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Egon Bahr (1922 - 2015). SPD-Politiker und Gestalter der Ostpolitik.

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20 Jahre Berlin-Bonn-Gesetz (X): Es soll zusammenwachsen, was zusammengehört

Folge X unserer Debatte zum 20. Geburtstag des Berlin-Bonn-Gesetzes. Diesmal: Egon Bahr darüber, dass die administrative Teilung der Bundesregierung ein Ende haben muss.

Bonn war die vorbildliche Hauptstadt unseres geteilten Landes im Wartestand für Berlin. Als 1949 der erste Bundestag zusammentrat, nahm niemand den ersten Antrag der Kommunisten ernst, die Hauptstadt nach Berlin zu verlegen, und niemand hat 1991 Berlin übel genommen, dass die kommunistischen Stimmen den Ausschlag für Berlin gegeben haben. Über die deutsche Einheit wurde viel gesprochen, aber in der Wirklichkeit haben sich die Beamten und die Politiker wohnlich am Rhein eingerichtet, als sei es für immer. Und nach dem Entscheid für Berlin fühlte sich die Politik verpflichtet, Bonn für die in 40 Jahren erbrachten Leistungen zu entschädigen.

Ich empfand das als gerecht und angemessen. Die Stadt am Rhein bleibt für mich Höhepunkt meines politischen Lebens. Die gesamte deutsche Ost- und Entspannungspolitik ist ohne Bonn nicht denkbar. Dort wurde sie erdacht und gemacht, auch wenn das erhoffte Ziel, nicht narrensicher ausrechenbar, Berlin blieb. Auf diesem Weg konnte ich einiges tun, wofür ich mit der Ehrenbürgerschaft Berlins ausgezeichnet wurde.

Dennoch werde ich nie vergessen, dass gerade als wir unsere Einheit gewannen, in Bonn der neue wunderbare Plenarsaal für den Bundestag fertiggestellt wurde. Das leidenschaftliche Ringen, ob, wann und wie an die Spree umzuziehen sei, hat Freundschaften zerbrechen lassen. Kopfschüttelnd fanden ausländische Freunde, der Streit sei unverständlich. Ganz selbstverständlich sank Vichy nach Kriegsende gegenüber Paris in seine provinzielle Rolle zurück. Auch übertriebene Bescheidenheit weckt Misstrauen, wenn sie mit Scheckbuchdiplomatie verbunden wird und mit Geld entgelten will, was andere mit Blut bezahlen. Wie lange wollen sich diese Deutschen vor der Verantwortung drücken, die ihrem gewachsenen Gewicht in der Mitte Europas zugewachsen ist?

Die Weizäcker-freie Zone

In Erinnerung bleibt auch ein Bonner Lokal, das mit einer Tafel für sich warb – hier sei eine Weizsäcker-freie Zone. Die empörende Souveränität sollte damit angeprangert werden, dass der Bundespräsident seinen Amtssitz ins Schloss Bellevue verlegt hatte. Das kann übrigens mitgespielt haben, als Richard von Weizsäcker nach dem Fall der Mauer über den leeren Potsdamer Platz ging, von einem NVA-Offizier, der salutierte, mit den Worten begrüßt wurde: „Herr Bundespräsident, ich melde: Keine besonderen Vorkommnisse.“ Der Bundespräsident war das einzige Organ nach der Einheit, das nicht neu gewählt wurde, anders als das Parlament und die Bundesregierung. Er amtierte wie selbstverständlich weiter.

Der Anspruch auf die Hauptstadt war zugegeben wichtig, aber für Jahrzehnte eben nur ein Papier. Die Wirklichkeit wurde überwältigend. Die Menschen entdeckten eine Stadt, in der die Steine, um mit einem Wort von Erhard Eppler zu sprechen, nicht nur geschichtliche Relikte der Vergangenheit sind – von der Kaiserzeit über Weimar bis zu den sichtbaren Zeugen des verlorenen „totalen Kriegs“, der die Rote Armee an seinen Ausgangspunkt gebracht hat. Oder der Bendler-Block, wo Stauffenberg erschossen wurde. Oder die Fleischhaken, an denen die verurteilten Überlebenden des Widerstandes aufgehängt wurden. Oder das größte, fast unversehrte Bauwerk Hitlers mit dem Luftbrückendenkmal, das die ersten positiven Schlagzeilen in amerikanischen Zeitungen nach dem Krieg produzierte: Es gibt Deutsche, die für ihre Freiheit etwas zu riskieren bereit sind. Oder die Reste der Mauer, die von Menschen aus dem Osten erklettert wurde. Oder das Reichstagsgebäude mit seiner gläsernen Kuppel, die demokratisches Licht in den massiven Klotz gebracht hat, in dem schon Bismarck gesprochen hat.

Berlin, ein tägliches Manifest

Es gibt viele Städte, die schöner sind und in reizvollerer Umgebung liegen. Aber es gibt keine Stadt, in der mehr Häuser zerstört worden sind und die dennoch so groß und grün und von Wasserstraßen und Seen umspült ist, mit einer Museumsinsel und dem preußischen Potsdam vor der Tür, gar nicht durch nur einen einzigen Besuch zu konsumieren. Die Hauptstadt ist anziehend für junge Menschen und solche, die etwas Neues erproben und erleben wollen. Berlin vibriert.

Ich habe viele erlebt, die für Bonn gekämpft haben und jetzt Berlin genießen. Und ich muss gestehen, dass ich diesen nicht abreißenden Strom von Menschen aus allen Teilen des Landes und aus so vielen anderen Ländern nicht erwartet habe. Es ist ein tägliches Manifest, in dem sie die Stadt in Besitz genommen, sich zu eigen gemacht haben.

Helmut Kohl und Willy Brandt stimmten 1990 überein, dass nach der äußeren die innere Einheit das wichtigste Ziel geworden war. Das verlangte Versöhnung, die noch einmal von denen, die unter der Spaltung am meisten gelitten haben, das meiste verlangte. Es gelang danach nicht, zu verhindern, dass aus Brüdern und Schwestern Ossis und Wessis wurden. Praktisch haben die Menschen eine Abstimmung mit den Füßen vorgenommen, indem sie still und ganz selbstverständlich in ihre Hauptstadt strömten und ein Stück innerer Einheit schufen. Laut, aber nicht weniger selbstverständlich vollzog der Fußball mit der Krönung durch die Weltmeisterschaft 2006 ein großes Stück innerer Einheit. Die Spaltung des Landes verblasste.

Nun muss die Politik nachziehen und die tägliche Volksabstimmung das Plebiszit für unsere Hauptstadt anerkennen. Kein Argument für die Fortsetzung der unnatürlichen administrativen Teilung der Regierung überzeugt. Wie lange übrigens soll das anhalten? Ewig oder nur nochmals 25 Jahre? Was zusammengehört, soll endlich zusammenwachsen. Die Politik soll den erkennbaren Willen des Volkes vollziehen.

In unserer Debatte zum 20. Geburtstag des zu ergänzenden Bonn-Berlin-Gesetzes erschienen bisher Beiträge von Rupert Scholz, Wolfgang Schäuble, Norbert Blüm, Peter Raue, Michael Naumann, George Turner, Edzard Reuter, Ingo Kramer und Joachim Braun. Nachzulesen auf www.tagesspiegel.de/kultur.

Egon Bahr

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