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Der Campingplatz Eichwald in Lügde

© Guido Kirchner/dpa

Zweiter Prozess im Lügde-Fall: Gericht spricht 17-jährigen Angeklagten frei

Er wurde vom Opfer zum Täter: Ein 16-Jähriger soll sich am Missbrauch der beiden Haupttäter beteiligt haben. Das Gericht entschied sich gegen eine Bestrafung.

Im Fall Lügde endete ein zweiter Prozess mit einem Freispruch: Ein 17-Jähriger war wegen Kindesmissbrauchs angeklagt worden. Die Richter hätten aber die nach dem Gesetz für die Verurteilung eines Jugendlichen notwendige Verantwortungsreife nicht feststellen können, berichtete die „Neue Westfälische“. Zur Begründung sei darauf verwiesen worden, dass der Angeklagte selbst Opfer von Missbrauch geworden sei.

Laut Jugendgerichtsgesetz kann ein Jugendlicher nur verurteilt werden, wenn seine geistige Entwicklung dies zulässt. Voraussetzung ist, dass er das Unrecht seiner Taten auch einsieht und danach handelt. Die Anklage hatte dem Jugendlichen sexuellen Missbrauch mehrerer Kinder vorgeworfen.

Die Staatsanwaltschaft hatte sich nach Angaben des Verteidigers des 17-Jährigen für eine Freiheitsstrafe auf Bewährung ausgesprochen - unter der Auflage, dass er seine Therapie fortsetzt. Dem folgten die Richter nicht. Alle Verhandlungstage fanden zum Schutz des Jugendlichen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das galt auch für die Urteilsverkündung.

Einer der beiden Haupttäter im Lügde-Fall soll sich an den Angeklagten vielfach vergangen haben, als er noch Kind war. Im September waren die beiden Männer zu hohen Haftstrafen und Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Sie hatten jahrelang Kinder auf einem Campingplatz in Lügde an der Landesgrenze von Nordrhein-Westfalen zu Niedersachsen sexuell missbraucht.

Aus Opfern werden Täter

Der Anwalt des 17-Jährigen hatte sich zum Prozessauftakt dafür ausgesprochen, dass sein Mandant eine bereits gestartete Therapie nach einem Urteil fortsetzen kann. Dass aus Opfern später Täter werden können, bestätigen Experten. „Das Phänomen gibt es. Natürlich ist das nicht in allen Fällen so, aber wir registrieren das bei einem deutlich erhöhten Prozentsatz“, sagt Andreas Schulze von der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in Marsberg. Der Psychologe betreut dort Jugendliche.

„Menschen lernen durch Nachmachen dessen, was sie erleben. Ein Mensch mit Missbrauchserfahrung 'lernt' vor allem an dem, was er selbst erlebt hat. Dies passiert nicht immer bewusst. Gerade dann, wenn der Missbrauchte massive sexuelle Missbrauchserfahrungen machen musste, dann sind genau diese Erfahrungen das, was er oder sie kennt!“, sagt Schulze. Er betont, dass er sich zu dem Fall des 17-Jährigen, der vor dem Landgericht Paderborn steht, nicht äußern kann und will, weil er den Angeklagten nicht kennt.

„Den Sexualstraftäter gibt es nicht. Wir müssen immer die unterschiedlichen Motive herausarbeiten“, sagt der Diplom-Psychologe über seine Arbeit. Generell gelte: „Opfer erfahren ein absolutes Ohnmachtsgefühl und sind hilflos. Das wollen sie „nie wieder“ erleben und entwickeln als Gegenreaktion ein unglaublich starkes Bedürfnis nach Kontrolle.“ Aus dem Opfer könne dann ein Täter werden. (dpa)

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