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Raumerfahrung. "The Theater of Disappearance" von Adrian Villar Rojas im 3. OG des Kunsthaus Bregenz.

© Jörg Baumann  Adrián Villar Rojas, Kunsthaus Bregenz

20 Jahre Kunsthaus Bregenz: Wunderkammer am Bodensee

Sinneserweiterungen und Wahrnehmungsstörungen: Das Kunsthaus Bregenz feiert 20. Geburtstag mit einer spektakulären Ausstellung von Villar Rojas.

Als das Kunsthaus Bregenz vor zwanzig Jahren eröffnet wurde, gab es erst einmal – keine Ausstellung. Das Gebäude selbst stellte sich aus. Andächtig strichen die Erstbesucher über den seidenglatten Beton, in dem Architekt Peter Zumthor die äußere Hülle geformt hatte. Überall Sichtbeton, aber so fein und fugenlos, wie man das bis dahin nicht kannte. Innen Beton, außen allerdings Glas, in einzelnen Scheiben geschuppt übereinandergelegt, sodass Einheimische sich an die – freilich viel kleineren – hölzernen Schindeln erinnert fühlten, mit denen die Bauernhäuser im Bregenzerwald verkleidet sind.

Jetzt also ist das Kunsthaus zwanzig Jahre alt, und sein Jubiläum fiel just in die Festspielsaison der Seebühne. Vergangene Woche lud das Haus zum Feiern, und mit 7200 Besuchern kamen zum Geburtstag sogar noch ein paar Interessenten mehr, als allabendlich auf den Tribünen der Seebühne Platz finden. Was Kunsthaus-Direktor Thomas D. Trummer denn auch ordentlich stolz machte.

Stolz ist er aber vor allem auf das Husarenstück der Jubiläumsausstellung, die der argentinische Künstler Adrián Villar Rojas unter dem Titel „Theatre of Disappearance“ inszeniert hat. Das Kunsthaus hat es immer als eine seiner Stärken verstanden, Künstlern die Möglichkeit zu geben, etwas Spezifisches für das Haus zu schaffen – oder, wie durch Villar Rojas, auch schaffen zu lassen. Denn der überschreitet mit seiner auf alle vier Etagen des Kunsthauses verteilten Installation die Grenze zum Bühnenbild.

Villa Rojas erstrebt den Totaleindruck des Raumes

Das Erdgeschoss beginnt noch harmlos, da hat Villar Rojas lediglich die beiden opak verglasten Seitenwände in fahlfarbige Glasfenster verwandelt. Der Kassentresen ist weg, er musste ins Untergeschoss verbannt werden, um den unverstellten Platz von knapp 500 Quadratmetern je Geschoss zu schaffen. Der Boden ist mit schrundigen Holzplatten belegt, auf denen die Vergrößerung einer Renaissance-Madonna auszumachen ist, und dass man auf dem zarten Antlitz herumtritt, dürfte zarte Gemüter erschrecken.

Peter Zumthor, den man eher als Baukünstler beschreibt denn als Architekten, hat der unverstellten Ausstellungsfläche alle Notwendigkeiten untergeordnet, insbesondere die einläufige Treppe zwischen den Geschossen in einen schmalen Gebäudeschlitz auf der stadtzugewandten Seite des Gebäudes verlegt. Die beiden Durchlässe für Ab- und Aufgang sind nun nochmals verkleinert, denn nichts, nahezu nichts soll den Totaleindruck des Raumes stören, den Villar Rojas erstrebt.

Im ersten Obergeschoss läuft der Besucher auf marokkanischem Marmor, der mit prähistorischen Versteinerungen übersät ist. Das Licht ist diffus, halbdunkel, Efeu liegt auf der Glasdecke, die ansonsten das Tageslicht sehr geschickt in die fensterlosen Obergeschosse hinein verteilen. Noch ein Stockwerk darüber wird’s stockfinster, ehe sich das Auge an die lange Reihe von Gasflammen an der Wand gegenüber gewöhnt; nicht aber der Körper an die stickige Hitze, die von den Flammen ausgeht.

Ai Weiwei, Gabriel Orozco und Anish Kapoor waren schon da

Noch ein Stockwerk drüber wird es beißend hell, da hat der Künstler eine makellose Kunstharzmasse ausgießen lassen, über die ganzen 500 Quadratmeter, und in der Mitte erhebt sich eine vom Computer geschnittene Kopie der Unterschenkel von Michelangelos „David“ als kalter Abglanz künstlerischen Genies. Kein wirklich erhebender Anblick.

Mit derartigen Monumental-Installationen hat sich das Kunsthaus Bregenz seinen Ruf als kompromissloses Haus für Künstler erworben. Santiago Serra hat einmal 300 Tonnen Betonwerksteine aufschichten lassen, um die offizielle Maximaltragkraft eines Stockwerks zu testen (es blieb selbstverständlich ungefährdet), Anish Kapoor hat „My Red Homeland“ als rote Erdmasse hineingeschaufelt, Carsten Höller ein funktionstüchtiges Karussell ins Erdgeschoss montiert, Gabriel Orozco seinen merkwürdig verschmälerten Citroen DS 21 herumgefahren, Ólafur Eliasson eine Hängebrücke gespannt. Nur Tino Sehgal hat – lange, bevor er zum gehypten Star wurde – gar nichts ins Haus gebracht, nur sich selbst.

Glaskasten. Stadtseitig überragt das Kunsthaus einen kleinen Platz.
Glaskasten. Stadtseitig überragt das Kunsthaus einen kleinen Platz.

© B. Schulz

Richard Serra hat ausgestellt, Cindy Sherman, Jeff Koons, auch Ai Weiwei war da. Lawrence Weiner durfte erst- und einmalig die Wände mit seinen typischen Denksätzen beschriften (sie mussten besonders präpariert werden, um die Farbe hinterher wieder abzukriegen). Eine der schönsten Ausstellungen – weil Objekte und Raum einander perfekt ergänzten – war die der farbigen Stahlboxen von Donald Judd, der das Haus nicht hat kennenlernen können; er starb bereits 1994.

Gegenüber des Hauses erhebt sich die Festspielbühne

Das Konzept für das Haus hat als Gründungsdirektor Edelbert Köb mit dem bis heute tätigen Kurator Rudolf Sagmeister erarbeitet, Eckhard Schneider und Yilmaz Dziewior – heute Direktor des Museums Ludwig in Köln – folgten nach, ehe 2015 der jetzige, seit gestern 50-jährige Thomas D. Trummer das respektable Amt übernahm. „Das kann man in keinem anderen Museum machen“, freut er sich immer wieder, als er durch die Installation von Villar Rojas führt.

Schräg gegenüber dem durch eine Durchgangsstraße vom Ufer getrennten Kunsthaus erhebt sich die Festspielbühne, da wird in diesem Sommer „Carmen“ gegeben, mit einem wagemutigen Bühnenbild und allem illusionistischen Rumtata, das es wohl braucht, um eine Oper breitentauglich zu machen und gegebenenfalls dem nicht immer strahlenden Wetter zu trotzen.

Das Kunsthaus pflegt Illusionen der anderen Art, Sinneserweiterungen und Wahrnehmungsstörungen. Aus der Totalinstallation von Adrián Villar Rojas kommt der Besucher benommen heraus und kann es, so plötzlich auf dem friedlichen Vorplatz des Kunsthauses samt einladendem Café, gar nicht fassen, was ihm im Inneren des Hauses widerfahren ist.

Bregenz, Karl-Tizian-Platz, bis 27. August, www.kunsthaus-bregenz.at

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