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Es wird gefeiert. 20 Jahre West-Eastern Divan Orchestra. Mit tollen Gästen - auf der Bühne, und im Publikum.

© Monika Ritterhaus

20 Jahre West-Eastern Divan Orchestra: Barenboim bringt alle zusammen

Das West-Eastern Divan Orchestra überzeugt bei seinem Jubiläumskonzert mit Zurückhaltung. Nur Dirigent Daniel Barenboim wirkt gelegentlich etwas erschöpft.

Das gibt es nicht oft in der Philharmonie: Im Saal sitzen der Philosoph Peter Sloterdijk, der Filmemacher Wim Wenders und dessen Frau, die Fotografin Donata Wenders, ebenso wie Regierende Michael Müller, der Grünen-Politiker Cem Özdemir und Michael Naumann, Letzterer weniger in seiner Eigenschaft als Kulturstaatsminister a. D. denn als Rektor der Barenboim Said Akademie. Überhaupt versammelt sich zum Jubiläumskonzert des West-Eastern Divan Orchestra unter Leitung von Daniel Barenboim ein Publikum im Scharounbau, wie es alters- und interessengemischter kaum sein dürfte.

Barenboim bringt sie zusammen, nicht nur die üblichen Klassikfans, sondern Berlins lebendige, internationale Stadtgesellschaft. Dass manch einer von ihnen weniger konzerterprobt ist und allzu früh in die gespannte Schlussstille von Bruckners unvollendeter Neunter hinein applaudiert, tut der Besonderheit des Abends keinen Abbruch.

20 Jahre West-Eastern Divan Orchestra, das sind 20 Jahre Grenzüberschreitung, musizieren in dem Ensemble doch bis heute Israelis, Araber, auch Türken und Iraner sowie Nordeuropäer zusammen, in friedlicher Eintracht und auf höchstem Niveau, nach dem Schlüssel 40:40:20.

Manche waren von Anfang an dabei, heutige Hochschulabsolventinnen und -absolventen etwa der Barenboim Said Akademie kommen hinzu. Am Konzertmeisterpult sitzt Michael Barenboim, Sohn des Maestros und längst gefeierter Sologeiger. Und der Fagottist Mor Biron, um noch ein Beispiel zu nennen, stammt aus dem israelischen Rehovot und ist seit 2007 Mitglied der Berliner Philharmoniker.

Unfassbar, dass dieses Orchester nun schon so lange existiert, angefeindet von israelischer und von palästinensischer Seite, wie auch Barenboim selbst. In Israel wie in den meisten arabischen Ländern darf das West-Eastern Divan Orchestra seit Jahren nicht auftreten.

Niemals fortissimo

Unfassbar auch Bruckners Neunte, diese Symphonie in d-Moll, in der keine Melodie mehr vom Fleck kommt, jedes Motiv in sich zusammensinkt und gefangen bleibt in den ungeheuren Klangräumen und Akkordsäulen- Architekturen des österreichischen Spätromantikers. Lauter letzte Worte, Erosionen, Endmoränen.

Das Orchester ist so klug, niemals fortissimo aufzutrumpfen oder überwältigen zu wollen, nicht einmal bei den orgelregisterartigen Tutti der Blechbläser. Wobei die Intonation manchmal verrutscht, aber es macht nichts: Barenboim baut weite Spannungsbögen, mahnt die Musiker immer wieder zur Zurückhaltung und kostet die Restsüße all der vergeblichen Sehnsüchte umso mehr aus. Wenn das nicht zum Nahost-Dilemma passt, dem das Orchester seit nunmehr zwei Jahrzehnten das utopische Potenzial der Musik entgegensetzt.

Am Ende des Jubiläumskonzerts steht denn auch keine Selbstfeier, sondern das kühne Adagio der Neunten mit seinen unerhörten Harmonien, der Tristan’schen Chromatik und den bis in die Abstraktion sich zersetzenden Texturen. Der Satz kündet von einer erschöpften, verlorenen Welt.

Erschöpfungserscheinungen bei Barenboim

Der bald 77-jährige Barenboim wirkt selber ein wenig erschöpft. Er sei bester Dinge und guter Gesundheit, wird einem auf Nachfrage versichert. Das Allround-Genie Barenboim: Vor der Pause hatte er am Klavier gesessen, bei Beethovens Tripelkonzert op. 56. Es ist das Gegenteil von Bruckners erratischer Kerkermusik, nämlich ein heiteres Gespräch unter Freunden, dem Anne-Sophie Mutters Geige und Yo-Yo Mas Cello intime Züge verleihen. Sehr zart, sehr anmutig ziselieren sie ihre Partien, flirten mit Frage-Antwort-Spielen, schmiegen sich in Terzparallelen aneinander und weiten ihr Tête-à-Tête Richtung Barenboim zur Menage-à-trois aus.

Und wieder schlägt auch das West-Eastern Divan Orchester sanfte, feinnervige Töne an, zelebriert Nachdenklichkeit und neigt sich dem Solo-Trio so behutsam wie aufmerksam zu, bis hin zu den schelmischen Rubati im Rondo alla Polacca. Ein gelungener Abschluss der Geburtstagstournee, die von Luzern über Köln und Paris nach Berlin führte, dem Stammsitz des Orchesters.

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