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Abriss und Aufbruch. Blick in die Ausstellung der Galerie, die das Werk von Gordon Matta-Clark zu einer großen Gesamtinstallation macht.

© Galerie Thomas Schulte

Gordon Matta-Clark in der Galerie Thomas Schulte: Schnitte am Körper

Raum als Architektur und als soziale Struktur wahrnehmen: Das rare Werk von Gordon Matta-Clark ist in der Galerie Thomas Schulte ausgestellt.

Die Vorstellung, Raum radikal zu verwandeln, ist einer der wichtigsten Gedanken des amerikanischen Künstlers Gordon Matta-Clark. Bekannt wurde er durch seine Auseinandersetzung mit verwahrlostem städtischen Raum – insbesondere verlassenen Häusern, die abgerissen werden sollten.

Die Galerie Thomas Schulte zeigt in der Ausstellung „The Notion of Mutable Space“, wie drastisch Matta-Clark sein Material behandelte und mit einer Motorsäge ganze Gebäudeteile aussägte, um ihre verborgene Konstruktion freizulegen. Das war ein radikaler Versuch, Raum als Architektur und gleichzeitig als soziale Struktur wahrzunehmen. Damit kreierte Matta- Clark neue Metaphern, sprach von seiner Arbeit als einem Versuch, „den Ort in einen Geisteszustand zu verwandeln“. Stets arbeitete er dabei an seiner eigenen existenziellen Grenze: Der Künstler agierte häufig mit nacktem Oberkörper und Motorsäge in der Hand in den zersplitterten, aufgesägten Haussegmenten. Und immer wurden seine Haus-Skulpturen bald nach der Intervention von Abrissbirnen vernichtet.

Das Provisorische ist Grundelement seiner Ideen: Es bleibt nur wenig übrig. Die mehr als 100 Zeichnungen, dazu Objekte, ein Video und Fotoarbeiten in der Galerie sind daher rare Kostbarkeiten und verdeutlichen einmal mehr, wie intensiv sich Matta-Clark auch theoretisch und konzeptionell mit architektonischen Grundlagen auseinandergesetzt hat. Deutlich wird, wie er schon im Prozess des Entwerfens als Architekt dachte. 1969 lernte Matta-Clark den amerikanischen Landart-Künstler Robert Smithson kennen und interessierte sich seitdem zunehmend für Multimediakunst. Smithson und die Landart bildeten einen wichtigen Hintergrund, ohne den das Werk nicht in dieser Form erhalten oder überhaupt entstanden wäre.

Destabilisierung vorhandener Bedeutungsebenen

Die Fotos und Filme von Gordon Matta-Clarks Interventionen wie auch die Cibachrome-Abzüge „Office Baroque“ von 1977 oder „Conical Intersect“ von 1975 (beide jeweils 160 000 Dollar) sind eindrückliche Dokumentationen. Er bewahrte einige der Bausteine seiner aus den Häusern gesägten Elemente auf, die als „Schnitte“ bekannt wurden. Die Skulptur „Bronx Floor“ (Preis auf Anfrage) ist ein solches originales Stück Wohnungsboden aus New York und versinnbildlicht die ursprüngliche Idee von Auflösung und sozialem Kontext. Dieses Objekt war zugleich Fußboden, aber auch Decke zweier Wohnungen in einem heruntergekommenen Wohnkomplex im berüchtigten Stadtteil Bronx. Matta-Clarks „ Cut Drawings“ (1974), in mehrere Lagen Papier gesägte Formen, setzen die Idee in eine neue, andere Form um. Stets aber ist sein Ziel die Öffnung und Destabilisierung vorhandener Bedeutungsebenen. Räume und Ideen sollen auf ganz neuen Vorstellungen von Architektur und menschlichem Miteinander basieren, indem sie die Realität urbaner Verhältnisse in ihrer Baustruktur hinterfragen.

Bausubstanz als Skulptur

Die ausgeführten Schnitte mit der Motorsäge in den Baukörper erlauben die Öffnung des Raumes. Tageslicht drang ein und transformierte die Bausubstanz in eine Skulptur. Zugleich war Gordon Matta-Clark ein Kritiker der städtischen Politik, die die Verwaltung von Gebäuden aufgab und ganze Gemeinden sich selbst überließ.

Der größte Komplex von Papierarbeiten in der Galerie sind Originalzeichnungen aus unterschiedlichen Serien. Sie zeigen das Interesse des Künstlers an der Interaktion zwischen Körper und Natur respektive Architektur, die er durch zahlreiche Motive wie Pfeile und Piktogramme zum Ausdruck bringt. Dazu zählen die Entwürfe für „Ballongebäude“, den „Sky Hook (study for a balloon building)“ aus dem Jahr 1978 – eine Serie von zwanzig Blättern, von denen jedes 25 000 Dollar kostet. Und ebenso die „Notebooks“ des Künstlers: Zeichnungen mit dem Titel „Energy Rooms“ von 1974 (je 40 000 Dollar) oder die bekannten Serien mit zwölf Vorzeichnungen seiner Arbeit für die Documenta 1977 in Kassel ( je 200 000 Dollar) und vier weiteren Entwurfzeichnungen zu je 75 000 Dollar.

Mauern aus Müll

Die Entwürfe und Zeichnungen verdeutlichen, wie wichtig für Gordon Matta-Clark das Aufzeigen von Energieverläufen und -räumen war. In alle Richtungen wirkend, entwickelte er im öffentlichen Raum wie in Alternativgalerien sein soziales Engagement mit Werken, die sich in einer künstlerischen Form mit Alchemie, Bäumen, Kochen und Recycling beschäftigten. Zeugnis davon gibt seine paradigmatische Arbeit „Garbage Wall“ von 1970, von der ein Exemplar in der Galerie unter Anleitung seiner Witwe wieder erschaffen wurde – aus gesammelten, weggeworfenen Materialien.

Gordon Matta-Clark zählt zu den zentralen Figuren einer Generation, die in den siebziger Jahren kritische Fragen stellte, im aufkommenden Bewusstsein dafür, dass das Schillernde von Pop-Art und Minimalismus zu bröckeln begann und das postindustrielle Zeitalter die Grenzen des Wachstums sichtbar werden ließ. „Garbage Wall“ greift die Praxis New Yorker Obdachloser auf, Müll zu bündeln, um daraus Mauern für improvisierte Wohnräume zu schaffen. Der Künstler erkannte darin einen alchemistischen Akt: aus Wertlosem etwas Neues gewinnen.

Galerie Thomas Schulte, Charlottenstr. 24; bis 4.11., Di–Sa 12–18 Uhr

Heike Fuhlbrügge

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