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Gesundheit: Micky Maus im Stress

Bachelor-Studenten gelten zu Unrecht als Schmalspurakademiker – die Freie Universität will jetzt testen, was sie wirklich leisten

Bachelorstudenten werden immer noch gerne verkannt. „Micky-Maus-Studenten“, „Schmalspurakademiker“, lästern Kritiker, die glauben, der Bachelorstudiengang sei nur ein umbenanntes Grundstudium. Besonders Magisterstudenten belächeln ihre neuen Kommilitonen. Dabei muss sich ein Bachelorstudent heute mit zahlreichen Verpflichtungen herumschlagen, an die sein Magisterkollege keinen Gedanken verschwendet.

Ein Bachelorstudent in Germanistik und Geschichte schreibt an der Freien Universität Berlin am Ende des Semesters bis zu acht Klausuren und Hausarbeiten. Während der Vorlesungszeit hat er mehrere Referate zu halten, muss schriftliche Hausaufgaben und Stundenprotokolle vorlegen; der Dozent verteilt dafür Noten. Wenn der Bachelorstudent mit seinem Lernstoff nicht hinterherkommt, kann er nicht eben mal ein paar Tage zu Hause arbeiten. In jeder Lehrveranstaltung seines „verschulten“ Studiums, muss er sich in eine Liste eintragen. Wer mehr als zweimal fehlt, hat den Kurs nicht bestanden. Anstatt wenigstens in der vorlesungsfreien Zeit ausruhen zu können, muss der Bachelorstudent Praktika absolvieren. Das heißt dann: ab in die Schule, in einen Verlag oder eine Redaktion.

Wer sich auf allen diesen Gebieten wacker schlägt – und dann noch eine akzeptable größere schriftliche Arbeit am Ende abliefert –, hat die Chance, nach sechs Semestern ein ordentliches Abschlusszeugnis in der Hand zu halten.

Für viele Magisterstudenten wäre diese Masse an Leistungstests der blanke Horror: Anwesenheitspflicht, Hausaufgaben- und Referatbenotung sind in deren Lehrveranstaltungen nicht selten Fremdwörter. Pro Halbjahr schreibt ein Magisterstudent zwei bis vier Klausuren oder Hausarbeiten, dazu kommen die Zwischenprüfung und die Abschlussprüfung.

Im laufenden Sommersemester überprüft die FU nun, wie viel die Bachelorstudenten tatsächlich ackern – und ob die Arbeitsbelastung überhaupt zu bewältigen ist. Die Biologie- und die Erziehungswissenschaftsstudenten im zweiten Semester füllen „Fragenbögen zur Erfassung der studienbezogenen Lernzeit“ (FELZ) aus, in die sie täglich eintragen, wie viel Zeit sie mit ihrem Studium verbringen. Lehrveranstaltungen, Vor- und Nachbereitung, Lernen für Prüfungen – über alles wird genau Buch geführt. Außerdem tragen die Studenten ein, wie gut sie sich auf ihre Seminare vorbereitet fühlen. Für die Semesterferien – die Zeit der Hausarbeiten und Praktika – gibt es wöchentliche Fragebögen. Jeder Studierende, der sich an der Studie beteiligt, erhält dafür 50 Euro. Bereits im letzten Wintersemester hat die „Initiative Lehramt“, bestehend aus FU-Studenten, 68 Bachelorstudenten aus mehr als zehn Fächern zu ihrem Arbeitsaufwand befragt. Sie gaben an, in einer normalen Semesterwoche 52 Stunden für die Uni zu arbeiten, während der Klausurzeit sogar 65.

Man könnte meinen, die Bachelorstudenten müssten unter der Last ihrer Aufgaben zusammenbrechen. Edith Püschel von der psychologischen Beratungsstelle der Freien Universität hat bislang aber kaum Pioniere des verschulten Studiums in ihrer Sprechstunde gesehen – trotz insgesamt großer Nachfrage. Studenten seien seit einigen Jahren gestresster als früher, besonders vor Prüfungen – der Druck ist größer geworden, eine gute Note zu erreichen, um mit der Leistung beruflich etwas anfangen zu können. Die Bachelorstudenten, vermutet Püschel, hätten wahrscheinlich kaum Zeit, sich psychologisch beraten zu lassen. „Die müssen ja unheimlich viel pauken.“

Und die Dozenten? Sind auch sie durch die neuen Studiengänge stärker belastet? Viele, aber längst nicht alle hätten ihr Lehrprogramm bei der Umstellung vom Magister- zum Bachelorsystem verändert, ist in der FU zu hören. Dabei ist der Bachelor auf sechs Semester angelegt, der Magister in der Regel auf neun. Im Friedrich-Meinecke-Institut, der Geschichtsfakultät der FU, hört man immer von Professoren: „Was früher Proseminar hieß, heißt jetzt Grundlagenseminar. Der Inhalt bleibt fast derselbe.“ Solche Einstellungen hält Volker Fadinger, Professor für Alte Geschichte, für fatal: „Der Bachelor ist ein völlig neues System, das auch völlig andere Lehrstrukturen braucht.“ Im Vordergrund müsse die Vorbereitung der Studenten auf ein Berufsfeld stehen. Dieser Ansicht schließt sich FU-Präsident Dieter Lenzen an: Die Studienordnungen für den Bachelor seien teilweise stark überladen. Lenzen will das Ergebnis der FELZ-Studie abwarten und dann eventuell einzelne Bachelorordnungen inhaltlich „abspecken“.

Wenn aus den prallen Studienordnungen tatsächlich fachliche Inhalte herausfallen sollten, ergäbe sich aber ein nächstes Problem: Den Studenten würde nicht mehr so viel Fachwissen vermittelt werden. Lenzen sagt: „Schlanker machen heißt nicht, schlechter machen.“ Womöglich hätten sonst die Skeptiker tatsächlich Grund, von „Micky-Maus-Akademikern“ zu sprechen.

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