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Alexander Kotts in der kasachischen Steppe spielendes Werk "Ispytanie - Der Test" wurde beim Cottbuser Filmfestival mit dem Regiepreis ausgezeichnet.

© Filmfestival Cottbus

24. Filmfestival in Cottbus: Die Korrekturen

Schweigsame Helden, brutale Jugendliche und queere Küsse: Das 24. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus

Nervosität erfüllt den großen Saal des Jugendzentrums Glad in Cottbus. Eine Schulklasse soll sich den bulgarischen Kurzfilm „Pride“ ansehen. „Schwul, schwul, schwul“, sagt ein Junge bei der Platzsuche – und hat so nicht nur seine Anspannung ein wenig gelöst, sondern auch das Thema des Nachmittags auf den Punkt gebracht. In Pavel G. Vesnakovs halbstündigem Werk geht es um einen alten Taxifahrer, der mit einer erbarmungslosen Hasstirade reagiert, als ihm klar wird, dass sein Enkelsohn schwul ist.

Bei der anschließenden Diskussionsrunde hat natürlich keiner der Teenager eine Frage. Die meisten wollen hier wohl so schnell wie möglich wieder raus. Doch vielleicht nehmen sie auch etwas mit von dieser Exkursion. Und falls sie selber schwul oder lesbisch sind, können sie froh sein, dass hierzulande wahrscheinlich kein Opa wegen eines schwulen Enkels das Abendessen an die Wand wirft und ihm mit Umerziehung droht.

„Pride“ ist beim 24. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus Teil des Themenschwerpunktes „Queer East“, den der georgische Regisseur Zaza Ruszade kuratiert hat. Bei der Vorstellung seines eigenen sehr suggestiven Films „A Fold In My Blanket“ sagt der 1977 geborene Filmemacher, dass sich in Georgien verglichen mit seiner Jugend einiges zum Besseren verändert habe. „Sehr langsam zwar, aber daran sind wir gewöhnt.“

Sehnsucht nach dem ganz normalen Leben

Auch die Russin Elena Klimova setzt auf den Zeitfaktor. In etwa 60 Jahren schätzt sie, werde es für Schwule und Lesben in Russland leichter sein. Einstweilen muss die blasse junge Frau mit der Hornbrille in einem Land leben, in dem sie und ihre Geliebte ihre Arbeit bei einer Zeitung verloren, als bekannt wurde, dass sie ein Paar sind. Ein Land, in dem sie verklagt wird, weil sie im Internet ein soziales Netzwerk für queere Jugendliche betreibt. Es heißt „Deti 404“ und steht im Zentrum der Dokumentation „Children 404“ von Askold Kurov. Anonyme Interviews mit Nutzern des Forums fügen sich mit Elenas Geschichte und der eines Anfang 20-jährigen Schwulen zu einem vielschichtigen Bild jungen, queeren Lebens in Russland zusammen. Zwei immer wiederkehrende Themen: Der Wunsch, nicht mehr zu gesellschaftlicher Unsichtbarkeit verdammt zu sein und die Sehnsucht, ein ganz normales Leben führen zu dürfen.

Beim Sichtbarwerden helfen nicht nur Gay-Pride-Paraden, wie sie etwa der junge Aktivist Sergey in der Doku „East Bloc Love“ auf die Straßen von Minsk zu bringen versucht, sondern auch Filme. Wer auf dem Screen ist, existiert – und wird vielleicht irgendwann auch akzeptiert. Das osteuropäische Kino hat erst kürzlich damit begonnen, sich intensiver mit queeren Themen zu beschäftigen. Filme wie der „Im Namen des …“ aus Polen, „Sturmland“ aus Ungarn oder „Parada“ aus Serbien liefen auf der Berlinale und in den deutschen Kinos. Dass es sich hierbei nicht um zufällige Einzelerscheinungen handelt, zeigt das „Queer East“-Programm mit insgesamt 18 Produktionen.

Publikumsliebling "Die Maisinsel" aus Georgien kommt im April in die deutschen Kinos

Vor allem die Spielfilme beeindrucken durch einen vielfältigen Umgang mit queeren Stoffen. Sie erzählen nicht nur von Homophobie, sondern auch von der bittersüßen Liebe auf den ersten Blick zwischen einer Slowenin und einer Dänin („Dual“) oder vom griechisch-albanischen Teenager Dany, der in „Xenia“ sehr viele Probleme hat – sein offenes Schwulsein gehört allerdings nicht dazu. Und in Jasmila Žbanićs kurzweiliger Urlaubskomödie „Love Island“ gibt es sogar ein richtig schönes, durchgeknalltes Happy End zwischen zwei Frauen und einem Mann.

Ebenfalls auf einer Insel, allerdings auf einer deutlich unwirtlicheren, spielt einer der herausragenden Filme des Cottbuser Wettbewerbs und Gewinner des Publikumspreises: „Die Maisinsel“ des georgischen Regisseurs George Ovashvili. Jedes Frühjahr bilden sich im Fluss Enguri temporäre Inseln, die sehr fruchtbar sind. Seit Jahren baut eine alter Bauer auf ihnen Mais an. In diesem Jahr hilft ihm seine 16-jährige Enkelin. In poetischen, ruhigen Bildern zeigt Ovashvili, wie die beiden ihre Arbeit verrichten. Es fällt kaum ein Wort zwischen den beiden – und wären da nicht die georgischen und abchasischen Soldaten, die immer wieder mit Booten vorbeirauschten, bliebe das wohl auch so. In der Grenzregion herrscht Krieg, immer wieder sind Schüsse zu hören. Dass es Ovashvili gelingt, neutral zu bleiben – genau wie seinem Protagonisten, der die Insel zu Beginn mit einer weißen Taschentuchflagge markiert –, gehört zu den Stärken von „Die Maisinsel“, der im April in die deutschen Kinos kommt.

Gänzlich ohne Dialoge kommt der kasachische Film "Ispytanie" aus

Schweigsame oder sprachlose Protagonisten sind eine Art Markenzeichen der zwölf Wettbewerbsfilme (darunter nur einer von einer Frau). Sogar gänzlich ohne Worte kommt Alexander Kotts in der kasachischen Steppe angesiedeltes und mit dem Regie-Preis gekürtes Werk „Ispytanie – Der Test“ aus. Ein Vater und seine Tochter leben in einem alten Lehmhaus mit sowjetischer Flagge auf dem Dach. Die Geschichte spielt irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg, und erst als Männer mit Geigerzählern in der Einsamkeit auftauchen, beginnt man zu ahnen, dass hinter dem kargen Horizont etwas Ungeheuerliches im Gange ist. Angesichts der farbenfrohen, sorgfältig kadrierten und immer mal wieder aus Vogelperspektive aufgenommenen Bilder, gerät das jedoch in Vergessenheit. Und die Überraschung zum Schluss ist entsprechend mächtig.

Mit einer Art Wunder endet „Klass Korrektsii – Correction Class“, der Siegerfilm des Moskauer Regisseurs Ivan I. Tverdovsky – und macht das harte in einer russischen Provinzstadt angesiedelte Sozialdrama ein bisschen erträglicher. Im Zentrum steht Lena, die im Rollstuhl sitzt und neu in eine Spezialklasse kommt. Hierhin werden von der Kleinwüchsigen bis zum Epileptiker alle Jugendlichen mit Beeinträchtigungen abgeschoben. Sie nehmen die Neue zunächst herzlich auf, doch als einer der Jungen auf Lenas Freund Anton eifersüchtig wird, zeigt sich, wie verroht die Gruppe durch die instutionelle Ausgrenzung bereits ist. Von den auffällig vielen Cottbuser Wettbewerbsfilmen, bei denen Jugendliche oder junge Erwachsene im Zentrum standen, ist „Klass Korrektsii“ einer der stärksten. In Russland lief er mit 300 Kopien im Kino und war kein Blockbuster, ein deutscher Start ist ihm zu wünschen.

Neben dem traditionell in Cottbus stark vertretenen russischen Kino vergaß das Team um Programmdirektor Bernd Buder aber auch die Ukraine nicht. So war etwa das Historienepos „The Guide“ zu sehen, das mit hollywoodgleichem Aufwand von widerständigen Kosaken erzählt. Mit wenig Geld und Amateurdarstellern entstand hingegen „Once Upon a Time in Ukraine“, das eine fiktionale Handlung vor die reale Maidan-Kulisse verlegt.Leider ein missglücktes, oft kitschiges Werk, von dem es demnächst einen zweiten Teil geben wird.

Einer der traurigsten Festivalmomente war die Oleg Senzow gewidmete Aufführung seines Debütfilms „Gamer“ (2011). Der russischstämmige Regisseur, der auf der Krim gelebt hatte und gegen deren Annektierung eingetreten war, sitzt seit Monaten in einem Moskauer Gefängnis. Ihm wird die Vorbereitung eines Terroranschlages vorgeworfen. Die nach Cottbus gereiste Produzentin von „Gamer“ macht vor dem Film wenig Hoffnung, dass Senzows im Januar beginnender Prozess einen positiven Ausgang nehmen könnte. Sein autobiografisch inspirierter Spielfilm über einen jungen ukrainischen Computerspiel-Freak wirkt danach seltsam entrückt – so friedlich und alltäglich.

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