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Kultur: 18. Musik-Biennale: Am Anfang war das Fis

Es ist ein besonderes Gefühl, eine Partitur zu lesen, die noch nie gespielt wurde. Kein Bläser kickst und kein Einsatz wackelt, kein Dirigent wählt andere Tempi als man es selber täte.

Es ist ein besonderes Gefühl, eine Partitur zu lesen, die noch nie gespielt wurde. Kein Bläser kickst und kein Einsatz wackelt, kein Dirigent wählt andere Tempi als man es selber täte. Voller Neugier macht man sich an die Lektüre und begegnet einer Musik, die im Konzertsaal ihre Reinheit noch nicht verloren hat. Der Leser tastet sich vorsichtig durch das ungehörte Werk voran, wägt die Farben der Instrumentenlagen und versucht, ihren Zusammenklang zu erspüren.

Zu solchem Vergnügen bieten Neue-Musik-Festivals reichlich Gelegenheit. Die 18. Musik-Biennale, die heute im Konzerthaus beginnt, gehört zu ihnen. Mit 20 Uraufführungen gewährt sie Einblicke in die Werkstatt gegenwärtigen Komponierens, im Eröffnungskonzert mit der "SaxophoneMachine" für Sopranino- und Alt-Saxophon und Großes Orchester von Georg Katzer. Es spielt das Berliner Sinfonie-Orchester unter Johannes Kalitzke, der Solist ist Michael Riessler.

Am Anfang steht ein Fis. Im farbig besetzten Orchester entfaltet es sich, mit vierteltönigen Abweichungen aufgeraut, zur Fläche. Starke Dynamik-Wechsel der verschiedenen Instrumentengruppen münden in sich fließend wandelnden Schmelzklängen. Das Flatterzungenspiel der Holzbläser erschwert zusätzlich die Orientierung in Klang wie Tonhöhe. Dann, nach kurzem Innehalten, der Einsatz des Solisten: ein g, in kleiner Sekunde aufstrebend gegenüber dem Vorangegangenen. Der schlanke Ton des Sopraninos steht frei im Raum und vergewissert sich seiner erst nach und nach.

Wir befinden uns auf der zweiten Partitur-Seite, gut siebzig werden folgen. Der Musikologe macht sich auf die Suche nach der im Titel versprochenen Maschine. Er findet sie bald in einem Streicher-Unisono. Das dreigestrichene Des wird starr, zunehmend unregelmäßig rhythmisiert, bald auch zum unscharfen Cluster aufgeweicht. Der Solist bleibt in Opposition, seine aus gespreizten Tonleiterausschnitten gebildete Linie wölbt sich unversehens zur Melodie.

Dem Solo-Konzert näherte sich Katzer nicht ohne Skrupel, aber mit Gewinn. Das knapp halbstündige Werk nimmt die traditionelle Dreiteiligkeit auf, unterstreicht sie gar mit dem Wechsel zum klanglich dunkleren Alt-Saxophon im ruhigen Mittelteil. Dort finden sich knappe, schön ausgehörte Klangmomente, die nur in den gliedernden Pausen eine äußerst leise im Tritonus pendelnde Klarinette durchscheinen lassen. Sie stehen im Gegensatz zu wiederholt anschwellenden Maschinen-Stellen des Orchesterapparats, der sich im Konzert den entstehenden Summen-Rhythmen hoffentlich gewachsen zeigen wird. Erst im bewegteren dritten Teil nähern sich Solist und Tutti an, das Sopranino findet sich zunehmend in den Streichersatz integriert, bis es schließlich im Unisono des hohen f mit ihm verschmilzt. Der letzte Zentralton, ein hohes, freies e, lässt Erinnerungen wach werden an die erste gesamtdeutsche Musik-Biennale 1991, zu deren Höhepunkten die Uraufführung von Katzers "Offener Landschaft mit obligatem Ton e" gehörte. Heute zeigt sich die Offenheit des in Zeuthen ansässigen Komponisten im freierem Umgang mit musikgeschichtlich konnotiertem Material. Freier, aber nicht unbeschwert.

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