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© Spiekermann-Klaas, Rückeis

Küchenduell: Gute Seiten, schlechte Seiten

Für die eine steht der Untergang des Kochbuchs fest, denn sie findet ihre Rezepte im Internet. Für die andere ist ein Laptop in der Küche das Letzte. Ein Pro & Contra

Alfred Biolek, Jamie Oliver und ihre Brüder im Geiste füllen in meinem Bücherregal eine komplette Reihe. Es ist aber schon reichlich Zeit verstrichen, seit ich die Kochbücher der Herren zum letzten Mal zur Hand genommen habe. Ich erinnere mich bloß noch daran, dass bei Jamie Oliver fast in jedem Gericht Bacon oder Worcestersauce oder sonst eine verrückte britische Zutat vorkommt und dass bei Alfred Biolek steht, ein Stück Parmesan halte sich in Alufolie eingewickelt ewig und drei Tage im Kühlschrank. Toll. Ehrlich, öfter greife ich zum Zestenreißer als zu den Bibeln der satten Risotto-Oligarchen.

Überhaupt, Kochbücher können tief enttäuschen. Ihre Bilder lassen zwar erahnen, wie viel Zeit detailverliebte Food-Stylistinnen mit der Inszenierung von Tautropfen auf den Kirschtomaten zugebracht haben müssen, aber nicht, wie das Essen am Ende wirklich aussehen wird. Ist doch klar wie Kloßbrühe, dass selbst gemachtes Essen niemals so frisch und prall wirken wird wie der mediterrane Sommersalat auf Seite 87. Ganz zu schweigen von den schrecklichen Inszenierungen, die meist in ihrer Toskanahaftigkeit nicht zu übertreffen sind. Ich hätte gerne eine Idee für ein gutes Pasta-Gericht und will es bitte vom Teller essen, nicht aus einem Vintage-Einmachglas. Ich kann ja auch sonst ausgezeichnet damit leben, dass die länglichen Gewächse vor dem Fenster von Motten befallene Kastanienbäume sind und keine Zypressen. Das gilt übrigens auch für die Provence, Mallorca und andere sonnige Sehnsuchtsorte der deutschen Hausfrau.

Der Laptop ist neben der beschichteten Pfanne mein treuestes Küchengerät. Schnell aufgeklappt, zwei, drei Suchbegriffe eingegeben - und schon erscheinen seitenweise Kochanleitungen zum Thema. Mit sympathisch-unscharfen Bildern, die Laien wie ich von dampfenden Tellern gemacht und hochgeladen haben. Mit wirklich relevanten Tipps zu alternativen Zutaten, falls ich gerade zufälligerweise keine frischen Cranberries oder Kreuzkümmel zur Hand habe. Und natürlich mit wertvollen Erfahrungsberichten von tapferen Alltagsköchen - jenen Menschen also, die werktags um 19 Uhr 55 an der Supermarktkasse atemlos ein Pfund Hackfleisch Halb und Halb aufs Band werfen und keine Zeit haben, sich lange in Enzyklopädien zu verlieren.

Das Internet ist urdemokratisch, und das Sprichwort "Viele Köche verderben den Brei" ist ausgekochter Quatsch. Das Internet steht für die kulinarische Weisheit der Massen.

"Bestreichen Sie die Meerschweinchen mit Salz"

Wenn ich Lust auf das peruanische Nationalgericht "Cuy" habe, lade ich mir im Handumdrehen das passende Rezept auf der Seite www.kochen-international.de. "Bestreichen Sie die Meerschweinchen mit Salz. Zerdrücken Sie die Knoblauchzehen und geben Sie sie in 100 ml Salsa. Bestreichen Sie die Meerschweinchen ringsherum mit der Salsa." Na bitte! So direkt klingt die pragmatische Sprache des Internets. Ein bisschen gesunder Menschenverstand kann natürlich nicht schaden. Wer seinem eigenen Geschmack nicht vertraut, sollte sich ein Studentenkochbuch von "Gräfe und Unzer" kaufen, wo steht, dass man das Ei salzen soll.

Die Rezepte im Netz werden laufend aktualisiert. Im Winter wird vermehrt Herzhaftes angeboten, im Sommer Leichtes. Es gibt geniale Suchmaschinen, in die man eingeben kann, was noch in Kühlschrank und Vorratsschrank auf seinen Einsatz wartet. So viel Kochbücher kann man gar nicht kaufen. Wenn das virtuelle Füllhorn einen nicht inspiriert, was denn dann?

Vollkommen papierlos ist das Netz natürlich sowieso: Einkaufslisten kann ich mir oder dem Mitbewohner, der gerade im Bioladen ist, kostenfrei aufs Handy schicken. Das spart Zeit. Und je mehr Zeit man beim Aussuchen des Menüs und beim Einkaufen spart, desto länger kann man sich am Ende mit dem wirklich Wichtigen aufhalten: dem Kochen und Essen, dem Weintrinken, Espressomachen und Pläneschmieden. Nur eine Sache würde ich inzwischen anders machen: Mein nächster Laptop wird ganz sicher schwarz sein. Esther Kogelboom

Romantiker greifen zum Kochbuch

Internet ist was für Pragmatiker: für Menschen, die genau wissen, dass sie heute Abend Tomatensuppe kochen wollen und schnell ein Rezept brauchen. Kochbücher sind was für Romantiker. Denen beim Blättern in den Bilderbüchern das Wasser im Munde zusammenläuft: Tomatensuppe oder Pilzrisotto - oder doch lieber Penne mit Fenchelsauce? Die die Vorstellung bezaubert, was sie alles kochen könnten. Das ist wie das Lesen von Romanen: etwas für Menschen mit Fantasie.

Wenn ich Leute zum Essen einlade, lege ich mich mit einem Stapel Kochbücher aufs Sofa und blättere. Und klebe. Am Ende sind die Bücher ein Urwald an gelben Zettelchen. Am nächsten Tag fange ich an auszusortieren, Zettelchen auf Zettelchen fliegt wieder raus, bis irgendwann das Menü übrig bleibt. Das ist wie beim Reduzieren von Saucen: Die Masse wird immer weniger, dafür intensiver. Das dauert. Manchmal länger als das eigentliche Kochen. Am Herd muss für mich das Verhältnis stimmen: kleiner Aufwand, große Wirkung.

Kurzum: Meine analoge Rezeptsuche ist also ineffizienter Irrsinn. Darum liebe ich sie so. Das Blättern in Kochbüchern ist mein Luxus, so entspannend wie für andere "Gala" lesen oder "Dr. House" gucken. Sicher gehe ich auch mal ins Internet, aber nur zur schnellen Informationsbeschaffung. Die Rezepte dort sind Gebrauchsanweisungen, mit Lust hat das nichts zu tun. Erst recht nicht, wenn irgendwelche Corinnas und Mikes mich volllabern, wie toll ihr Cheesecake geschmeckt hat.

Das  Kochbuch stürzt nicht ab

Selbst wenn ich elektronisch nachschlage: In die Küche kommt mir der Laptop auf gar keinen Fall. Den ganzen Tag sitze ich von Berufs wegen am Computer, das reicht. Wenn's wirklich fix gehen muss, ist das Buch sowieso schneller: Da greife ich mir einen Autor meines Vertrauens (welchem Anonymus im Internet kann man denn trauen?!) und muss nur das Buch aufklappen. Abstürzen kann es auch nicht.

Sicher, Kochbücher verschwenden nicht nur Zeit, sondern auch Raum. Fünf Regalbretter, um genau zu sein, verteilt auf Küche, Abstellkammer und Wohnzimmer. Da stehen die schönsten. Wenn ich Logierbesuch habe, kann ich sicher sein, dass er irgendwann nach Jamie Oliver, Donna Hay oder Nigella Lawson greift. Thomas Mann und Peter Weiss, die auch in der Nachbarschaft stehen, rühren meine Gäste nie an.

Die Angelsachsen sind mir unter den Kochbuchautoren die allerliebsten, sie sind gute Erzähler, pragmatische Köche und verfügen über die wichtigste Zutat: Humor. Ohne Witz und Selbstironie können Kochbuchautoren nämlich schnell unerträglich werden, didaktisch, überheblich oder schlicht langweilig. In der Schwemme der Kochbücher kommt das häufiger vor. Jeder, der einen Kochlöffel in der Hand halten kann, wirft heutzutage ja eines auf den Markt. Und dann noch eins. Und noch eins. Da gibt es dann "Alfons Schuhbecks Hausmannskost für Feinschmecker", "Noch mehr Hausmannskost für Feinschmecker", "Bayerische Hausmannskost für Feinschmecker", "Meine italienische Hausmannskost für Feinschmecker".

Kochbücher sind Geschichtsbücher, das kollektive Gedächtnis einer Nation. Vielleicht reicht selbst hauptamtlichen kulinarischen Internetnutzern das flüchtige Medium deshalb irgendwann nicht mehr. So hat die bekannteste deutschsprachige Foodbloggerin Nicole Stich kürzlich ein Kochbuch rausgebracht: "Ich war so gespannt, endlich in den Händen zu halten, was bis dahin nur virtuell existierte." Eben. Das ist doch der Reiz des Kochens: das Reale daran. Das Handwerkliche. Das Sinnliche. Die Spuren. Kochen macht Dreck. Sahne-, Saucen- und Fettspritzer zieren meine Bücher, an denen ich gerade das Störrische mag: dass sie just in dem Moment zuklappen, wenn ich nachlesen will, wie viel Paprika ins Gulasch kommt. Man solle sich daher nie die Hochglanz-Neuausgabe eines Klassikers zulegen, rät der englische Schriftsteller Julian Barnes. Man würde sowieso nur auf das zerfledderte gewellte alte Paperback zurückgreifen, das "Ihnen zu Recht lieb geworden ist".

Ich habe noch nie jemanden sagen hören, er habe sein Internet lieb gewonnen. Susanne Kippenberger

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