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Gutes Leben darf nicht viel kosten. Die Warentempel Schocken erfüllten die Konsumwünsche des deutschen Kleinbürgertums.

© Salzgeber

120 Jahre, 30 Städte, ein kleines Imperium: Die Massen liebten seine Waren. Dann kamen die Nazis

Salman Schocken setzte mit seiner populären Warenkette einst Maßstäbe für das Leben von Arbeitern und Kleinbürgern. Eine Doku erinnert an sein Schicksal.

Der Name Schocken war einmal eine in cooler Bauhaus-Typografie designte Marke. In dreißig deutschen Städten galten die Warenhäuser des Konzerns als attraktive Konsumtempel, in denen die heute fadenscheinige Formel „Qualität und günstige Preise“ im Grunde erfunden wurde. Zwischen Zwickau und Stuttgart setzten ihre Angebote bis in die Zeit des Hitler-Regimes den modischen Maßstab dafür, was man aß, wie man sich kleidete und wie man wohnte.

Die Unternehmensgeschichte der Brüder Simon und Salman Schocken ist jetzt sogar eines Films über 120 Jahre Konsum und Kapitalismus würdig. Mit viel Gespür für den Hunger der Arbeiter- und Kleinbürgerschichten nach Teilhabe entwickelten sie ihre Warenhauskette zum viertgrößten Einzelhandelskonzern Deutschlands und investierten in raffinierte Leuchttürme der modernen urbanen Architektur. Dann betrieb der Nazi-Terror die Enteignung und schließlich wirtschaftete das geteilte Deutschland das Erbe je nach eigener ideologischer Routine herunter.

[In den Berliner Kinos Acud, Delphi Lux, Hackesche Höfe, Tilsiter Lichtspiele]

Die israelische Dokumentarregisseurin Noemi Schory geht in „Schocken – Ein deutsches Leben“ diesen Spuren der Wechselbeziehungen zwischen Alltagskultur, Wirtschafts- und politischer Zeitgeschichte nach. Darüber hinaus setzt sie Salman Schockens zweiter Lebensleistung als Mäzen, Büchersammler, Verleger und Förderer der jüdischen und deutsch-jüdischen Literaturforschung ein besonderes Denkmal.

1877 in der Nähe von Posen als Sohn einer vielköpfigen jüdischen Familie geboren, nahm Salman Schocken Anfang des 20. Jahrhunderts nur widerstrebend die Bitte seines älteren Bruders Simon an, in dessen Warenhausgeschäft in Zwickau einzusteigen. Berlin spornte den Bildungshunger des aus einem Schtetl stammenden jungen Manns an, er hätte lieber weiter Literatur- und Philosophiegeschichte studiert. Die Frage, wie jüdische Identität und Assimilation zusammenzudenken sei, welche Bedeutung der Zionismus habe und wie die Renaissance des Judentums durch die Wiederentdeckung seiner Schriften zu fördern sei, ließ ihn ein Leben lang nicht los.

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Parallel sorgte er als innovativer Geschäftsmann für die strategische Expansion der Kette und richtete dafür eine Qualitätskontrolle für den zentralen Einkauf ein. Er forcierte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft und engagierte als Hauptaktionär den Bauhaus-Architekten Erich Mendelsohn. Schocken baute Ferienheime für die Belegschaft und gründete in Zwickau eine Wohnungsbaugenossenschaft, deren Modellhäuser heute unter Denkmalschutz stehen. Er war einer, so ein Historiker in Schorys Porträt, der einen Teil seines Reichtums an die Gesellschaft zurückgab.

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Sein 1931 in Berlin gegründeter Verlag gab bis 1938 eine Reihe zur jüdischen Poesie heraus und verlegte Franz Kafka, sein Forschungsinstitut lebt mitsamt seiner Sammlung bibliophiler Raritäten, darunter die Erstausgabe des Kommunistischen Manifests, in einem faszinierenden Mendelsohn-Gebäude in Jerusalem weiter.

Noemi Schorys Zeitreise ist eine visuell komponierte, kluge Montage seltener Archivaufnahmen und kenntnisreicher Kommentare, auch zu Salmans vielfältigen Aktivitäten in seinem zeitweiligen Exil in Palästina, wo er die Zeitung „Ha’aretz“ ins Leben rief. Dass der rechtsradikale Terror in Zwickau Unterschlupf suchte in der von den Salman-Brüdern erbauten Siedlung ist eine Perversion ihrer Geschichte. „Schocken - Ein deutsches Leben“ hält mit Bildern junger Zwickauer dagegen, die nach Salmans Spuren in der Stadt suchen.

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