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Verlorenes Glück. Zur Eröffnung des Festivals läuft Radu Mihaleanus "Geschichte einer Liebe" mit Gemma Arterton und Mark Rendall. Filmstart: 13. Juli.

© Prokino Filmverleih

23. Jüdisches Filmfestival Berlin: Züge des Lebens

„Nicht ganz koscher“: eine Vorschau auf das 23. Jüdische Filmfest Berlin, das diesen Sonntag startet.

Sind Frauen und Schweine unrein? Kann man die jüdische Geschichte, insbesondere die Geschichte Israels, über das Verhältnis des Judentums zum gemeinen Hausschwein erzählen? Man kann!, zeigt auf unbefangene, urkomische und doch keineswegs leichtfertige Weise der israelische Filmemacher und Schweinefleischesser Chen Shelach in „Praise the Lard“.

Aufgewachsen in einem Kibbuz, fand er die Ziele der kibbuzeigenen Schweinezüchter durchaus plausibel: Die wahre Emanzipation der Juden fordert das rückhaltlose Bekenntnis zum Schwein! Die Bewohner des Jerusalemer Viertels Mea Schearim glauben das eher nicht. Sie glauben vielmehr, dass Israel der Mittelpunkt der Welt ist, Jerusalem der Mittelpunkt von Israel und Mea Schearim der Mittelpunkt von Jerusalem und dass sie den Kampf gegen die das Judentum verratenden Schweinefleischfresser eines Tages gewinnen werden, nämlich dann, wenn der Messias kommt.

„Nicht ganz koscher“ lautet das Motto des 23. Jüdischen Filmfestivals in Berlin und Brandenburg, mit 44 Beiträgen aus aller Welt. Tiefster, mörderischer Ernst in unmittelbarer Nachbarschaft beiläufiger Komik: Solche Kontraste zu zeigen und doch ganz bei sich zu bleiben, das gelingt wohl nur diesem Festival. Ein jüdisches Filmfest ist nicht nur der kinematographische Spiegel einer Nation, sondern vieler Nationen, zugleich trägt es die Spannung aus zwischen orthodoxestem Glauben und offener, latent gottloser Weltzugewandtheit, wie sie so schonungslos kaum einer anderen Kultur innewohnt.

Zur Eröffnung läuft die Bestseller-Verfilmung "Die Geschichte der Liebe"

Eröffnet wird das Festival an diesem Sonntag im Potsdamer Hans-Otto-Theater mit dem ersten englischsprachigen Film des Mannes, der den vielleicht aberwitzigsten, verstörendsten, zärtlichsten Film über den Holocaust gedreht hat: „Zug des Lebens“ von 1998. In „Die Geschichte der Liebe“ erzählt Radu Mihaleanu von Leo, der der schönen Alma verspricht, sie ein Leben lang zum Lachen zu bringen. Das war Anfang der 30er Jahre in einem polnischen Schtetl. Das Leben und die Nazis trennen sie, doch Leo (Derek Jacobi) hört nicht auf, nach Alma zu suchen. „Die Geschichte der Liebe“ ist die Verfilmung des Erfolgsromans von Nicole Krauss.

Am 22. August 1939 sprach Adolf Hitler vor den Oberkommandierenden der Wehrmacht. „Wer redet denn heute noch von der Vernichtung der Armenier“, fragte er gut 20 Jahre nach dem Völkermord, oder nein, es war keine Frage. Es war das kühle Konstatieren dessen, dass niemand mehr davon spricht. Bald 75 Jahre nach dem Holocaust ist der Völkermord an den europäischen Juden nicht nur nie vergessen worden, sondern erfährt immer neue Bezeugungen, mitunter von derart erstaunlicher Bildmächtigkeit, als sähen wir zum ersten Mal, was wir längst wissen. Das geschieht immer dann, wenn das Denken beginnt zu fühlen und das Gefühl beginnt zu denken.

Szene aus dem ungarischen Film "1945" mit Iván Angelus, Marcell Nagy und Miklós Székely B.
Szene aus dem ungarischen Film "1945" mit Iván Angelus, Marcell Nagy und Miklós Székely B.

© Promo

Das kleine ungarische Meisterwerk „1945“ von Ferenc Török vermag das. Dabei gibt es so vieles, was ein Auschwitz-Film nicht tun sollte, etwa hochsymbolisch den Rauch von Lokomotiven zeigen. „1945“, der auf der Berlinale Premiere feierte, macht aber genau das. Der Rauch, den der ankommende Zug ausstößt, ist auch noch höllenschwarz, das geht nicht, denkt man, und weiß im nächsten Augenblick: Es geht doch.

Der Film "1945": High Noon in Ungarn, im ersten Nachkriegssommer

Zwei orthodoxe Juden verlassen irgendwo in Ungarn im ersten Nachkriegssommer diesen Zug und nähern sich einem kleinen Ort. Die Nachricht, dass sie kommen, kehrt dort das Unterste zuoberst. Folgt jetzt die Strafe dafür, sich fremdes Eigentums bemächtigt zu haben? Es ist die formale Strenge dieses Schwarz-Weiß-Films, die fasziniert; die vollkommene Reglosigkeit der Ankömmlinge, dieser Hindurchgeher, von denen man nicht weiß, ob sie mehr zu den Toten als zu den Lebendigen gehören, steht in suggestivstem Kontrast zu dem Tumult im Ort. „High noon“ in Ungarn, im Sommer 1945.

Ganz anders „Un juif pour l’exemple“ des schweizerisch-britischen Regisseurs Jacob Berger mit Bruno Ganz. Er scheut jede Verfremdung und keine Vordergründigkeit, zeigt junge Schweizer Nationalsozialisten im Kriegsjahr 1942 als perverse Hinterwäldler. Das mag der Wahrheit entsprechen, und doch macht es einen Film eher kleiner als größer. Das kompensiert selbst Bruno Ganz nicht, der in dieser authentischen Geschichte, den ermordeten Berner Viehhändler Arthur Bloch spielt.

Eine Sonderreihe würdigt die jüdischen Filmschaffenden bei der UFA

Der Dokumentarfilm „Mohamed and Anna“ erzählt das Leben des Ägypters Mohamed Helmy, der während des „Dritten Reichs“ in Berlin ein jüdisches Mädchen rettete und als einziger Araber in Yad Vashem geehrt wird. „Wilfried Israel – The essential Link“ ist das Porträt des Berliner Kaufhausleiters Nathan Israel, der die „Kindertransporte“ ins Leben rief.

In diesem Jahr wäre die Ufa 100 Jahre alt geworden. Die Namen jüdischer Regisseure wie Billy Wilder oder Fritz Lang sind unauflöslich mit ihr verbunden, auch viele unbekannte. Die Reihe „Dem Vergessen entrissen“ zeigt, welchen Anteil jüdische Filmemacher, Drehbauchautoren und Komponisten am fulminanten Aufstieg der Ufa besaßen. Und immer wieder scheint auch die Gegenwart auf, nicht zuletzt in berückenden Porträts leicht dysfunktionaler Familien, in „Personal Affairs“ der Palästinenserin Maha Haj etwa, „Through the Wall“ der orthodoxen Jüdin Rama Burshtein oder „Beyond the Mountains and Hills“ von Eran Kolirin.

Bis 11. Juli in mehreren Berliner und Potsdamer Kinos. Infos zum Programm: www.jffb.de

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