
© dpa/Md Rafayat Haque Khan
Mit Rückenwind von ganz rechts: EU einigt sich auf abgeschwächtes Lieferkettengesetz
Die Konservativen machen im Europaparlament bei Abstimmungen immer wieder gemeinsame Sache mit den extremen Rechten. Nun auch beim Gesetz zur Lieferkette.
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Jubel und Empörung liegen in Brüssel in diesen Tagen nahe beieinander. Grund für die jüngste emotionale Aufwallung ist das Lieferkettengesetz. Verhandler des Europaparlaments und des Rates der 27 EU-Länder haben sich in der Nacht zum Dienstag darauf geeinigt, dessen Vorgaben deutlich zu entkernen.
Das Lieferkettengesetz soll Unternehmen eigentlich für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung in die Pflicht nehmen. Es war im Frühjahr 2024 beschlossen worden, wurde aber auf massiven Druck der Wirtschaft schon einmal verschoben. Nun wurde in Brüssel vereinbart, dass die Regeln für wesentlich weniger Firmen gelten sollen. Zudem soll die Umsetzung auf Juli 2029 verschoben werden.
Angelika Niebler, Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europaparlament, gerät angesichts der geplanten Änderungen ins Schwärmen und betont, dass nun „das größte Entlastungspaket für Unternehmen auf den Weg gebracht wird, das es in der EU je gegeben hat“. Ihr Fazit: „Europa meint es ernst mit dem Bürokratieabbau.“ Doch was von den Konservativen gefeiert wird, löst bei Sozialdemokraten und Grünen Entsetzen aus. Sie prangern an, dass auf massiven Druck aus der Wirtschaft der Umweltschutz und die Menschenrechte weiter unter Druck geraten würden.
Der Grund: Das Gesetz soll nun für Unternehmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und einem weltweiten Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro gelten. Bisher war eine Schwelle bei 1000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Umsatz vorgesehen. Die betroffenen Unternehmen sollen zudem nicht mehr ihre gesamte Lieferkette überwachen müssen.
Die neue Realität ist, dass die Konservativen, geblendet von ihrem Hass auf den Green Deal, sogar mit den extremen Rechten paktierten.
Lena Schilling, Europaabgeordnete der Grünen aus Österreich
Für Empörung in den linken Parteien sorgt aber nicht nur die Entschärfung des Lieferkettengesetzes. Lena Schilling, Europaabgeordnete der Grünen aus Österreich, attackiert mit ihrer Kritik massiv die politischen Gegner im EU-Parlament. „Die neue Realität ist, dass die Konservativen, geblendet von ihrem Hass auf den Green Deal, sogar mit den extremen Rechten paktierten.“ Es sei ihnen offenbar „egal, wenn Kinderhände unsere Produkte zusammenkleben und Flüsse durch Chemiegifte verseucht werden“.
Lena Schillings politischen Furor entfachen die neuen Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament, das den Kompromiss zum Lieferkettengesetz nun noch absegnen muss. Dieser Schritt gilt allerdings als Formsache, da zuletzt die konservative Europäische Volkspartei (EVP) im Verbund mit den Rechtsaußen-Fraktionen mehrere Umweltgesetze zum Teil deutlich ausgehöhlt hat. Das tut Sozialdemokraten und Grünen besonders weh, weil sie in der vergangenen Legislaturperiode mit ihrer eigenen Mehrheit einst die Standards in Sachen Umweltschutz und Menschenrechte deutlich hochgeschraubt hatten.
Größere Disziplin bei den extremen Rechten
Möglich geworden ist dieser offensichtliche Rechtsruck in der EU-Politik erst durch die deutlich größere Disziplin bei den Abgeordneten der extremen Rechten aus Italien und Frankreich. Eine führende Rolle spielen dabei die Leute von Giorgia Meloni, der postfaschistischen Regierungschefin in Rom. Zu Hause wettert die Chefin immer wieder gegen die volksfernen Brüsseler Bürokraten, doch die Abgeordneten ihrer Partei Fratelli d’Italia betreiben im Europaparlament eine betont konstruktive Politik und verhelfen der konservativen EVP-Fraktion verlässlich zu den gewünschten Mehrheiten.
Dieses Erfolgskonzept hat sich inzwischen auch der rechtsextreme Rassemblement National aus Frankreich zu eigen gemacht. Dessen Vorsitzender Jordan Bardella schaffte es, die extrem rechte und bisher eher desolate Fraktion der „Patrioten“ zu einen. Den sichtbaren Durchbruch schaffte Bardella, als er dafür sorgte, dass seine Gefolgschaft in diesen Tagen diszipliniert und im Verein mit der EVP für ein sogenanntes Omnibus-Gesetz zum Rückbau von zentralen Umweltgesetzen stimmte. Es gilt als sicher, dass die „Patrioten“ auch für die anstehenden Änderungen bei den Vorgaben zur Lieferkette sind und natürlich auch bei der Verschärfung der Gesetze in Sachen Migration mitstimmen.
EVP-Chef Manfred Weber (CSU) betont immer wieder, dass seine Fraktion auf keinen Fall einen strategischen Rechtsschwenk vollzogen habe. Die Basis seiner Politik bleibe das informelle Bündnis mit den Parteien der demokratischen Mitte, also den Sozialdemokraten, Liberalen und auch den Grünen. Diesen Worten schenken die linken Fraktionen aber keinen Glauben mehr und sehen eine ideologische Wende.
René Repasi, Vorsitzender der SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament, beklagt, die Erzählung der Christdemokraten sei falsch und gefährlich, dass „man sich zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit entscheiden“ müsse. Das sei „ein Mythos, den wir sonst nur von Nationalisten und Rechtsextremen hören, auch aus den USA“.
Von dort bekommen die extremen Rechten in Europa inzwischen mächtigen Rückenwind. US-Präsident Donald Trump keilt fast täglich gegen die Europäische Union und prophezeit ihr den Untergang. Retten könne den alten Kontinent in seinen Augen nur die Machtübernahme durch rechte Parteien wie die AfD in Deutschland. Die US-Regierung warnt in ihrer neuen nationalen Sicherheitsstrategie sogar vor der „zivilisatorischen Auslöschung“ Europas.
Großen Applaus bekommt der US-Präsident aus den Reihen von Melonis Fratelli d’Italia. Der Europaparlamentarier Nicola Procaccini kritisiert die von Trump verhöhnten EU-Digitalgesetze und beklagt lautstark die „politische Willkür“ der EU. Dabei unterschlägt der Rechtsaußen-Politiker geflissentlich, dass seine Fraktion im Europaparlament brav für exakt diese Digitalgesetze gestimmt hat.
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