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Gesundheit: Lahme Flotte

Amerikas bemannte Raumfahrt nach der Columbia-Katastrophe: Ein altbackener Raumgleiter soll das Shuttle vom kommenden Jahrzehnt an entlasten

Von Rainer Kayser, dpa

„Unsere Reise ins Weltall geht weiter“, beschwor Präsident George Bush noch am Tag des Columbia-Absturzes fast trotzig die amerikanische Nation. Mit welchem Verkehrsmittel allerdings die Reise fortgesetzt werden soll, ist vorerst unklar. Für ihre Flüge zur Internationalen Raumstation müssen die Amerikaner vorerst auf die Hilfe der Russen zählen.

Um die Abhängigkeit von der überalterten Shuttle-Flotte und den russischen Sojus-Raumschiffen zu verringern, setzt die Nasa nun auf den raschen Bau eines „Orbital Space Plane“ (OSP). In der vergangenen Woche veröffentlichte die amerikanische Raumfahrtbehörde die wichtigsten Anforderungen an das OSP, auf deren Grundlage die Raumfahrtindustrie nun Konzepte für den neuen Raumgleiter entwickeln soll.

Demnach soll der Raumgleiter bis spätestens 2010 in der Lage sein, als „Rettungsboot“ maximal vier Astronauten von der Raumstation zur Erde zu befördern. Zwei Jahre später müsste das „Orbital Space Plane“ auch für den Flug zur Raumstation eingesetzt werden können. Zudem fordert die Nasa eine rasche Wiederverwendbarkeit binnen einer Woche, eine hohe Einsatzfähigkeit von 99 Prozent und eine Flugsicherheit, die jene der Shuttles und der russischen Sojus übertreffen soll.

Wer bei dem Raumgleiter auf den Einsatz neuer Technologien hofft, hat sich allerdings getäuscht: Die Nasa setzt lieber auf Altbewährtes. Der Start ins All soll an der Spitze einer herkömmlichen – also nicht wiederverwendbaren – Trägerrakete erfolgen, vermutlich einer Weiterentwicklung der gegenwärtig für Satellitenstarts verwendeten Atlas- oder Delta-Raketen. Und ganz im Gegensatz zu seiner Bezeichnung als „Orbitales Weltraumflugzeug“ wird das OSP wohl auch keine Ähnlichkeit mit einem Flugzeug haben, sondern eher mit den Raumkapseln der Gemini- und Apollo-Ära.

Denn dies wäre der einfachste Weg, die nun beim Columbia-Absturz zutage getretenen Probleme zu umgehen. Der Wiedereintritt in die Atmosphäre nämlich bleibt der gefährlichste, technisch schwierigste Teil eines bemannten Weltraumfluges. Im Gegensatz zu einer kegelförmigen Raumkapsel aber stabilisiert sich ein flugzeugähnlicher Körper in dieser Phase nicht selbst. Gerät der Flugkörper erst einmal ins Trudeln, ist er hoffnungslos verloren und verglüht wie die Columbia in einem 3000 Grad heißen Feuerball.

Kritiker haben das neue Nasa-Konzept bereits als Schritt in die Vergangenheit disqualifiziert. „Es fehlt die Vision. Es ist nicht mehr als ein Notbehelf, um kurzfristig die Raumstation zu versorgen“, meint Rick Tumlinson von der Space Frontier Foundation und ergänzt: „Das OSP ist ein Schritt in die falsche Richtung. Das Ziel sollte sein, die bemannte Raumfahrt billiger und sicherer zu machen.“

Solche Visionen hatte der damalige Präsident Ronald Reagan 1986, wenige Wochen nach der Challenger-Explosion, beschworen. Binnen weniger Jahre sollte die Nasa einen „Neuen Orient Express" entwickeln, ein Nationales Weltraumflugzeug, das nicht nur ins All, sondern auch suborbital als Passagiermaschine in zwei Stunden von New York nach Tokio fliegen könnte. Drei Milliarden Dollar steckte die Nasa in Studien und Forschungsprojekte – dann wurde das Vorhaben 1994 eingestellt.

Unterwegs aufgetankt

Das Nationale Weltraumflugzeug sollte wie ein Flugzeug starten und landen, voll wiederverwendbar sein und einen Großteil des Treibstoffs – nämlich den Sauerstoff – kosten- und platzsparend aus der Atmosphäre beziehen. Denn mit der heutigen Raketentechnik müssen für jede Tonne Nutzlast, die in die Umlaufbahn befördert wird, rund 50 Tonnen Treibstoff aufgewendet werden. Die heutigen Raumfahrzeuge sind daher im Wesentlichen fliegende Tanks. Einen Ausweg aus diesem Dilemma böte ein „Scramjet“-Antrieb, bei dem mitgeführter Wasserstoff mit Sauerstoff aus der Atmosphäre vermischt und verbrannt wird.

Allerdings funktioniert ein solcher „Scramjet“ nur in der dünnen Hochatmosphäre und bei mehr als fünffacher Überschallgeschwindigkeit. Wenn er überhaupt funktioniert: Bislang sind „Scramjets“ nicht viel mehr als Theorie. Im Juli 2002 gelang es zwar einem australischen Team, erstmalig ein „Scramjet“-Triebwerk zu zünden – allerdings nur für sechs Sekunden, dann war der Motor in der ungeheuren Hitze geschmolzen.

Selbst wenn die Entwicklung eines „Scramjet“-Triebwerks gelänge, müsste ein Weltraumflugzeug zusätzlich mit konventionellem Antrieb ausgestattet sein, um das nötige Tempo und die Flughöhe zu erreichen. „Das Projekt verlor schließlich die politische und finanzielle Unterstützung, weil niemand glaubte, dass sich so etwas realisieren lässt“, erinnert sich Vance Brand, Direktor des Dryden Flight Research Centers der Nasa.

Bei der Nasa hat man seither den Traum vom „Scramjet“ nicht völlig aufgegeben. Für den Herbst dieses Jahres ist im Rahmen des Projekts „Hyper-X“ ein erster Flugversuch mit dem Testprojektil X-43A geplant. Vorrang hat jedoch die Entwicklung eines kleineren Raumgleiters.

Zunächst setzten die Entwickler dabei auf die Verwendung neuartiger Werkstoffe, um so das Startgewicht gegenüber den bisherigen Shuttles aus Aluminium drastisch zu reduzieren. Auch der Treibstoffbedarf – und damit die Startkosten – wollte man auf diese Weise verringern. Doch vor wenigen Monaten, im November vergangenen Jahres, hatte die Bush-Regierung auch diese Pläne zu Makulatur werden lassen: Sie strich den Etat der Nasa für die Entwicklung neuer Starttechnologien auf die Hälfte zusammen und verkündete, die Shuttle-Flotte zehn Jahre länger als ursprünglich vorgesehen, bis ins Jahr 2020 hinein, in Betrieb zu lassen.

Der jetzt geplante Raumgleiter ist deshalb nicht länger als Ersatz für die Shuttles gedacht, sondern nur als Ergänzung. Für den Transport der großen Bauteile der Internationalen Raumstation müssen weiterhin die Shuttles eingesetzt werden. Ob sich dieses Konzept allerdings nach der Columbia-Katastrophe aufrechterhalten lässt, ist mehr als fraglich: Im amerikanischen Kongress mehren sich inzwischen die Stimmen derer, die auf eine erhebliche Einschränkung der bemannten Raumfahrt drängen.

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