das Eigene zu konzentrieren – in einem Land, in dem alle im Gleichschritt laufen müssen. Wie bedeutend es für sie sei, einen Raum zu haben, wo sie das Individuelle kultivieren können. Ich war gerührt. Es fühlte sich an wie der Beginn einer klitzekleinen stillen Revolution, bei der ich helfen konnte. Wenn einem der Staat so viele Grenzen setzt, wenn auf den grellen Fake-Märkten nicht nur Luxusgüter, sondern auch Yogakollektionen verkauft werden, dann ist es umso erstaunlicher, dass sich inmitten all dieser Enge eine Handvoll Menschen auf das Wesentliche besinnen will.

Bin ich der Mercedes unter den Yogalehrern?

Während wir sprachen, wurde ich mir zum ersten Mal meiner eigenen Rolle auf dem Weltmarkt Yoga bewusst. In Deutschland kann man mit einem indischen Gewand viel mehr auftrumpfen, weil das echte Yoga ja von dort kommt. Hier in China hingegen, wo Indien so nah liegt, schauen sie sich genau an, wie wir im Westen Yoga interpretieren. Meine Art zu lehren, nennen die Teilnehmer reflektiert, moderat – Wertarbeit. Bin ich der Mercedes unter den Yogalehrern? Wie postmodern!

Auf dem Rückweg dachte ich viel über Freiheit nach. Wie selbstverständlich sie für die Generation Y ist, wie leicht meine Aufforderung, auf der Yogamatte dem eigenen Lebensentwurf nachzuspüren, daherkommt, und wie unerhört für die Chinesen schon der Wunsch danach ist. Doch würde man ihnen in diesem System erlauben, einen freien Geist und selbstständiges Denken zu entwickeln? Ich wünsche es ihnen sehr.

Patricia Thielemann ist Chefin von spirityoga.de.

Patricia Thielemann

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