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Kultur: 120 Stunden Coolness

Sie haben viel Kraft, aber die wird wenig gebraucht.Übermütig verwandeln die etwa Sechzehnjährigen das Klassenzimmer in einen Toberaum, und zu Hause, in den Wiesen und wo man sich sonst trifft, hängen sie mehr oder weniger blödelnd herum.

Sie haben viel Kraft, aber die wird wenig gebraucht.Übermütig verwandeln die etwa Sechzehnjährigen das Klassenzimmer in einen Toberaum, und zu Hause, in den Wiesen und wo man sich sonst trifft, hängen sie mehr oder weniger blödelnd herum.Vor Thomas Imbachs Videokamera konnten die Teenies sich einmal mehr nach Herzenslust aufspielen, am Schluß bekamen Xhumi, Müke, Dani, Ana, Steffi, Oli und Ati, der Maronenhändler, sogar eine kleine Gage.

Neue Dokumentarfilme scheren sich nur noch wenig um die Grenzen zwischen Authentischem und Inszenierung.Wenn der Österreicher Ulrich Seidl ("Tierische Liebe") Wiener Strichern Rollen auf den Leib schrieb, warum sollte dann der Schweizer Imbach, durch sein kaltes Abbild des Büroalltags einer Bank ("Well done") international bekannt geworden, diese in verschiedenen Züricher Schulen aufgesammelten Burschen und Mädchen nicht mit je fünfhundert Franken belohnen? Anweisungen hat er ihnen dagegen nicht gegeben.Alle geben sich, wie sie gern gesehen werden möchten: Cool und allemal gut drauf, respektlos sowieso und manchmal wild, obwohl oder gerade weil ihnen die Zukunftsangst im Nacken sitzt.

120 Stunden Material hatte Imbach am Ende zusammen, gut zwei Stunden dauert die fast ethnographische Studie von (alemanischer) Redeweise und damit auch Denkinhalten der Kids jener Generation, die bei "Züri brännt" dabei war, dem Kollektivfilm von 1981 über den Aufstand der damaligen Jugend gegen eine sie ignorierende Politik.Die Kids heute scheinen die Resignation mit der Muttermilch aufgesogen.Politische Entwicklungen, wie etwa die in Jugoslawien, zu verfolgen, halten sie für eine unnütze Anstrengung.Eine der langweiligsten Generationen ist da, nicht nur in der Schweiz, auf sattem Grund herangewachsen.

Hoch hinaus will zumindest in der von Imbach zusammengefügten, fiktiven Gruppe niemand.Mit seiner etwas penetranten Vorliebe für Nahaufnahmen von Gesichtern und Füßen hält der Regisseur sich auf den ersten Blick ganz aus der Bewertung heraus.Bereits der Titel interpretiert jedoch die Lebensform dieser Jugend.Auto, Techno, Sex und Drugs lauten die Stichworte für die Kapitel.Sie fügen sich zu einer allzu logischen Aussage: Niemand braucht die Schulabgänger eigentlich, und weil diese das wissen, geben sie ihrem Affen frühzeitig Zucker.

Der heute siebendunddreißigjährige Imbach ist ein besessener Filmmonteur.Nicht nur daß er das Kunststück fertigbrache, mit Hilfe eines Stichwortverfahrens das Wahnsinnsdrehverhältnis eins zu sechzig zu bewältigen und dabei ein Generationsbild zu formen.Durch die Bilder properer Appartementhäuser am Stadtrand, einer akkurat genutzten Landschaft und der auf dem Zürichsee pendelnden Fähre fügt er Sinnbilder einer Wirklichkeit hinzu, die nichts so sehr im Überfluß hat wie menschliche Energie.Ganz folgerichtig mündet die Reflexion, die Imhofs Oberflächenbilder hervorbringen, in die Ahnung vorzeitigen Todes.

Es hätten Fragen gestellt werden müssen, um hinter den Namen den einzelnen mit seinen Wahlmöglichkeiten zu erkennen.Doch Imbach sucht, wie die Väter der Cinéma vérité, die Provokation, hier die mit der flackernden Unruhe in den Augen, der existentiellen Verlegenheit in mancher Geste.Flotte Sprachbrocken erweisen sich als Suche nach Unterschlupf im kollektiven Code.

fsk

HANS-JÖRG ROTHER

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