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19. Jahrhundert: Berlin im Frühlicht

Aus den Anfängen der Fotografie: Die Galerie Berinson zeigt Leopold Ahrendts’ seltene Stadtansichten aus dem 19. Jahrhundert.

Eine Stadt wie geträumt. Die Straßen menschenleer und ohne Fahrzeuge, nur mühsam verbirgt das Pflaster den märkischen Sand. Architektur, so ernst und schön, dass einem der Atem stockt – obwohl man das Brandenburger Tor, das Schloss, das Alte Museum und Opernhaus schon hundert Male gesehen oder erinnert hat. Fotografiert hat dieses märchenschöne, ins Zeitlose entrückte Berlin ein gewisser Leopold Ahrendts – vor rund 150 Jahren.

„Leopold Ahrendts (1825–1870) und die Frühzeit der Berliner Photographie“ nennt Fotospezialist Hendrik A. Berinson seine aktuelle Galerieausstellung. Sie ist eine stille Sensation. 22 Albumin- und Salzpapierabzüge von Ahrendts (je 25 000 Euro) hat der Berliner Kunsthändler und Galerist über Jahre zusammengetragen. Damit kann er das seit langem umfangreichste auf dem Kunstmarkt verfügbare Konvolut Berliner Stadtbildfotografie der 1850er und 1860er Jahre präsentieren. In ihrer Entstehungszeit waren Ahrendts’ Berlin-Motive übrigens auch als gebundene Alben erhältlich.

Mit der biedermeierlichen Stadt schwand auch die Erinnerung an sie. 30 000 Besucher sahen bereits die Ausstellung „Berlins vergessene Mitte“ im Ephraim-Palais. Und lernten ein Berlin kennen, das sich selbst einigermaßen mutwillig in die Geschichts- und Gesichtslosigkeit manövriert hat. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts dokumentierten Stadtbildfotografen Verluste historisch wertvoller Bauten, die mit Furor abgerissen wurden, um Berlin vermeintlich schöner und moderner zu machen. Die großartigen frühen Aufnahmen im Ephraim-Palais stammen von mittlerweile wiederentdeckten Fotokünstlern wie F. Albert Schwartz. Oder von heute zu Unrecht fast Vergessenen. Zu ihnen gehört der zu Lebzeiten hochgeschätzte Leopold Ahrendts.

In Dessau als Sohn eines kunstsinnigen Handwerkers geboren, lässt sich Ahrendts zum Zeichner und Lithografen ausbilden. 1850 und 1852 beteiligt er sich mit Druckgrafiken an den Berliner Akademieausstellungen. Spätestens seit 1852 lebt er ständig in Berlin, wie die Kunsthistorikerin Sigrid Schulze in dem von Berinson herausgegebenen Begleitbuch anmerkt. Ab Mitte der 1850er Jahre – seiner produktivsten Zeit – arbeitet Ahrendts in Ateliergemeinschaft mit August Beer, damals Inhaber des Fotoateliers Philipp Graff. Beer spezialisiert sich auf Porträts, Ahrendts auf Stadtansichten, mit denen er in seinen letzten Lebensjahren auch überregional Erfolge feiern kann.

Die zeitgenössische Kunstkritik lobte die herausragende Qualität von Ahrendts’ Aufnahmen: „Allein an Feinheit und Schärfe der Formenwiedergabe, an duftiger Klarheit der Schatten, Zartheit der Abtönung und Sorgfalt der Durchführung nehmen sie es mit den besten französischen Arbeiten dieser Art auf.“ Damit dürften die international längst hoch gehandelten Architekturfotografien eines Gustave Le Gray oder Henri Le Secq gemeint sein. Ein früher, im Glasplattennegativ retuschierter Salzpapierabzug Le Grays mit dem Pont du Gard wurde 2010 bei Sotheby’s Paris für 75 000 Euro netto zugeschlagen.

Erster fotografischer Mittler zwischen Paris und Berlin war übrigens Alexander vom Humboldt, der 1839 als Mitglied einer dreiköpfigen Jury der Pariser Akademie der Wissenschaften über den Wert des von Louis Jacques Mandé Daguerre entwickelten fotografischen Verfahrens zu befinden hatte, zeitgleich aber auch mit Daguerres englischem Konkurrenten Henry Fox Talbot korrespondierte. Berinson zeigt ein bislang unbekanntes, 1857 von Julius Siegmund Friedländer abgelichtetes Brustbildnis des greisen Berliner Universalgelehrten sowie zwei 1843 und 1844 datierte und in Berlin entstandene Daguerreotypien, die eine Dame und drei junge Männer porträtieren.

Ahrendts’ Berlin-Fotografien ergänzt Berinson um ein weiteres Rarissimum: die im Winter 1853/54 von der Schlossterrasse aufgenommene Straße Unter den Linden mit der noch nicht ganz vollendeten Schinkelschen Schlossbrücke. Verleger und wohl auch Fotograf dieser sehr frühen Ansicht war Louis Sachse, der in der nahen Jägerstraße eine Kunsthandlung betrieb und als Entdecker und Förderer von Adolph Menzel gilt. Sachse wie Ahrendts zählen zu den Pionieren der Berliner Fotografie.

Der Markt für frühe Fotografien und Daguerreotypien ist etwas für echte Liebhaber, von denen es weltweit, schätzt Hendrik Berinson, der auch die Avantgardekunst des frühen 20. Jahrhunderts pflegt, nicht allzu viele gibt. Wie beim Sammeln von Altmeistergrafik sind ein geschultes Auge und konservatorische Fachkenntnis vonnöten. Dafür wird man nicht nur ästhetisch, sondern mit reichen geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen Bezügen belohnt. Der größere Teil der von Berinson angebotenen Ahrendts-Fotografien stammt beispielsweise aus dem Nachlass der Berliner Dichterin Fanny Lewald, die nach 1848 einen erfolgreichen literarischen Salon betrieb. Auch der berühmte Vedutenmaler Eduard Gaertner besaß, wie man seit einigen Jahren weiß, Abzüge von Ahrendts.

Was mag all die klugen Zeitgenossen an Ahrendts’ mal preußisch-nüchternem, mal dramatisch inszeniertem Blick auf die Stadt fasziniert haben? Dass seine Fotografien Berlin gewissermaßen im Zustand der Unschuld, also vor den umstürzenden Veränderungen der Gründerjahre zeigen, wird dabei kaum eine Rolle gespielt haben. War es der Stolz über die neue Noblesse der Hauptstadt, die sich in den Bauten Schinkels manifestierte? Oder doch eher das große Paradox, das Humboldt schon 1839 an Daguerres Erfindung lobte: „Die Bilder haben ganz den unnachahmlichen Naturcharakter, den die Natur nur selbst hat aufdrücken können.“

Galerie Berinson, Lindenstr. 34; bis 22. April, Di–Sa 11–18 Uhr. Eine Begleitpublikation erscheint in Kürze.

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