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Kultur: 100 Jahre Schönheit

(ver-)irrt sich in Berliner Galerien Hin und wieder ergibt sich ein Werk, das gar nicht gemeint war. Die verblendeten Fenster der DNA Galerie lassen auf Augenhöhe einen Spalt frei.

(ver-)irrt sich in Berliner Galerien Hin und wieder ergibt sich ein Werk, das gar nicht gemeint war. Die verblendeten Fenster der DNA Galerie lassen auf Augenhöhe einen Spalt frei. Man sieht einen Mann im dunklen Anzug, der auf einem Trampolin springt, sich überschlägt, auf die Füße zurückfällt, um wieder hochzuspringen. Im Innern der Galerie zeigt die 1965 geborenen Künstlerin Mariana Vassileva zwei weitere Videoloops (Auguststraße 20; bis 2. Juli). Sie blendet Passanten während des Filmens mit Spiegeln, filmt eine Hand, die über Zäune und Geländer streift, und sucht nach Unmittelbarkeit. Man erkennt die etwas erzwungene Inszenierung. Darüber setzt sich der Springer hinweg, der für die Kamera zu springen beginnt und dann springt, um zu springen. Schaut man aus der Galerie durch den Sichtspalt hinaus, sieht man das Echo als Realfilm: Passanten im Stadtraum; kostenlos; die Videos zwischen 1000 Euro und 2000 Euro.

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Hin und wieder irrt man sich. Die Einladungskarte der neuen Galerie Antje Wachs (Gipsstraße 5; bis 9. Juli) kündigt neben Skulpturen von Werner Mally auch Malerei von Peter Friedl unter dem Titel „Hund“ an. Also nichts wie hin, denn das war kaum zu glauben. Sollte der Documenta-Teilnehmer und Vertreter Österreichs auf der Biennale in Venedig, ein Kontext-Akrobat und Designer scharf kalkulierter Missverständnisse, nun tatsächlich vor dem Malereiboom in die Knie gegangen sein? In der Galerie versteht man die Frage nicht. Selbstverständlich male Peter Friedl. Warum sollte er auch nicht malen?! Ja, schon, aber es sei doch eine kleine Sensation, fast wie: „Mann beißt Hund“. Und daher mache auch der Titel Sinn. Handelt es sich vielleicht um eine Aktion? Wieso Aktion?! Peter Friedl male schon immer. Schon immer? Natürlich. Er ist noch jung und malt Gouachen. Auf denen gerinnen Farben zu Hunden – die Preise liegen zwischen 300 und 500 Euro. Oh, dann kann es gar nicht der Peter Friedl sein.

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Auch bei Jörg Herold kann man nie ganz sicher sein. Er gehört zum Urgestein der Galerie Eigen + Art seit Alt-Leipziger Tagen (Auguststraße 26; bis 9. Juli). Und würde der Begriff Nonkonformist noch in aller anarchischen Reinheit strahlen und nicht für Festredner und Sonntagsmaler verwendet, träfe er auf Herold zu. Er zeigt das Ergebnis seiner langjährigen Recherchen in Videos und auf Papier und fasziniert bereits mit seinen Titeln, die er in doppelter Ironie faktisch meint: „Markttage, Begegnung mit Frau 43 und Herrn 12 (Dokumente eines Dienst habenden Voyeuristen)“ oder „1000 Jahre Schönheit (Kulturerbe in der Nahrungskette von Mikroben)“ oder „Heldenfriedhof – Sondierung auf freiem Feld (mit dem Metalldetektor über der Absturzstelle von B.)“. Letzteres bezieht sich auf Beuys, dessen Lebensweg er mit der Videokamera bis zur Absturzstelle seiner Stuka nachgereist ist. In allen Werken sucht er das Sonderbare und arbeitet an einer großen Gegengeschichte zum historischen Diskurs: faktensicher und wundersam prekär jenseits der Norm (Zeichnungen 1400 Euro, Installationen 28000 Euro).

Peter Herbstreuth

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