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Tobias Rehbergers Werk im neuen Rara-Lesesaal der Berliner Staatsbibliothek.

© IMAGO

Künstlerisches Plagiat?: Rehberger-Gemälde in der Staatsbibliothek verhüllt

Im neuen Lesesaal der Berliner Staatsbibliothek wurde ein Bild von Tobias Rehberger nach wenigen Tagen verhüllt. Ist es das Plagiat eines Op-Art-Gemäldes von Bridget Riley? Mit der Frage beschäftigt sich nun die Justiz.

Wie kommt die Kunst in die Welt? Durch den Geistesblitz eines einsamen Genies? Per Musenkuss? Auf Befehl von höheren Wesen? Gibt es überhaupt genug originelle Ideen? Kann nicht auch ein Zitat schon Kunst sein? Wo verläuft die Grenze zwischen Huldigung und Plagiat? Und was sagt das Urheberrecht dazu?

In den frisch renovierten Räumen der Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden wurde ein Bild des Künstlers Tobias Rehberger verhüllt, nur neun Tage nach der Einweihung. Hintergrund ist eine juristische Auseinandersetzung zwischen Rehberger und Bridget Riley, der großen alten Dame der britischen Op Art. Es geht um einen Verdacht von Plagiat. Denn Rehbergers Bild im Rara-Saal erinnert stark an Rileys Gemälde „Movement of Squares“ aus dem Jahr 1961. Es sollen bereits Gespräche zwischen den Anwälten der Künstler laufen. Rehbergers Büro in Frankfurt am Main wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Rechtsstreit äußern. Auch Rehberger schweigt. Er befinde sich, sagte ein Sprecher, derzeit auf Reisen.

Rehbergers monumentales Werk gehört zu einer Gruppe von vier abstrakten Uhrenobjekten, die für das Berliner Bücherhaus vorgesehen sind. Es ist das erste Stück aus der Serie, das bereits installiert wurde. Der Kippenberger-Schüler, derzeit Prodekan der Frankfurter Städelschule, hatte 2009 zusammen mit dem Bildhauer Olaf Metzel den Wettbewerb zur künstlerischen Ausgestaltung der neuen, von HG Merz entworfenen Lesesäle gewonnen.

Auf den ersten Blick erscheinen die Übereinstimmungen zwischen den Bildern von Rehberger und Riley tatsächlich frappierend. Sie zeigen schwarze und weiße, schachbrettartig angeordnete Rechtecke, die zum Zentrum hin immer schmaler werden, so dass sich – ein typischer Op-Art-Effekt – der schwindelerregende Eindruck ergibt, das Bild wölbe sich nach innen. Aber damit enden auch schon die Gemeinsamkeiten. Die Unterschiede sind mindestens genauso augenfällig. Rileys Gemälde ist ein exakt quadratisches Tafelbild, 122 mal 122 Zentimeter groß. Rehbergers Arbeit ist ein raumgreifendes Querformat, bei dem schon schwer zu sagen ist, worum es sich eigentlich genau handelt. Malerei? Installation? Skulptur? Und wenn man sich die beiden Kunstwerke ganz genau ansieht, so wie die Juristen das wohl jetzt auch gerade tun, werden die Unterschiede noch größer. Die optische, jeweils leicht aus der Bildachse verschobene Wölbung liegt bei Riley auf der rechten, bei Rehberger auf der linken Seite. Rehbergers Bild ist in 11 horizontale und 33 vertikale Streifen unterteilt, Rileys in 12 horizontale und 31 vertikale Streifen. Von einer exakten Kopie kann nicht die Rede sein.

Das Original? Bridget Rileys Gemälde „Movement in Squares“ von 1961
Das Original? Bridget Rileys Gemälde „Movement in Squares“ von 1961

© akg-images

Rehberger spielt in seinem hybriden, zwischen den Gattungen oszillierenden Werk schon immer mit den Vorstellungen von Originalität und Wiedergabe. Die Annahme, ein Künstler sei ein Originalgenie, hält er für eine pathetische, immer noch nicht überwundene Erfindung des 19. Jahrhunderts. „Ich glaube, als Künstler ist man eine Art Katalysator, es gehen schon viele Dinge durch einen hindurch“, hat er 2008 im Tagesspiegel-Interview gesagt. „Ich glaube, dass Kunst, sowohl beim Betrachter als auch beim Produzenten, ein Willensakt ist. Man muss einen Gegenstand als Kunst angucken wollen, dann wird er Kunst.“

So gehört zu den Merkmalen von Rehbergers Kunst die geteilte Autorschaft: Der Künstler hat eine Idee und ein anderer führt sie aus. Manchmal verhält es sich aber auch umgekehrt. Ein anderer hat die Idee und der Künstler führt sie aus. Rehberger hat Möbeldesignklassiker, Stühle von Marcel Breuer oder Rietveld, von Handwerkern in Kamerun nachbauen lassen. Nicht nach Fotos, sondern nach Zeichnungen aus seinem Gedächtnis. Die Möbel sahen dann zwar nicht genauso aus wie die Vorbilder, aber man konnte auf ihnen sitzen. In Thailand gab er einen Porsche 911 und einen McLaren F1 bei örtlichen KfZ-Mechanikern in Auftrag. Die Autos fuhren tatsächlich und stehen heute in Privatsammlungen und im Pariser Centre Pompidou. Umgekehrt fertigte Rehberger nach den Anweisungen eines Schreiners Regale. Sie hielten.

„Dass ein Künstler völlig kontrolliert, was er herstellt, ist ein Mythos“, sagt Rehberger. „Der Künstler ist der Urheber, er hatte die Idee, aber wo kommt sein Input her?“ Mit dieser Frage beschäftigen sich nun die Anwälte. Auch Bridget Riley hat das Schachbrett nicht erfunden.

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