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Vom Bregenzerwald bis Amerika. Ursula Heinzelmann hat sie alle verkostet: den „Figaro“ der Andante Dairy in Kalifornien, den „Pecorino Verde Naturale“ von Gianfranco Bussu aus Sardinien, den „Harbison“ von Jasper Hill Creamery & Cellars in Vermon (von oben).

© Manuel Krug/promo

Käse-Expertin Ursula Heinzelmann: "Käse ist wie Wein"

Beide gehören zusammen, beide müssen reifen, findet Köchin und Autorin Ursula Heinzelmann. Für ihr neues Buch ist sie zu Manufakturen in der ganzen Welt gereist. Ihre Erfahrung teilt sie in Talkrunden und auf der Messe „Cheese“.

Käse?! Ausgerechnet der! Hätte es nicht auch Brot sein können oder Salami? Wieso hat sich Ursula Heinzelmann ausgerechnet auf Käse spezialisiert? Heinzelmann, 1963 in Berlin geboren, raspelkurze Haare, muss kurz nachdenken. Sie schreibt seit vielen Jahren: über Wein und übers Kochen. Nun hat sie ihr zweites Buch über Käse veröffentlicht, organisiert auch Käseverkostungen, ihre „Heinzel Cheese Talks“, und außerdem die Käsemesse „Cheese“. Letztendlich kann sie es nicht so genau erklären. „Es ist, als ob du dich fragen würdest, warum bist du jetzt mit diesem Typen verheiratet? Hätte es nicht auch ein anderer sein können?“

Heinzelmann hat Köchin gelernt, mit ihrem ersten Mann am Bodensee ein Hotel mit Restaurant geführt, sich in Heidelberg zur Sommelière ausbilden lassen. Zurück in Berlin stieg sie in einen Wein- und Käseladen mit ein, dann kam sie zum Schreiben, zunächst als Übersetzerin der Texte ihres zweiten Mannes Stuart Pigott, dem britischen Weinexperten. „Seit 2009 schreibe ich über Käse und Wein, seit 2013 über Käse so, wie andere über Wein.“

Das "Nobelhart & Schmutzig" serviert ein Menü rund um Käse

Wenn Ursula Heinzelmann über Käse redet, macht sie das mit ganzem Körpereinsatz, formt mit den Händen Käseformen, gestikuliert, reißt die Augen auf, strahlt, sprudelt über. Und sei es über eine klitzekleine Portion Käse: Zum Showdown der „Cheese“ serviert das „Nobelhart & Schmutzig“ ein Menü rund um Käse (ist schon ausverkauft). „Der Micha Schäfer bringt als ersten Snack einen dünnen Cracker, darauf Späne von diesem Westcombe Cheddar“ – sie zeigt auf das Titelfoto ihres neuen Buches – „und darüber schwarzer Rettich. Dieser Farmhouse-Cheddar! Er ist einerseits vollmundig, hat aber eine tolle Säure, und durch die Art, wie er reift, erdige Aromen, die an frische Meerrettichwurzeln erinnern. Also eine frische, leichte Schärfe und das Erdige dazu.“ Das also meint sie damit, über Käse wie über Wein zu schreiben. Und jetzt diese Schwärmerei über ein Menü, obwohl sie doch nicht gerne mit Käse kocht? „Käse ist für mich ein fertiges Produkt. Ich schütte auch nichts in meinen Wein, ich mag keinen Aperol Spritz.“ Um Käse herum zu kochen, sei aber etwas anderes. „Das verfälscht den Käse nicht, sondern stellt ihn in einen Rahmen.“

Und Marmelade zu Käse zu servieren, wie sieht es damit aus? „Feigensenf ist ja mein besonderer Liebling“, sagt Ursula Heinzelmann, und meint es genau so nicht. „Das zeugt für mich von einer Unsicherheit, man traut den Käsen nicht viel zu. Ich reiche ja auch nicht die Weinkarte und sage, suchen Sie sich was aus, und dann können wir dies und jenes reinschütten.“

Käse und Wein, immer wieder kommt Heinzelmann auf diese beiden zu sprechen. „Ja, weil Wein und Käse gut zusammen passen, und ich Wein ohne Käse und Käse ohne Wein ziemlich blöd finde.“ Und beides seien leicht verderbliche Grundmaterialien, die punktuell anfallen. „Ich melke und habe viel Milch. Wenn ich die nicht begleite in ihrem Verändern, dann kann ich sie nicht mehr konsumieren.“ Genauso sei es mit Trauben, „die fallen einmal im Jahr an, und wenn es nicht die Tafeltrauben aus dem Supermarkt sind, sind sie ziemlich schnell in Richtung Essig unterwegs.“ Der Mensch habe gelernt, diese Veränderung so zu begleiten, dass er etwas bekomme, das ihn „das ganze Jahr über ernährt und beglückt“.

Wer Käse macht, braucht Milch - für Säugetiere ein sehr ursprüngliches Produkt

Einen großen Unterschied gebe es aber doch: „Man kann ziemlich gut ohne Trauben leben – auch wenn es vielleicht ohne vergorene Trauben nicht so vergnüglich ist. Aber ohne Milch geht zumindest am Anfang für uns alle nichts.“ Das unterscheide auch die Käser. Zunächst habe sie gedacht, sie könne einfach so zu Käsern gehen, wie sie zu Winzern gehe. Das habe aber nicht funktioniert. Winzer seien eher offene, kommunikative Menschen. „Sie haben zwar Stressmomente im Jahreszyklus, aber dann haben sie ein Produkt, das ist abgefüllt, das kann man mitnehmen. Käser mit eigenen Tieren hingegen müssen zweimal am Tag melken, folgen aber zugleich großen Zyklen, wenn man Hartkäse macht, die man lange begleiten muss.“ Käsen sei im Grunde wie Stillen: eine „intime Situation“. Auch wenn Kühe heute relaxed seien und so gezüchtet, dass Milch immer fließt. „Aber es gibt noch Kühe, etwa in Zentralfrankreich, bei denen man erst das Kalb trinken lässt, weil nur so die Milch einschießt, dann das Kalb wegnimmt und weitermelkt.“ Und zu der Überlegung, ob ihre Begeisterung genauso hätte aufflammen können für Salami und Brot, ergänzt sie: „Wenn man sich mit Wurst und Fleisch beschäftigt, muss man anders drauf sein, da geht es erstmal ums Töten. Und Brot? Ja. Ist auch spannend. Punkt.“

Käse-Sommelière Ursula Heinzelmann hat weltweit Wissen über die Käse-Produktion gesammelt.
Käse-Sommelière Ursula Heinzelmann hat weltweit Wissen über die Käse-Produktion gesammelt.

© Manuel Krug/promo

Tiere zu töten, menschheitsgeschichtlich lag das nahe, jedenfalls als Jäger und Sammler. Aber wie um Himmels Willen kam man darauf, Lab aus Kälbermägen mit Milch zusammenzumischen, um Käse zu bekommen? Das habe sie sich auch gefragt, sagt Heinzelmann, und darüber in ihrem Buch geschrieben. Als die Menschen sesshaft wurden „ist Käse in Gegenden entstanden, wo ich Tiere brauche, um in dieser Landschaft überleben zu können; also am Wasser, in Marschen, wo man nicht gut Felder anlegen kann, oder eben am Berg, wo es steil und steinig ist. Als weiterer Kulturschritt tritt der Mensch zwischen Muttertier und Kind. Dazu muss man zahme Tiere haben, die einen ranlassen.“ So habe man Milch erhalten, „etwas Süßes, Wundervolles“ – und dann werde die sauer. Nun müsse jemand von: „Huch, ist ja blöd gelaufen“ bis zu „huch, schmeckt ja auch lecker“ den Schritt zum fermentierten Milchprodukt gehen. Von der gesäuerten Milch, zur Dickmilch, zum Quark, auf dem eine Rinde wächst. „Immer muss es jemanden gegeben haben, der das Potenzial erkannt und die Abfolge verstanden hat.“ Aufs Lab sei man vielleicht gekommen, vermutet Ursula Heinzelmann, weil ein Jäger im Magen eines getöteten Jungtiers die aufgebrochene Milch gefunden habe. „Da lag diese halb vergorene, würzige Paste, man hatte ja nicht so viel, da hat man eben vieles probiert.“ Methode „Versuch und Irrtum“ also, nicht anders als bei Früchten, Gemüse, Pilzen.

Ursula Heinzelmann bringt von ihren Reisen Käse und Käsegeschichten mit. „Ich treffe immer wieder auf neuen Käse und denke mir: Das ist total spannend! Also fahre ich hin nach Anatolien oder Albanien und will wissen, warum die Käse so sind wie sie sind, lerne Menschen kennen, verkoste und schreibe darüber. Mich interessieren die großen Zusammenhänge.“

In der Käse-Produktion ist Menschheitsgeschichte konserviert

Anatolien sei spannend, weil dort die Ursprünge noch erkennbar seien, wie in der Übergangszeit vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit. „Wie konserviere ich meinen gesäuerten Quark? Da hab ich eben ein Zicklein geschlachtet, die Haut zugenäht an allen Öffnungen. Also packe ich da den Käse rein, das kann ich in einer Höhle aufhängen oder mitnehmen, wenn ich weiterziehe. Milch konzentrieren und konservieren, darum geht es immer.“ Faszinierend sei aber doch, welche Bandbreite Käse entwickle – aus ein und derselben Milch. „Es sind nur Mini-Faktoren, die bestimmen, in welche Richtung es geht.“ Da ist eine Bäuerin, die Käse macht, sich aber zwischendurch um anderes kümmert, um Kinder, Garten, Schweine, Hühner. Oder jemand auf einer Alm, der sich den ganzen Vormittag auf seinen Käse konzentrieren kann.

Aus ihren weltweiten Käsegeschichten entwickelte sie den „Heinzel Cheese Talk“, und ist bei der Messe „Cheese Berlin“ eingestiegen. „Ich komme oft mit außergewöhnlichem Käse zurück. Und die Käse gibt’s wahrscheinlich so schnell nicht wieder. Da dachte ich, es muss doch Leute geben, die sich dafür interessieren, und mit denen ich die teilen kann.“ Käse habe etwas Völkerverbindendes. „Zur Cheese kommt eine der besten Käsereien der USA-Westküste, das ist doch spannend! Ein Käser, der an einem anderen Ort auch etwas Regionales macht.“ Letztendlich und vor allem gehe es ihr aber um das Menschenverbindende, sagt Heinzelmann. „Klar: Türkei, USA, es gibt eine politische, eine wirtschaftliche Dimension, aber durch den Käse kann ich Menschen auf eine andere Art begegnen. Wie macht ihr das mit dem Melken, wo kommt der Käse rein? Da sind dieselben Fragen überall“, sagt sie. „Ich war kürzlich in Albanien. Wie viele Vorurteile gibt es über Albaner? Aber man muss auch erst einmal den Menschen eine Chance geben.“

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

"Cheese Berlin" - die Tipps zur Messe von Ursula Heinzelmann

FREITAG, 2. NOVEMBER
Lange Käsenacht, das heißt: Cheese-Hopping durch die Stadt, sich in Restaurants, Craft-Bier-Kneipen oder Weinbars von Käsemachern Käse erklären lassen. Zum Beispiel im Hotel Michelberger. Da treten die jungen irischen Käser Mike Thomson und Tom Cropp mit Rohmilchkäsen an. Verkostung und Talk.
18 bis 20 Uhr, Michelberger Hotel, Warschauer Str. 39 /40, Friedrichshain

Wie wär’s mit Käse aus Anatolien? Den bringt Heinzelmanns Istanbuler Freundin Gamze Ineceli nach Berlin. Serviert wird er in der „Freundschaft“, der Bar von Ex-Cordobar-Wirt Willi Schlögl und Szene-Sommelier Johannes Schellhorn (ehemals „Nobelhart & Schmutzig“). 19 Uhr, Bar Freundschaft, Mittelstr. 1, Mitte

SAMSTAG, 3. NOVEMBER
Ein „Heinzel Cheese Talk“ Spezial über Käse aus dem Piemont. Castelmagno und Tome – Gebirgstalkäse, die aussehen wie Felsen, und zartere Robiola, mitgebracht von Enrico Rosso und La Valsesiana, dazu passende Weine.
14 bis 16.30 Uhr, Markthalle IX, Eisenbahnstraße 42, Kreuzberg

SONNTAG, 4. NOVEMBER
Die Höhepunkte des Tages: Vacherin, der Käse in der Spanholzschachtel – scheinbar vertraut. Aber was steckt dahinter? Eine Schweizer Erklärstunde. 14.30 Uhr, Markthalle IX

Oder lieber das? Mit „Suff“, der Kreuzberger Weinhandlung, durch die Markthalle IX. Eine Käsetour mit Weinbegleitung (16 und 17 Uhr). Oder andersherum: Dem Brexit ein Schnippchen schlagen mit Julie Cheyneys schlichten, aber großartigen kleinen Rohmilchkäsen St. Jude aus der White Wood Dairy (15 Uhr und ganztägig am Stand Markthalle IX)

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