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Der ukrainische Präsident Selenskyj bei einer Pressekonferenz am Rande des G7-Gipfels.

© AFP/LOUISE DELMOTTE

Update

„Bachmut ist nicht von Russland besetzt“: Selenskyj rückt verwirrende Abfolge von Aussagen zurecht

Die russischen Erfolgsmeldungen weist der ukrainische Präsident zurück. Wenige Stunden zuvor irritierte er mit uneindeutigen Aussagen zur Schlacht um die ostukrainische Stadt.

| Update:

Der Krieg in der Ukraine wird zum einen auf Schlachtfeldern geschlagen, wie die ostukrainische Stadt Bachmut eines geworden ist. Der andere Teil ist ein Krieg der Worte: Es geht um die Deutungshoheit darüber, welche Seite wie erfolgreich ist. Das zeigt sich nun wieder am Beispiel von Bachmut, einer Stadt mit hoher Symbolkraft für beide Kriegsparteien.

Im Fokus steht jetzt eine Reihe von Bemerkungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die international aufmerken ließ. Der Staatschef, der sich aktuell noch in Japan anlässlich des G7-Gipfeltreffens aufhält, äußerte sich am Sonntagmorgen vor Journalisten zunächst uneindeutig zur Lage in Bachmut. Ist die Stadt endgültig gefallen?

Die jüngste Meldung datiert von Sonntagmittag. Im japanischen Hiroshima stellte Selenskyj klar, dass sich Bachmut nicht vollständig unter russischer Kontrolle befinde. „Bachmut ist heute nicht von Russland besetzt worden“, sagte der Staatschef bei einer Pressekonferenz nach dem G7-Gipfel. Für diese Worte gebe es „keine zwei oder drei Interpretationen“.

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Damit fügte Selenskyj einer Abfolge mehrerer Äußerungen und Lageberichte beider Kriegsparteien eine weitere Episode hinzu – einer Reihe von Aussagen, in der er selbst zeitweise für Irritationen zur militärischen Situation in Bachmut beigetragen hatte. Die Frage jedoch bleibt: Handelte es sich um zwischenzeitliche Missverständnisse oder ist Bachmut gefallen? Eine Rekonstruktion ereignisreicher Stunden im Krieg der Worte.

Prigoschin verkündet Eroberung und Putin gratulierte russischen Einheiten

Zunächst verkündete der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, am Samstagnachmittag die Eroberung der Stadt. „Die Operation zur Einnahme von Bachmut hat 224 Tage gedauert“, sagte er.

Später am Samstag meldete das russische Verteidigungsministerium die vollständige Eroberung Bachmuts. Die russische Nachrichtenagentur Tass ließ ausrichten, dass Staatschef Wladimir Putin den Wagner-Einheiten und der Armee zu ihrem Erfolg gratuliert habe.

Was sagt die Ukraine dazu? Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar schrieb bei Telegram, dass die Situation kritisch sei, ukrainische Truppen aber noch einige Einrichtungen der Industrie und Infrastruktur kontrollieren würden. Die eigenen Truppen hätten die Stadt an den Flanken teilweise eingekreist. 

Das ist offenbar die Linie, die Kiew nach außen vertreten möchte – doch ausgerechnet Präsident Selenskyj sorgte zwischenzeitlich mit einer uneindeutigen Aussage zur Lage in Bachmut für Verwirrung.

Selenskyj beantwortet eine Journalistenfrage nicht eindeutig

Bei einem Termin mit US-Präsident Joe Biden am Rande des G7-Gipfeltreffens im japanischen Hiroshima wurde Selenskyj von einem Reporter gefragt, ob die Stadt im Osten der Ukraine noch in ukrainischer Hand sei. Der Journalist schob nach: „Die Russen sagten, dass sie Bachmut eingenommen hätten.

Der ukrainische Präsident antwortete mit den Worten: „Ich denke, nein.“ Nur blieb dabei unklar, auf welchen Teil der Frage des Journalisten er sich bezog. Je nachdem ist die Bedeutung von Selenskyjs Antwort eine andere. Entweder sei Bachmut dann von den Russen erobert worden oder eben nicht. Zur Stadt sagte Selenskyj weiter: „Aber sie müssen verstehen, dass da nichts ist.“ Über die Russen sagte er: „Sie haben alles zerstört.“

Und außerdem: „Heute existiert Bachmut nur in unseren Herzen.“ Selenskyj sprach in diesem Zusammenhang auch von „vielen toten Russen“ und dankte den ukrainischen Soldaten für ihren Einsatz.

Wolodymyr Selenskyj gestikuliert während eines Treffens mit US-Präsidenten Biden am Rande des G7-Gipfels.
Wolodymyr Selenskyj gestikuliert während eines Treffens mit US-Präsidenten Biden am Rande des G7-Gipfels.

© dpa/Susan Walsh/AP

Die Antwort von Selenskyj sorgte für Irritationen. Hat er damit den Verlust von Bachmut bestätigt oder nicht? Oder spielt die Frage der Kontrolle gar keine Rolle mehr, da die Stadt ohnehin zerstört ist? Christopher Miller, Korrespondent der „Financial Times“, fragte bei Selenskyjs Mitarbeitenden nach.

Von dort habe es geheißen, dass Selenskyjs Antwort „Ich denke, nein“ sich auf den zweiten Teil der Frage bezogen habe („Die Russen sagten, dass sie Bachmut eingenommen hätten“).

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Ein Präsidentensprecher rückt zurecht, was Selenskyj gemeint habe

Außerdem hat inzwischen ein Sprecher des ukrainischen Präsidenten erklärt, dass Selenskyj russische Angaben über eine Eroberung der Stadt Bachmut nicht bestätigt hat. Selenskyj sei falsch verstanden worden, schrieb sein Sprecher Serhij Nykyforow am Sonntag auf Facebook.

Die Frage des Reporters beim G7-Gipfel sei gewesen: „Die Russen sagen, dass sie Bachmut eingenommen haben“, so der Selenskyj-Sprecher. „Antwort des Präsidenten: Ich denke nein.“ Auf diese Weise habe der Präsident die Eroberung von Bachmut durch die russischen Truppen bestritten, fügte der Sprecher hinzu – wobei offen bleibt, ob Selenskyj das in dem Moment wirklich so sagen wollte.

Der ukrainische Generalstab berichtete in seinem Lagebericht von Sonntagmorgen jedenfalls noch von anhaltenden Kämpfen in Bachmut. Demnach seien die Gefechte rund um die Stadt ebenfalls weiter im Gange.

Ukrainisches Militär: Teile von Bachmut unter Kontrolle

Nach Angaben eines ranghohen ukrainischen Generals kontrolliere die Ukraine einen kleinen Teil des östlichen Stadtgebiets von Bachmut. Dies sei allerdings ausreichend für einen Vorstoß in die zerstörte Stadt, wenn die Lage sich ändere, erklärte General Olexander Syrskyj auf Telegram. Ukrainische Truppen näherten sich einer taktischen Einkesselung der Stadt. Ähnlich äußerte sich die ukrainische Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar. Sie teilte mit, dass den ukrainischen Truppen an den Flanken weitere Vorstöße gelungen seien. Das Militär habe mehrere Höhenzüge eingenommen, was es den Russen schwer mache, in Bachmut zu bleiben. 

Der Sprecher der Heeresgruppe Ost, Serhij Tscherewatyj, sagte am Sonntag im ukrainischen Fernsehen: „Unsere Soldaten halten Befestigungsanlagen und einige Räumlichkeiten im Südwesten der Stadt.“ Er räumte allerdings ein, dass die Lage kritisch sei und es schwere Kämpfe gebe. 

Tscherewatyj nahm auch Stellung zu den missverständlichen Äußerungen von Präsident Wolodymyr Selenskyj. „Der Präsident hat es richtig gesagt – die Stadt ist praktisch dem Boden gleichgemacht“, sagte Tscherewatyj. Selbst bei einer Eroberung hätte die Stadt weder militärischen noch politischen Nutzen für die Russen, „aber sie führen sich auf, als hätten sie Dnipro eingenommen.“ Die Millionenstadt Dnipro ist das wichtigste Industrie- und Rüstungszentrum im Südosten der Ukraine. 

Experte: Russland hat Bachmut eingenommen

Simon Weiß, Russland-Experte bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, sieht Bachmut dagegen unter russischer Kontrolle. Das zeigten Videos von Prigoschin und ihm nahestehenden Reportern. Der Fall der Stadt habe sich seit Tagen abgezeichnet, sagte er dem Tagesspiegel.

Eine gute Nachricht für die ukrainischen Truppen bestehe laut Weiß darin, dass ein relativ geordneter Abzug aus Bachmut möglich gewesen sei, da die Nachschub- und Evakuierungswege entlastet gewesen seien. Dabei hätten die ukrainischen Angriffe samt Geländegewinnen nördlich und südlich von Bachmut eine wichtige Rolle gespielt.

Weiß erwartet, dass sich das ukrainische Verteidigungsministerium sehr wahrscheinlich mit klaren Positionierungen zu Bachmut zurückhalten wird, bis die ukrainische Offensive in der entscheidenden Phase ist. Die ukrainischen Vorstöße an den Flanken von Bachmut hätten Hoffnungen geweckt, die Kiew am Leben erhalten möchte.

In Bachmut lebten einst 70.000 Menschen. Die Schlacht um die Stadt gilt als längste und blutigste seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine im Februar 2022. Es wird vermutet, dass beide Seiten große Verluste erlitten haben.

Der Fall von Bachmut würde Moskau nach einer Reihe von Niederlagen einen wichtigen Sieg bringen. Die weitgehend zerstörte Stadt hat für beide Seiten einen hohen Symbolwert, während die strategische Bedeutung als begrenzt gilt. (mit Agenturen)

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