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"Der Schrei" kam für einen Rekordpreis unter den Hammer.

© Reuters

120 Millionen Dollar: Munchs „Schrei“ bricht den Auktions-Weltrekord

Sotheby’s verkauft Edvard Munchs „Schrei“ für rund 120 Millionen Dollar. Mehr brachte bisher kein Kunstwerk bei einer Auktion ein. Marktbeobachter halten den Preis trotzdem für rational und angemessen.  

Das Bild ist allgegenwärtig, in Comics, Kalendern, auf Postern in Teenagerzimmern. Generationen deutscher Schüler haben, als man das noch lernte, Bildbeschreibung daran geübt. Homer von den „Simpsons“ hat seine Existenzangst damit inszeniert. Am Mittwoch Abend wurde Edvard Munchs epochales Bild  „Der Schrei“ bei Sotheby’s in New York für einen neuen Auktionsrekord von fast 120 Millionen Dollar versteigert. 

„Ich habe alle Zeit der Welt“, rief Auktionator Tobias Meyer, als sich das Bieten der 100 Millionen Dollar näherte und nur noch zwei Bieter übrig waren, die am Ende von Telefonleitungen anonym blieben. Der Hammer fiel bei 107 Millionen – Sotheby’s schlägt noch 12,9 Millionen Dollar „Unkosten“ dazu. Der Käufer muss 119,92 Millionen Dollar bezahlen – 91 Millionen Euro. 

Für die einen, wie den New Yorker Kunstkritiker Jerry Saltz, der einen Preis von 200 Millionen Dollar erwartete, war es ein „eklige Freak Show“, ein abstoßendes Spektakel von Reichtum und Macht. Anderen scheinen solche Preise irrational und unverständlich. Beobachter des Kunstmarktes halten den Preis für völlig rational und sogar angemessen. Schließlich bezahlte der mexikanische Finanzier David Martinez bereits 2006 für Jackson Pollocks No. 5 in  einem privaten Deal 140 Millionen Dollar.

Hartnäckigen, aber unbestätigten Gerüchten zufolge soll Sheich Saud Al-Thani von Katar für sein neues Museum vor kurzem Cezannes Kartenspieler aus dem Nachlass des griechischen Reeders George P. Embiricos für 250 Millionen Dollar gekauft haben. Ein Aquarellskizze für das Werk wurde am Dienstag bei Christie’s in New York für 19 Millionen Dollar versteigert. 

Was bringt jemand dazu, für „den Schrei“, ein bemaltes Stück Pappe im Format 79 x 57 cm eine Summe zu bezahlen, für die man Superjachten, profitable Unternehmen, Schlösser und Ländereien, oder, sollte man sozial gesinnt sein, Straßenfluchten luxuriöser Armenhäuser bauen könnte? 

„Leidenschaft“, sagt Sotheby’s Diektorin Helena Newman und bestreitet, dass irgend etwas Irrationales daran ist. „Es sind Sammler, die wissen, wie außergewöhnlich die Chance ist, so ein Werk zu besitzen, und die wissen, dass sie heute dabei gegen Sammler aus aller Welt konkurrieren“. 

Vor zwanzig Jahren, beim letzten großen Kunstboom, waren neben Amerikanern und Europäern nur noch Japaner interessiert. Nun ist die Kunstleidenschaft global, und die Ware knapper. Russische Oligarchen, chinesischen Fabrikanten, brasilianischen Landbesitzern, amerikanische Hedgefond-Manager – sie alle konnten diesen Munch verstehen und begehren. 

Superreiche setzen bis zu einem Prozent ihres Vermögens für den Erwerb eines  Kunstwerks, so Sotheby’s Regel. Der Munch hatte einen Schätzwert von mindestens 80 Millionen Dollar, also kamen laut Forbes Reichen Liste weltweit 116 Superreiche mit Vermögen über 8 Milliarden Dollar in Frage. „Nein, der Kreis ist kleiner“, lacht Newman. Ein knappes Dutzend potenzieller Bieter meint Sotheby’s beim Durchforsten seiner Kundenliste ausgemacht zu haben. Sieben davon beteiligten sich an der Versteigerung. 

Warum das Werk solche Leidenschaften erweckt, ist nicht schwer zu verstehen.

"Der Schrei" erzielte einen neuen Weltrekord für Kunstauktionen.
"Der Schrei" erzielte einen neuen Weltrekord für Kunstauktionen.

© dpa

Warum das Werk solche Leidenschaften erweckt, ist nicht schwer zu verstehen. Mit seiner ikonografischen Faszination, Popularität, Bedeutung als Wegbereiter des Expressionismus kann „Der Schrei“ als „Mona Lisa der Moderne“ gelten. Ein Blockbuster der ersten Güte. Als das 1895 gemalte Pastell im Originalrahmen im April für ein paar Tage bei Sotheby’s in London Station machte, kamen über 7000 Neugierige. Ein Picasso mit einem 30 Millionen Dollar Preisschild hing einfach so an der Wand. „Der Schrei“ war von einer Phalanx von Sicherheitsbeamten abgeriegelt. 

Hinten auf dem Bild steht auf norwegisch und deutsch Munchs eigenhändiger Bericht über den Anfall existenzieller Angst, den das autobiografische Bild darstellt: „Meine Freunde gingen weiter, ich stand da, bebend vor Angst. Mir war, als ging ein mächtiges Geschrei durch die Natur“. Die Seelen- und Weltangst des moderne Menschen in einem plötzlich gottlos gewordenen Universum, „dieses Bild hat die Karrieren von Tausenden Psychiatern begründet“, schrieb Sotheby’s Experte Philip Hook in Sotheby’s Sonderkatalog. 

Munch kam immer wieder auf das Motiv zurück. Neben dem neu verkauften Gemälde gibt es drei weitere Versionen in Öl und Pastell, alle unverkäuflich in norwegischen Staatsmuseen, Munch druckte Lithografien. Der Mythos wurde noch gesteigert, als 1994 und 2004 zwei der norwegischen Versionen gestohlen wurden. Nie mehr wollen die Norweger sie ausleihen. Das versteigerte Pastell war in den 75 Jahren, die es im Besitz der norwegische Reederfamilie Olsen war, nur zweimal ausgeliehen. Thomas Olsen, 1969 gestorben, war Munchs Freund und Nachbar am Oslo Fjord, wo die Szene spielt. Als die Nazis Munchs Kunst verboten und aus Deutschland vertrieben, kaufte Olsen sein Werke auf, um sie in Norwegen in Sicherheit zu bringen. 

Auch das steigert den Reiz des Gemäldes, aber erklärt es den riesigen Preis? „Käufer bieten auf solche Werke, weil sie sie absolut besitzen müssen“, erklärte Helena Newman kurz vor der Auktion am Telefon aus New York. Es ist wohl der einfache Grund, warum Gemälde teuer sind, seit sie im 15. Jahrhundert auf tragbaren Leinwänden produziert und dadurch handelbar wurden. Bis dahin war die Kunst Kardinälen und Königen, Kirchen und Palästen vorbehalten und wurde als Handwerkerarbeit bezahlt. Nun wurde sie für diejenigen, die bezahlen konnten, eine Möglichkeit, es mit Kardinälen und Königen aufzunehmen. Demonstrativer Luxuskonsum beflügelte die Kunstpreise nun in dem Maße, wie die Reichsten es sich leisten konnten. 

Der sächsische Kurfürst und polnische König August III. war ein hervorragender Kunstkenner. Aber es hatte auch mit Selbstdarstellung zu tun, dass er den besten Raffael haben wollte. 1754 bezahlte er 20.000 Dukaten für die sixtinische Madonna - damals das teuerste Kunstwerk der Geschichte. „Dem König in Polen steht frei, für ein Tableau so viel zu bezahlen und in Sachsen Kopfsteuer auszuschreiben, aber das ist meine Methode nicht“, rügte der maßvollere Friedrich der Große, nicht ganz neidlos, denn auch er war auf einen Raffael erpicht. 

Die nächste große Geldwelle kam mit der Industrialisierung. Liquide amerikanische Industrielle, die Vanderbilts und Rockefellers, lösten aristokratische englische Landbesitzer mit schwachem Cashflow  an der Spitze der Sozialpyramide ab und kauften ihre Adelsporträts, die Geschichte und Herkunft signalisierten. 1921 bezahlte Henry Huntington dem Kunsthändler Joseph Duveen 728.000 Dollar für Thomas Gainsboroughs „Blue Boy“ – wieder ein Kunstpreisrekord. Nach dem Inflationskalkulator wären das heute 9,4 Millionen Dollar. Nimmt man aber den Index der relativen Wirtschaftskraft des „Measuring Worth“ Websites (http://www.measuringworth.com/index.php) wären es heute 149 Millionen Dollar.

Warum also soll ein Blockbuster wie „Der Schrei“ nicht 119 Millionen Dollar bringen? Wieder drängen neue Käuferschichten mit neuem Geld in den ;Kunstmarkt, die Geldeliten der Globalisierung. Auf einem anderen Blatt steht, eine wie gute Investition Kunst auf diesem Niveau ist. „Ein solcher Kauf ist keine normale Investition“, widerspricht Newman fast entrüstet. „Niemand kauft ein solches Werk, weil er es in zwei Jahren mit Gewinn weiterverkaufen will“. Kunst auf diesem Niveau ist die Trophäe einer Leidenschaft. Wer sie haben will, muss einen Aufpreis bezahlen, in den das Werk erst einmal hineinwachsen muss. So schnell dürfte der Munch wohl nicht wieder auf den Markt kommen.

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