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-CITY Lights: Kippen und Bier

Bald wird der Einzug des Bundesnachrichtendienstes die Gegend wohl erneut umkrempeln. Doch schon jetzt ist im Quartier zwischen Torstraße und Invalidenstraße unter dem historisierenden Dekor neubürgerlichen Biedermeiers von der wirklichen Vergangenheit kaum noch etwas zu spüren.

Bald wird der Einzug des Bundesnachrichtendienstes die Gegend wohl erneut umkrempeln. Doch schon jetzt ist im Quartier zwischen Torstraße und Invalidenstraße unter dem historisierenden Dekor neubürgerlichen Biedermeiers von der wirklichen Vergangenheit kaum noch etwas zu spüren. Hier lag im sogenannten Feuerland direkt außerhalb der alten Stadtmauer die Urzelle des frühindustriellen Berlin mit qualmfauchenden Eisengießereien und Borsigs Lokomotivenfabrikation. Feuerland heißt auch ein halbstündiger Dokumentarfilm von Volker Koepp, der zwei Jahre vor dem Ende der DDR Alltagsszenen aus der Gegend zwischen Stadtbad Mitte und Stadion der Weltjugend sammelte. Dazwischen das BorsigEck, eine traditionsreiche und populäre Kneipe, in der sich ein buntes Völkchen bei Bier und Kippen einfand.

Der Film, die erste Zusammenarbeit von Koepp mit seinem langjährigen Kameramann Thomas Plenert, wird Sonntagnachmittag mit zwei anderen kurzen dokumentarischen Berlin-Filmen im Kino Krokodil gezeigt: Aus der unmittelbaren Vorwendezeit stammt Thomas Heises Imbiss Spezial über die Besucher eines Imbissstands im Untergeschoss des Bahnhofs Lichtenberg. Nachtarbeiter wiederum stammt aus den frühen Siebzigern. Regisseur Richard Cohn-Vossen war einer der bekanntesten Dokumentaristen der DDR, bevor er 1979 notgedrungen in die Bundesrepublik umsiedelte: Konsequenz aus den vielfältigen Behinderungen in Arbeit und Leben, nachdem er die Resolution gegen die Ausbürgerung der Liedermachers Wolf Biermann unterzeichnet hatte. Der war übrigens auch Stammgast im Borsig-Eck.

Die Kneipe gibt es nicht mehr, an ihre Stelle ist ein nicht unsympathisches gepflegtes Etablissement der in Mitte neuüblichen Art getreten. So schnell wird Dokumentarfilm zum Geschichtsdokument.

Auf eine etwas ausführlichere Zeitreise führen die beiden Jeanne d’Arc-Filme von Jacques Rivette, die eigentlich ein zweiteiliger Fünf-Stunden-Film sind. Minutiös rekonstruiert Rivette die Ereignisse nach historischer Quellenlage. Kameramann William Lubtchansky (auch er mit dem Regisseur über viele Jahre verbunden) komponiert grandiose Raumtotalen dazu. Im Zentrum steht eine zierliche Schauspielerin, mit hoch konzentrierter Energie: Sandrine Bonnaire. Für Rivette war sie zugleich Inspiration: „Ohne sie wäre ich nie auf die Idee gekommen, den Film zu machen. Wie Jeanne verkörpert Sandrine jemanden, der sehr direkt und evident ist, der (...) unfähig zum Kalkül und zur Heuchelei ist.“ Beide Filme sind am Sonnabend im Arsenal zu sehen; das Kino ehrt die Darstellerin noch bis Ende des Monats mit einer Retrospektive.

Kritiker stießen sich an der Tatsache, dass die 1967 geborene Schauspielerin bei den Dreharbeiten älter war als ihre Figur. Ähnlich traf es Robert Mitchum, als er in der Nachfolge von Dick Powell oder Humphrey Bogart 1975 in Dick Richards’ Chandler-Verfilmung Farewell, My Lovely als Endfünfziger den Marlowe gab. Dabei ist es gerade die dem gelebten Leben geschuldete Reife, die dem zynischen Romantizismus des Charakters glaubwürdige Tiefe verleiht – jenseits der üblichen Hard-Boiled-Manierismen. Mit dem ungewöhnlich unironischen Spät-Noir geht am Montag im Eiszeit die Reihe „Krimikinolesung“ in die nächste Runde. Vor dem Film lesen Wiglaf Droste und die Schauspielerin Nicole Kleine aus Chandlers Roman.

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