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Pokrowsk im Februar 2024.

© dpa/George Ivanchenko

Update

Russlands Vorrücken in Donezk: Moskau erklärt Pokrowsk für erobert – Armee der Ukraine dementiert

Die Bergbaustadt Pokrowsk gilt als ein Symbol des ukrainischen Widerstands gegen Moskaus Angriffskrieg. Nun ist sie nach Angaben aus dem Kreml gefallen. Doch ukrainische Truppen widersprechen.

Stand:

Das russische Militär hat dem Kreml zufolge die seit etwa einem Jahr umkämpfte ukrainische Bergarbeiterstadt Pokrowsk im Donezker Gebiet vollständig eingenommen. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sei die Eroberung von Pokrowsk gemeldet worden, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow russischen Journalisten.

Aus Kiew gab es zunächst keine Bestätigung. Allerdings wies das ukrainische Militär die russischen Angaben über eine Eroberung der Stadt am Dienstag zurück. Eine in der ostukrainischen Stadt kämpfende Armee-Einheit teilte der Nachrichtenagentur Reuters mit, sie halte noch den nördlichen Teil. Zudem habe sie Angriffe im Süden der Stadt ausgeführt, wo russische Truppen die Oberhand hätten. 

Der Pressesprecher der ukrainischen 155. Brigade, Artem Prybylnow, berichtete in einem Interview mit dem TV-Sender „Armija TV“, dass Russlands Truppen an der aktuellen Frontlinie in Pokrowsk entlang der Eisenbahnstrecke versuchen, Sturmangriffe durchzuführen. Die Lage sei demnach sehr dynamisch. Russische Soldaten würden sich derzeit an den südlichen Stadträndern sammeln. Allerdings seien die Verluste der gegnerischen Truppen laut Prybylnow erheblich. „Es gibt Orte, an denen auf zehn Quadratmetern zwanzig getötete Besatzer liegen“, sagte er dem TV-Sender.

Nach russischen Angaben sei ebenso die Stadt Wowtschansk in der benachbarten Region Charkiw eingenommen worden. Unabhängig lassen sich die Angaben nicht prüfen, allerdings hatte auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seinem Besuch in Paris gesagt, dass die Intensität der Kämpfe um Pokrowsk und auch im Charkiwer Gebiet hoch sei.

Beobachter verbinden die russische Erfolgsmeldung mit dem am Dienstag erwarteten Besuch des US-Sondergesandten Steve Witkoff in Moskau. Der Kreml wolle so dem Unterhändler aus Washington vor Gesprächen über einen Friedensplan militärische Fortschritte präsentieren.

Vorher hatte Kremlchef Wladimir Putin bereits mehrfach angegeben, dass die ukrainischen Truppen in Pokrowsk eingekreist seien. Der ukrainische Präsident und der Generalstab wiesen dies wiederholt zurück. Allerdings wurde Selenskyj vorgeworfen, ähnlich wie bei den bereits vorher verlorenen Städten Bachmut und Awdijiwka den Rückzug aus politischen Gründen zu lange hinauszuzögern.

Warum Pokrowsk wichtig ist

Die Stadt, in der einmal rund 60.000 Menschen gelebt haben, gilt als ein Symbol für den ukrainischen Widerstand gegen den seit mehr als dreieinhalb Jahren andauernden russischen Angriffskrieg. Mittlerweile ist sie stark zerstört.

Westlich von Pokrowsk gibt es keine großen Siedlungen, was die weitere Verteidigung für die ukrainischen Streitkräfte erschwert. Russland kommt mit einer Einnahme seinem Kriegsziel näher, das Industriegebiet Donbass vollständig zu erobern. Allerdings ist es bis zur vollständigen Besetzung des Gebiets Donezk noch ein weiter und verlustreicher Weg für Russland. Moskaus Truppen könnten sich nun auf die Städte Kramatorsk und Slowjansk im Nordosten konzentrieren, die eine wichtige, über Jahre aufgebaute Verteidigungslinie bilden.

Dazu könnte der Kreml den Erfolg auch in Richtung des Gebietes Dnipropetrowsk und dem nur 90 Kilometer entfernten Verkehrsknotenpunkt Pawlohrad weiter entwickeln. Der Nachschub der um Kramatorsk und Slowjansk verbliebenen ukrainischen Truppen verläuft zu großen Teilen über Pawlohrad. Im Gegensatz zum dicht besiedelten Bergbaugebiet Donezk finden sich in der agrarisch geprägten Steppenlandschaft nur wenig natürliche Hindernisse.

Pokrows-Eroberung wäre dramatisch für Kiew

Die Eroberung von Pokrowsk gilt als größte militärische Niederlage seit dem Fall von Awdijiwka im Februar 2024 – auch für Präsident Selenskyj. Kiew wollte den USA und den Europäern zeigen, dass die milliardenschweren Waffenlieferungen dem Land helfen, sein Gebiet zu verteidigen. Dagegen bemängeln Kritiker schon lange, die Ukraine habe zu große Verluste riskiert, um Pokrowsk möglichst lange zu halten – statt mit den Ressourcen andere Verteidigungslinien zu verstärken.

Früher einmal lebten 60.000 Menschen in Pokrowsk, heute ist die Stadt stark zerstört.

© dpa/Iryna Rybakova

Zu Moskaus Kriegszielen gehört die Einnahme der ukrainischen Regionen, Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson, die Russland neben der bereits 2014 annektierten Krim zu seinen Gebieten erklärt hat. Allerdings kontrolliert das russische Militär bis heute keines dieser Gebiete vollständig.

Neue Taktik russischer Truppen

Kiews Truppen stehen an mehreren Frontabschnitten im Süden und im Osten massiv unter Druck. Probleme bereiten der Ukraine der Soldatenmangel wegen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung und verbreiteter Fahnenflucht.

Moskaus Streitkräfte sind an der Front im Osten seit Herbst 2023 langsam und unter hohen Verlusten auf dem Vormarsch. Nach Pokrowsk drangen sie mit einer neuen Taktik in mehreren kleineren Infanteriegruppen ein und umgingen die ukrainischen Linien. Sie verzichteten auf Angriffe größerer Einheiten und den Einsatz gepanzerter Technik, die ein leichtes Ziel für ukrainische Drohnen sind.

Der ukrainische Militärgeheimdienst HUR hatte noch über eine Operation seiner Spezialeinsatzkräfte berichtet, die den Fall von Pokrowsk aufhalten sollten. Das Blatt für die Ukraine wenden konnten sie nun augenscheinlich nicht mehr.

Aber auch nach einem Fall von Pokrowsk sind keine plötzlichen Änderungen im Kriegsverlauf zu erwarten. Beide Seiten setzen in dem Abnutzungskrieg auf eine Erschöpfung des Gegners. Doch stehen die ukrainischen Chancen für einen Erfolg ungleich schlechter als die der russischen Seite. (dpa, mira, Valeriia Semeniuk)

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