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100 Jahre Internationaler Frauentag: Mehr Recht als Geschlecht

Bloß ein Reflex? Viel Lärm um viel zu wenig? Selten hatte man das Gefühl, dass es in der Frauenfrage so lärmig zuging wie in den vergangenen 365 Tagen.

Vor einem Jahr haben wir an dieser Stelle schon einmal 100 Jahre Weltfrauentag gefeiert, und das war insofern etwas windschief, als Frauen nicht rechnen können. Wenn nämlich der erste Frauentag 1911 ausgerufen wurde, von der deutschen Sozialistin Clara Zetkin, dann hatten wir es 2010 zwar mit dem 100. seiner Art zu tun, dürfen aber erst 2011 von 100 Jahren reden. Ein Kind, das geboren wird, ist schließlich nicht eins, sondern null – und dies nicht nur nach dem großen oberfränkischen Rechenmeister Adam Riese, sondern auch nach Eva Zwerg.

Der Befund aus dem vergangenen Jahr, rabiat verkürzt: Mit der Gleichstellung der Geschlechter im 21. Jahrhundert ist es nicht weit her – und was wir wirklich bräuchten, um diesem Missstand abzuhelfen, tätä, tätä, tätä, wäre ein Internationaler Männertag. Es kann nur Zufall sein, dass der 101. Frauentag nun ausgerechnet auf Faschingsdienstag fällt. Der Fortschritt, ein Mummenschanz – und am Aschermittwoch ist (wieder einmal) alles vorbei? Das Motto der Vereinten Nationen gibt sich trotzig: „Gleicher Zugang zu Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Technik: Wege zu menschenwürdiger Arbeit für Frauen.“ Dass diese Wege lang und steinig sind – man hätte es nicht eleganter formulieren können.

Liest man jedoch die aktuelle Ausgabe des SZ-Magazins („Ein Männerheft“), ist der Fasching vielleicht doch kein Zufall. Da reden sechs Frauen über Männer und „den ganzen Rest“, eine Art Schulmädchenreport für geistig Besserverdienende. Man hört Alma, Delia und ihre Freundinnen förmlich quietschen, wenn es um die Unterscheidung zwischen „Blutpenis“ und „Fleischpenis“ geht, um Smileys im E-Mail-Verkehr, One-Night- Stands mit „Straßenkötern“, das Outfit von Maria Furtwängler und die Frage, warum Männer ewig auf dem Klo sitzen.

Bei „Sex and the City“ mag dieser Illustriertensprech Beleg einer erfolgreichen Emanzipation sein und subversiv; auf Bayrisch untermauert er höchstens den Drang der jüngeren Frauengeneration zurück an den warmen Herd. Das wissen die Magazin-Macher natürlich. Die Frauen der westlichen Welt, so die Botschaft, holen die Landebrücken des Projekts Gleichberechtigung von ganz allein wieder ein. Den Mann als Patriarchen brauchen sie dazu längst nicht mehr. Wie sagt Delia so schön? „Mir geht die Selbstoptimierung total auf den Geist.“ Wer außer Heidi Klum wollte ihr da ernsthaft widersprechen?

Trotzdem: So einfach geht das nicht. Abgesehen von historischen Errungenschaften wie dem Wahlrecht (1918) oder der Reform des Paragraphen 218 (1976) hatte man in den vergangenen 100 Jahren selten das Gefühl, dass es in der Frauenfrage so lärmig zuging wie in den vergangenen 365 Tagen. Insofern: Schluss mit der Realsatire und her mit den Fakten.

In Italien gehen eine Million Frauen auf die Straße, um gegen den in Sex-, Korruptions- und Amtsmissbrauchsaffären verwickelten Silvio Berlusconi zu demonstrieren: „Italia non è un bordello!“ – Italien ist kein Puff. Am 6. April 2011 soll dem Ministerpräsidenten erstmals der Prozess gemacht werden. Zu verdanken ist dies der Mailänder Oberstaatsanwältin Ilda Boccassini. Richterin Cristina Di Censo nahm ihre Anklage sicher gern entgegen. Ob Rotlicht-„Burlesconi“ vor Gericht nun erscheint oder nicht oder jemals verurteilt wird: Eine ganze Nation schämt sich in Grund und Boden.

In Wien lädt Baulöwe Richard „Mörtel“ Lugner (78) Berlusconis Ex-Gespielin Karima El Mahroug alias „Ruby“ (18) in seine Opernball-Loge ein. Die Empörung hält sich in sittsamen Grenzen. Zwar verschickt der ORF im Vorfeld Hass-Mails, man wolle sich an der „Versauung“ des Festes nicht beteiligen, weshalb es mit dem marokkanischen Escortgirl kein Interview geben werde; die Trauben vor Lugners „Logen-Strich“ aber sagen etwas anderes, und letztlich scheint die kleine Ruby ja ganz lustig zu sein. Als Jörg Haider 2002 Saif Gaddafi zum Ball einlud, regten sich Staats- und Kirchenmänner bedeutend weniger auf.

In Deutschland werden schon wieder zwei Spitzenpolitikerinnen Mütter: Die Generalsekretärin der SPD, Andrea Nahles, 40, bringt am 18. Januar in Berlin Tochter Ella Maria zur Welt. Am selben Tag lässt Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, 33, CDU, erklären, im Juli ihr erstes Kind zu erwarten. Beide Parteien diskutieren hinter halb vorgehaltener Hand darüber, ob’s das jetzt war mit der Karriere. Flugs wird die kleine Ella Maria in die Eifel abtransportiert, zum Vater, wo auch die Luft so viel besser ist. Und auf das Schrödersche Familienmodell wartet die Republik gespannt.

Baronesse Stephanie zu Guttenberg reist an der Seite von Johannes B. Kerner nach Afghanistan und zelebriert dort eine Talk-Show. Die „Bild“-Zeitung fragt, ob sie ein gar „süßes Geheimnis“ unterm Herzen trägt.

In Los Angeles erhält Natalie Portman für ihre Rolle in „Black Swan“ den Oscar als beste Schauspielerin. Aus Protest gegen antisemitische Äußerungen, die Dior-Kreativdirektor John Galliano im Suff in Paris getätigt haben soll, tritt die jüdische Schauspielerin, die für Dior wirbt, in einer auberginefarbenen Robe von Rodarte vor die Kameras. Dior wäre sicher schicker gewesen.

Die amerikanische Harvard-Professorin Amy Chua schreibt den Erziehungsratgeber des 21. Jahrhunderts. Wer nach der Lektüre nicht restlos alle Kuscheltiere im Kinderzimmer verbrennt, dem ist nicht zu helfen. Über die Situation der Menschenrechte in ihrer chinesischen Heimat macht Frau Chua sich weniger Gedanken.

Tunesien, Ägypten, Libyen, Saudi-Arabien, Jemen, Bahrain: Die arabische Welt stürzt ihre Diktatoren. Frauen sind sichtbar Teil dieser Revolution, auf den Straßen, in den Medien, ihr Schicksal wie das der gesamten Demokratie-Bewegung ist allerdings unsicher. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die Ideale von 1789 sind auf Spruchbändern zu lesen, bisweilen mit dem Zusatz „Égalité pour hommes et femmes“ (Gleichheit für Männer und Frauen). Dass die Welt keine Diktatorinnen kennt, ist kein Schade.

In Nicaragua lehnt die Nationalversammlung es ab, Frauen per Gesetz vor Gewalt zu schützen. Stattdessen wird eine Tierschutznovelle verabschiedet.

Im Ost-Kongo vergewaltigen ruandische Hutu-Milizionäre Anfang August unter den Augen von UN-Soldaten mindestens 179 Frauen. Brutalste Massenvergewaltigungen sind in der Dschungelregion an der Tagesordnung und gelten seit Jahren als oberstes Kriegsmittel der Rebellen. Strafen haben die Täter keine zu befürchten, kongolesische Soldaten und Polizisten sind regelmäßig mit von der Partie.

In Birkenwerder wird am früheren Wohnhaus von Clara Zetkin eine Gedenktafel der Reihe „FrauenOrte im Land Brandenburg“ enthüllt – zum Jubiläum.

Ins Berliner Schloss Bellevue hält ein modernes Patchwork-Modell Einzug: Er bringt eine 17-jährige Tochter in die Ehe, sie einen siebenjährigen Sohn, das gemeinsame Kind heißt Linus (2). Angela Merkel, kinderlos, ist davon überzeugt, dass die „Fröhlichkeit einer jungen Familie“ dem Amt des Bundespräsidenten gut tut. Und die Wulffs geben sich alle Mühe, die kürzlich veröffentlichte psychologische Studie Lügen zu strafen, wonach sich Eltern ihr Glück zwischen Masern und verhauenen Mathearbeiten nur einbilden.

Die ehemalige Chefredakteurin der „taz“, Bascha Mika, kinderlos, schreibt ein Buch über die „Feigheit der Frauen“. Diese seien an allen Karriereknicken und Glasdecken hübsch selber schuld, sagt sie: als Kinderwünschlerinnen und „Wischmopps“! Die kontroverse Rezeption der Streitschrift gipfelt in der Nesthäkchen-Philosophie, dass Familie das letzte „tollkühne“ Abenteuer unserer Zeit sei. Für Frauen, versteht sich.

Das Motto des Karnevals in Venedig lautet 2011 „Stadt der Frauen“.

Eigens für den Kachelmann-Prozess heuert Alice Schwarzer als Gerichtsreporterin bei „Bild“ an.

DFB-Präsident Theo Zwanziger freut sich auf die Fußball-WM der Frauen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU, kippt die Frauenquote für Dax notierte Wirtschaftsunternehmen – höchstpersönlich. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, 52, und Familienministerin Kristina Schröder, 33, siehe oben, geraten sich über Fristen und Prozentsätze derart unschön in die Haare, dass der Schaden von der Partei nur „per ordre de mufti“ abzuwenden ist (mufta?). Es gilt weiterhin die Selbstverpflichtung der Unternehmen, die es aktuell auf 3,1 Prozent bringt. Merkel verspricht in ihrer Videobotschaft zum Weltfrauentag „in naher Zukunft sehr zielorientierte Gespräche“.

Norwegen hat seit Dezember 2003 eine Frauenquote von 40 Prozent. Untergegangen ist das Königreich deswegen nicht, was man auch am WM-Medaillenregen für die Skilangläuferin Marit Björgen sieht.

Nach einem EU-Urteil müssen Versicherungen bis zum 21.12.2012 so genannte Unisex-Tarife anbieten. Die Richter betonen, es sei diskriminierend, das Geschlecht als „Risikofaktor“ einzustufen. Bislang müssen Frauen für Renten- und Krankenversicherung mehr berappen, Männer für Lebens- und Kfz-Versicherung. Demnächst wird für Frauen das Autofahren also teurer.

Am Ende: Viel Lärm um nichts? Klappern gehört zum Handwerk? Und wenn es nur das ist, was die Frauen dieser Welt ein bisschen besser gelernt hätten! Mitklappern vor allem, die Trommel rühren für alle, die noch lange nicht so weit sind wie wir hier.

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