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10 Jahre Gallery Weekend Berlin: Wellen und Werke

Was macht ein Sammler mit seinen Schätzen? Der Unternehmer Heiner Wemhöner präsentiert sie in einer Fabriketage und stellt seinen Kunstgeschmack zur Debatte.

„Other People Think“ leuchtet als Satz aus der Box von Alfredo Jaar. Die große, quadratische Arbeit von 2012 zählt zu den Neuerwerbungen der Sammlung Heiner Wemhöner und lässt sich durchaus emblematisch lesen. Was denken die anderen über den Sammler aus Herford? Über seine Ausstellung in Wedding? Und über die Auswahl von sechzig Werken aus seinem Besitz, die ganz gewiss auch zeigen möchte, wie der 63-jährige Unternehmer denkt.

Bislang kannte man die von ihm erworbene Kunst vor allem aus dem Bücherregal. Drei Bände zum Blättern sind in jüngster Zeit erschienen, chronologisch geordnet ab den Anfängen der späten neunziger Jahre, in denen Wemhöner zunächst chinesische Kunst sammelte. Das hat auch damit zu tun, dass seine auf Holzveredelungen spezialisierte Firma seit langem neben Herford auch in Asien ansässig ist. So konnte sich der Unternehmer auf seinen Reisen vor Ort informieren – vor allem aber früh und günstig kaufen.

Kunst aus China war der Anfang - inzwischen interessieren ihn andere Themen

Einen geschätzten Künstler wie Yue Minjun zeigt er noch jetzt in der großartigen Fabriketage, die bis vor wenigen Monaten Max Hetzler als Galerie diente. Wemhöner hat sie übernommen und für mehrere Wochen angemietet. Hier also steht Yues Skulptur von 2003 mit ihren ewig grinsenden Männern und erinnert daran, dass man den starren Selbstbildnissen des Künstlers inzwischen inflationär begegnet. Das ist ein Problem der chinesischen Kunst: Zu Boomzeiten haben auch verdiente Maler angefangen, massenhaft zu produzieren, oft auf Kosten der Qualität. Nicht zuletzt deshalb hat Wemhöners Interesse für Fernost spürbar nachgelassen. Es sei denn, er stößt auf Künstler wie den jungen Chinesen Chen Xiaoyun, der mehrfach in der Ausstellung vertreten ist. Hier hantiert er auf großformatigen Fotografien mit trockenen Ästen, die er biegt und bricht, um die Verletzlichkeit menschlicher Individuen zu demonstrieren.

Seinen Fokus hat Wemhöner längst geweitet und auf die europäische Kunstszene ausgerichtet. Allein schon weil er zu den Gründern des Museums Marta Herford gehört, das 2005 eröffnet wurde. Ein Teil seiner inzwischen auf rund 600 Arbeiten gewachsenen Sammlung mit Werken von Marina Abramovic, Darren Almond, Alexandra Ranner oder Joseph Kosuth ergänzt in Herford die Wechselausstellungen – wenn es thematisch passt. Anderes steht im Depot. Und dann hat Wemhöner zahlreiche Skulpturen im eigenen Park aufgestellt, die man bisher bloß in seiner jüngsten Publikation „Placed“ anschauen konnte.

Damit ist es vorbei. Die Ausstellung in Wedding bringt die Sammlung nun ausschnitthaft nach Berlin. Gezeigt wird sie auf 1900 Quadratmetern einer Fabriketage, die Wemhöner mit leichter Hand hätte weit dichter füllen können, als es aktuell der Fall ist. Quantität war jedoch kein Kriterium, weshalb einige Arbeiten während des Aufbaus zurück nach Herford gereist sind. Wemhöner beschränkt sich auf „Einblicke“, wie es im Titel der Ausstellung heißt. Ein Querschnitt, den der Sammler gemeinsam mit seinem festen Kurator Philipp Bollmann ausgewählt hat. Darunter ist Seltenes, Typisches, Schönes – und natürlich etwas von dem, was die Kunstszene gerade liebt. Auch wenn Wemhöner erklärt, dass ihn allein der individuelle Geschmack führt.

Michael Najjar will ins All fliegen, Issac Julien erzählt vom Absturz eines Brokers

Charakteristisch für die Sammlung sind Skulpturen wie „Cauldron“ (2005), mit deren Hilfe der britische Bildhauer Tony Cragg das Thema Masse und Energie in feste Form gebracht hat. Dazu gesellt sich Malerei, für die der fahrige, dabei präzise Duktus von Guillaume Bruère ganz typisch ist. Von dem Berliner Künstler hängt ein ganzes Konvolut eindrucksvoller Figurenstudien an der Wand.

Vor allem aber scheint Wemhöner von Fotografie angezogen zu sein. Sie stammt auffallend häufig vom britischen Künstler Isaac Julien, dessen Motiv „Glass House“ auch den ersten Band der Sammlungsbücher als Umschlag ziert – das Bild einer attraktiven Asiatin. Tatsächlich geht es in der mehrteiligen Arbeit, zu der die Videoinstallation „Ten Thousand Waves“ gehört, um chinesische Muscheltaucher, die 2004 im nordenglischen Morecambe Bay bei ihrer Arbeit von der Flut überrascht wurden und ertranken. Jahre später hat Julien sich aufgemacht, ist in die Heimat jener 23 Migranten gereist und hat ihre Geschichte recherchiert.

Solche Projekte liebt Wemhöner. Seine jüngsten Erwerbungen sind ebenfalls Stills aus Juliens Video „Playtime“ über einen Broker, der sein gesamtes Vermögen verloren hat. Nebenan hängt das Porträt eines philippinisches Hausmädchens, das in Dubai als Sklavin für seinen reichen Hausherrn schuftet. Hier offenbart sich der eigene ästhetische Kompass des Sammlers, der Julien mit Ankäufen unterstützt. Denn auch im Fall des Brokers ist ein teures, aufwendiges Video in Arbeit.

Ergänzend finden sich Spacebilder des Berliners Michael Najjar, der sich in seiner Serie „Outer Space“ im Kosmonautenanzug präsentiert. Najjar plant einen Weltraumflug, seit Jahren präpariert er sich für das Abenteuer, seine Aufnahmen begleiten das galaktische Projekt. In der Nachbarschaft hängen Fotos des jungen Schweizer Konzeptkünstlers Julian Charrière, der Eisbergen mit einem Gasbrenner zu Leibe rückt, um sie zu schrumpfen. Ein vergebliches Unterfangen, das einen modernen Sisyphos symbolisieren könnte. Wenn es die Parallelen zu den schmelzenden Gletschern in der Wirklichkeit nicht gäbe.

Zu Wemhöners persönlicher Auswahl gesellen sich die kuratorischen Entscheidungen von Philipp Bollmann. Welche Arbeiten er miteinander kombiniert und konfrontiert, fördert nicht zuletzt bei ihrem Besitzer Erkenntnisse über das eigene Sammeln. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Arbeiten so politisch grundiert sind“, meint Wemhöner, während er in der Halle steht und den Blick wandern lässt. Das ist tatsächlich nicht immer sofort ersichtlich, wenn man durch die imposanten Räume wandert. Das Politische spielt in den Arbeiten von Bettina Pousttchi oder Erik Schmidt – die beide gleich mehrfach vertreten sind – jedoch stets eine Rolle.

Die Künstlerin reflektiert in ihren Skulpturen, wie der öffentliche Raum politisch definiert und begrenzt wird. Schmidt wiederum vollzieht auf seinen Gemälden malend nach, wie eine Eskorte von Polizisten eine Demonstration auflöst und so die Machtverhältnisse auf der Straße sichtbar werden lässt. „Künstler zeigen uns, dass wir unsere Welt anders wahrnehmen, wenn wir gewohnte Pfade verlassen“, meint Wemhöner. Dieser Pfad führt derzeit über Wedding.

Sammlung Wemhöner, Oudenarder Str. 16–20, (ehemals Galerie Max Hetzler); bis 18.5., Do–So 13–18 Uhr

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