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Eberhard Foth (87), verkündete das Urteil im Prozess gegen die RAF-Führungsspitze. Er folgte Theodor Prinzing nach, der wegen Befangenheit den Vorsitz mitten im Verfahren hatte niederlegen müssen.

© Frank Bachner

25 Jahre nach dem letzten RAF-Anschlag: Baader-Meinhof-Richter: „Schilys Äußerung war gemeingefährlich“

Am 27. März 1993 beging die RAF ihren letzten Anschlag. Eberhard Foth, Richter im Stammheim-Prozess, im Gespräch über Terror und Rechtsstaatlichkeit.

Herr Foth, am 20. April 1998, vor 20 Jahren, hat sich die Rote Armee Fraktion selbst aufgelöst. Hatten Sie gedacht: Wird ja auch mal Zeit?

 Ich bin 1980 zum Bundesgerichtshof gewechselt, von diesem Zeitpunkt an habe ich die RAF nur noch über die Presse verfolgt. Ich war natürlich zufrieden, ich war nur erstaunt, dass die sich quasi offiziell aufgelöst hat.

Haben Sie eine Erklärung, warum diese Auflösung ausgerechnet am Geburtstag von Adolf Hitler mitgeteilt wurde?

Der Zeitpunkt ist ja unglaublich. Aber eine Erklärung dafür habe ich nicht.

In der Nacht zum 27. März 1993 hat die RAF ihren letzten Anschlag verübt. Sie legte das neu gebaute Gefängnis in Weiterstadt in Schutt und Asche. Die RAF achtete sehr darauf, dass nur Sachschaden entstand.

Ja, das war wohl eine Reaktion auf die so genannte Kinkel-Initiative.

Der damalige Justizminister Klaus Kinkel hatte 1992 erklärt, man müsse verurteilte RAF-Täter unter bestimmten Umständen vorzeitig entlassen. Die RAF erklärte daraufhin, sie werde keine Menschen mehr angreifen. Wie haben Sie die Kinkel-Initiative aufgenommen?

Sehr kritisch. Ich halte sehr wenig davon, dass man Straftäter unterschiedlich behandelt. Mich ärgert jedes Mal, wenn ich lese, irgendwelche Anschläge, auch die RAF-Anschläge seien keine kriminellen, sondern politische Taten gewesen. Für mich war die Initiative ein unschönes Zurückweichen des Staates bei der Bekämpfung der Kriminalität.

Und die Deeskalationserklärung der RAF hat sie offenbar wenig beeindruckt.

 Nicht sonderlich.

Sie waren der letzte Vorsitzende Richter im Baader-Meinhof-Prozess, dem Kern-Verfahren in der RAF-Geschichte. welchen Eindruck hatte Andreas Baader, der Leader der RAF, auf Sie gemacht?

Baader war eine führungsstarke Person. Er leistete sich ab und zu Scherze, in dem er zum Beispiel eine rote Armbinde trug, aber ansonsten habe ich mich mit seinem Charakter nicht sehr beschäftigt. Er war praktisch sehr begabt. Ich war mir nicht sicher, ob er die Politik nicht erst in der Haft gelernt hatte.

In der Öffentlichkeit blieb vor allem das Bild haften, dass im Prozess schreiende Anwälte und Angeklagte auf stammelnde Richter getroffen sind. Das ist ja nur ein Teil der Wahrheit. Wie war die Atmosphäre, wenn wenig Journalisten und Zuschauer im Saal waren?

Es gab viele Sitzungstage, in denen alles normal ablief. Die Angeklagten haben ihre Erklärungen auch in normalem Ton abgegeben. Die Verteidiger haben nicht immer geschrien.

Der Gerichtssaal in Stuttgart-Stammheim, in dem der Baader-Meinhof-Prozess stattfand.
Der Gerichtssaal in Stuttgart-Stammheim, in dem der Baader-Meinhof-Prozess stattfand.

© picture alliance / dpa

Der entscheidende Punkt in diesem Prozess war die Ablösung des Vorsitzenden Richters Theodor Prinzing durch Sie. Prinzing hatte außerhalb der Verhandlung einen fatalen rechtlichen Fehler in Bezug auf das Verfahren gemacht. Wie schwer ist Ihnen diese Ablösung menschlich gefallen? Sie hatten ein freundschaftliches Verhältnis zu Prinzing.

 Das war sicher einer der schwersten Momente meiner richterlichen Laufbahn. Zum einen hat mir Prinzing leidgetan, er hatte sich ja sehr engagiert und vieles auf sich genommen. Zum anderen stand ich jetzt im Mittelpunkt. Nun würden alle mich attackieren. Und ich wusste nicht, ob ich das nervlich durchhalten würde. Aber es half ja nichts. Wir kamen zu der Beurteilung, dass ein neutraler Betrachter den Eindruck haben könne, Prinzing sei voreingenommen.

Der Befangenheitsantrag kam von dem Pflichtverteidiger Künzel, den Prinzing am Abend zuvor angerufen hatte und zu dem er sich verhängnisvoll über Pflicht- und Wahlverteidiger der Angeklagten geäußert hatte. Künzel begründete seinen Antrag mit diesem Anruf. War Ihnen in diesem Moment sofort klar: Das wird jetzt eng für Prinzing?

Prinzing hatte mir schon vor der Verhandlung von dem Telefonat mit Künzel berichtet. Als ich das hörte, dachte ich: Oh Gott, das ist eine schlimme Geschichte, das könnte das Ende von Prinzing als Vorsitzendem sein. Für mich war diese Affäre aber zugleich auch eine interessante, fast beruhigende Erfahrung.

Weshalb?

Wir hatten bis dahin so viele Befangenheitsanträge abgelehnt, dass ich mal für mich dachte: Du wirst doch nicht so weit gekommen sein, dass Du aus Routine nicht mehr fair und unvoreingenommen entscheidest, dass Du Dein Judiz verloren hast. Aber meine Reaktion auf die Ablehnung von Prinzing zeigte mir, dass diese Angst unbegründet war.

Sie haben die letzten drei Monate des Prozesses sehr ruhig, sehr souverän zu Ende geführt. Hatten Sie sich bewusst vorgenommen, ich lasse mich nicht provozieren.

Das hat sich so ergeben. Ich hatte mit Prinzing manchmal Meinungsverschiedenheiten wegen der Verhandlungsführung. Ich hatte ihm gesagt, er halte den Menschen für zu gut. Er dachte, dass man mit jedem vernünftigen Menschen auch vernünftig diskutieren könne. Ich habe ihm immer gesagt: In diesem Saal gibt es Leute, mit denen könne man nicht diskutieren, weil sie nicht diskutieren wollen.

Vertrauensverteidiger und Angeklagte betrachteten den Prozess auch als Plattform für politische Botschaften.

Ja, Prinzing sagte oft nach der Verhandlung, man könne doch bestimmte Äußerungen nicht im Raum stehen lassen. Ach, lassen Sie es doch stehen, antwortete ich. Wenn wir übermorgen wieder in den Saal kommen, ist es längst vergessen. Wenn zu mir ein Angeklagter gesagt hätte: Gestern hat der Vorsitzende seine Großmutter vergewaltigt, dann hätte ich nicht empört reagiert, sondern hätte gesagt: Wir werden uns mit der Frage beschäftigen. Sonst noch Wortmeldungen?

Diese Gelassenheit hat Prinzing gefehlt.

 Ich habe ihn einmal im Beratungszimmer regelrecht beschimpft, weil er mit dem Verteidiger Otto Schily am Ende eines Verhandlungstags noch eine unnötige Debatte begonnen hatte. Am nächsten Morgen habe ich mich dann entschuldigt.

„Der Rechtsstaat stellt sich selber eine Falle“

Eberhard Foth (87), verkündete das Urteil im Prozess gegen die RAF-Führungsspitze. Er folgte Theodor Prinzing nach, der wegen Befangenheit den Vorsitz mitten im Verfahren hatte niederlegen müssen.
Eberhard Foth (87), verkündete das Urteil im Prozess gegen die RAF-Führungsspitze. Er folgte Theodor Prinzing nach, der wegen Befangenheit den Vorsitz mitten im Verfahren hatte niederlegen müssen.

© Frank Bachner

Der dramatischste Punkt des Prozesses war ein Eingeständnis der damaligen baden-württembergischen Minister Traugott Bender und Karl Schiess, verantwortlich für Justiz und Inneres, dass in Stammheim Gespräche zwischen RAF-Mitgliedern und ihrer Verteidiger abgehört wurden. Wie hat diese Aussage auf Sie gewirkt?

Ich habe mir wirklich eine Nacht lang überlegt, ob ich mein Amt abgeben soll. Diese Aktion hat mich gewaltig geärgert. Das war erstens ein übler Eingriff der Verwaltung in die Justiz. Die Minister beriefen sich auf den „übergesetzlichen Notstand“, aber meiner Ansicht nach war dieser Paragraph nicht anwendbar. Für das Gericht gilt nur der Paragraph, dass nur ungestörte Gespräche von Verteidigern mit ihren Mandanten zulässig sind.

Die empörten „Vertrauensverteidiger“ blieben dem Prozess aus Protest erstmal fern.

Durch diese Abhöraktion war ja sogar der ganze Prozess gefährdet. Wenn die so genannten „Zwangsverteidiger“ auch noch weggeblieben wären, dann wäre der Prozess geplatzt.

Der frühere Generalstaatsanwalt von Württemberg, Klaus Pflieger, hat selber RAF-Mitglieder angeklagt. Er hatte gesagt, mit der Abhöraktion habe für ihn „der Rechtsstaat gewackelt“. Für Sie auch?

Der Rechtsstaat im Gesamten war nicht gefährdet. Aber für mich war es ein ganz unglaublicher Eingriff der zweiten Gewalt in die dritte Gewalt. Die Minister haben dann ja auch auf unsere Reaktion hin erklärt, dass so etwas nicht mehr vorkommen werde.

Wie wurde der Fall in Ihrem Senat diskutiert?

Die andern waren meiner Erinnerung nach der gleichen Meinung wie ich.

Die Stimmung war damals sowieso aufgeheizt. Hatten Sie Angst, dass sich durch diese Abhöraktion nun auch Leute vom Staat abwenden, die noch einigermaßen neutral waren?

Nein, eigentlich nicht. Dafür war für mich diese Aktion aus Sicht der Bevölkerung nicht schlimm genug. Für mich war das vor allem ein Einzelfall.

Gab es denn während des Verfahrens subtile oder deutliche Einflussnahme aus der Politik auf das Gericht?

 Nein, nie. Ich wüsste auch gar nicht, wer das hätte machen sollen.

Vor dem Baader-Meinhof-Prozess wurden zahlreiche Gesetze der Strafprozessordnung geändert. Darunter das Verbot, dass ein Verteidiger mehrere Angeklagte vertreten darf. Waren diese Änderungen aus heutiger Sicht nötig? Oder übertrieb der Rechtsstaat in der damaligen fast hysterischen Atmosphäre?

Nein, die waren nötig, damit man geordnet verhandeln konnte. Jetzt war es zum Beispiel erlaubt, auch in Abwesenheit von Angeklagten zu verhandeln, wenn die aus eigener Schuld verhandlungsunfähig waren. Die RAF-Angeklagten hatten ja mehrere Hungerstreiks gemacht und waren gesundheitlich nicht im besten Zustand. Sie hätten bestimmen können, ob ein Prozess überhaupt stattfindet. Der Rechtsstaat stellt sich in diesem Punkt ja selber eine Falle.

Inwiefern?

Der Rechtsstaat verlangt, dass der Angeklagte immer anwesend ist. Wenn der nur zwei Minuten weg ist, dann ist das ein absoluter Revisionsgrund. Das verlangt der Rechtsstaat zu Recht. Aber damit begibt sich der Rechtsstaat auch in die Hand des Angeklagten. Wenn der seine Verhandlungsunfähigkeit herbeiführt, dann gibt es keinen Prozess. Die gleiche Anwesenheitspflicht gilt ja auch für Verteidiger. Deshalb hatten wir die so genannten „Zwangsverteidiger“ bestellt, mit denen die Angeklagten aber kein Wort redeten.

Von links nach rechts: Kurt Grönewold, Klaus Croissant und Hans-Christian Ströbele vor dem Gerichtsgebäude in Stuttgart-Stammheim am 05.06.1975.
Von links nach rechts: Kurt Grönewold, Klaus Croissant und Hans-Christian Ströbele vor dem Gerichtsgebäude in Stuttgart-Stammheim am 05.06.1975.

© picture-alliance/ dpa / Rolf Haid

Otto Schily verteidigte im Prozess Gudrun Ensslin und bezeichnete das Verfahren als „politischen Prozess“. Was hatten Sie gedacht, als sie viele Jahre später erlebten, wie er als Innenminister den rechten Hardliner gab?

Ich möchte lieber nichts über Schily sagen. Allerdings dachte ich immer, Schily kennt nur Schily. Aber einen Punkt hielt ich für schlimm.

Welchen?

Er hatte erklärt, zwischen der Bundesrepublik und der RAF bestehe ein politisch-militärischer Konflikt. Wenn das gestimmt hätte, dann hätte man schießen und Bomben legen dürfen, wie das ja vorher und nachher auch geschah. Diese Äußerung war gemeingefährlich.

Das Klima in der damaligen Gesellschaft war sehr aufgeheizt. In wie weit hat diese Stimmung Sie beeinflusst?

Sie hat mich nicht beeinflusst. Mich haben bloß diese Stimmungsschwankungen verwundert. An einem Tag hieß es, die Gefangenen lebten in Isolationshaft, am nächsten Tag ging es ihnen, laut einer anderen Zeitung, viel besser als anderen Gefangenen. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie die Stimmung des ganzen Landes von diesem RAF-Prozess erfüllt war. Selbst wenn man sich in der Kabine des Schwimmbads umzog, konnte man sicher sein, dass in der nächsten Kabine über den Prozess gesprochen wurde.

Wie oft wurden Sie während des Prozesses angesprochen?

Eigentlich gar nicht so oft. Ich war ja nicht so bekannt wie Theodor Prinzing. Mich haben vor allem Nachbarn angesprochen. Und die haben sich gefreut, dass wegen meines Polizeischutzes die Gefahr von Einbrüchen gering war.

Viele Bürger hatten allerdings zunehmend Angst vor der Polizei. Pflieger sagte auch, der Normalbürger habe Angst bekommen, in welchem Maß die Polizei damals aufgerüstet habe. Bei Polizeikontrollen wurden sogar Unschuldige erschossen. Fanden Sie diese Aufrüstung falsch?

Mich hatte damals der Fall von Ian McLeod mitgenommen.

Der Handelsvertreter wurde durch die Tür seines Hotelzimmers erschossen. Als Opfer einer Verwechslung.

Der arme Mensch steigt aus dem Bett, öffnet die Tür, sieht bewaffnete Menschen, schlägt die Tür zu und wird von einem Polizisten durch die Tür erschossen. Das war natürlich eine Überreaktion. Aber das war eine Überreaktion eines einzelnen überforderten Polizisten, nicht des Staates. Leider gibt es tödliche Schüsse durch die Polizei auch heute. Da muss man jeden Fall genau aufklären.

Damals forderten normale Bürger vor dem Gefängnis Stammheim, man solle RAF-Mitglieder „auf der Flucht erschießen“. Andere wurden plötzlich von Polizisten mit Maschinenpistolen kontrolliert. Wurde diese Hysterie in der Gesellschaft nicht auch durch Medien und Politik erzeugt oder verstärkt?

Hm, als so hysterisch empfand ich die Atmosphäre gar nicht. Aber anders als heute war man damals nicht gewohnt, dass im Radio häufig von Anschlagsopfern durch Terror berichtet wird. Solche Attentate gab es damals ja zumindest in Westdeutschland nicht. Die RAF hatte als erste Gruppe solche Anschläge verübt. Deshalb wurde Gewalt vielleicht auch viel stärker empfunden, als dies heute der Fall ist.

Damals wurde der Kreis der angeblichen RAF-Sympathisanten maßlos ausgebaut. Hatten Sie nicht das Gefühl, dass genau dadurch der Leute, die den Staat als repressiv betrachteten, bestätigt wurden?

 Bei solchen Vorfällen wird es immer bestimmte Menschen geben, die sich ungerecht behandelt fühlen. Aber da wurde natürlich auch auf Seiten der Staats-Kritiker vieles übertrieben. Viele Medien haben die Stimmung anheizt. Die „Bild“-Zeitung“ hat natürlich gewaltig draufgehauen. Andererseits gab es den linken „Pflasterstand“ oder die „taz“, auch die „Zeit“ und andere, die haben dagegengehalten.

Der Vietnam-Krieg war einer der Gründe, die zur Gründung der RAF geführt haben. Pflieger hatte noch auf der Straße dagegen protestiert. Wie haben Sie den Vietnamkrieg empfunden?

Ich hielt den Krieg nicht für richtig. Aber ich kannte damals die Details nicht so genau, dass ich hätte sagen können, das ist ein Verbrechen.

Aber man muss ja kein Richter sein, um die Bombardierung der Bevölkerung als Verbrechen einschätzen zu können.

Wie gesagt, damals wusste ich nicht alle Details, „Bombardierung der Bevölkerung“ haben wir ja auch schon erlebt – war das per se Unrecht? Grundsätzlich aber war ich gegen diesen Krieg. Andererseits: Auch Unrecht in Vietnam gestattet keine Morde in Deutschland.

„Wir hätten hinter Plexiglaswänden sitzen können“

Eberhard Foth (87), verkündete das Urteil im Prozess gegen die RAF-Führungsspitze. Er folgte Theodor Prinzing nach, der wegen Befangenheit den Vorsitz mitten im Verfahren hatte niederlegen müssen.
Eberhard Foth (87), verkündete das Urteil im Prozess gegen die RAF-Führungsspitze. Er folgte Theodor Prinzing nach, der wegen Befangenheit den Vorsitz mitten im Verfahren hatte niederlegen müssen.

© Frank Bachner

Wären Sie damals auch auf die Straße gegangen, um dagegen zu protestieren?

Ich halte nicht viel von Straßendemonstrationen. Ich hatte immer gesagt, der Verstand soll entscheiden, nicht die Füße sollen das tun. Und im Übrigen, 1968 war ich 38 Jahre alt, da war ich über die Studentenbewegung raus. Eine besondere Erinnerung an diese Zeit habe ich.

Welche?

Der Vater der RAF-Führungsfrau Gudrun Ensslin...

... der evangelische Pfarrer Helmut Ensslin....

hat mich mal, vor dem Urteilsspruch gegen seine Tochter, besucht. Das war interessant. Ich hatte den Eindruck, dass er immer noch darunter litt, dass er im Dritten Reich keinen Widerstand geleistet hatte. Es gab ja den Vorwurf, das neue Deutschland sei faschistisch. Ich hatte den Eindruck, er dachte, er könne jetzt diesen Widerstand nachholen.

Sie saßen neben Theodor Prinzing, als das RAF-Mitglied Klaus Jünschke plötzlich über die Richterbank sprang und Prinzing angriff. Jünschke war als Zeuge geladen. Wie haben Sie diese Szene erlebt?

Ich war natürlich erstmal erschrocken. Dann haben wir Richter uns auf ihn gestürzt, bevor die Wachtmeister kamen. Prinzing ist nichts passiert. Aber so überrascht war ich auch wieder nicht. Gewalttätigkeiten kamen nun mal vor. Wir hätten übrigens Plexiglasscheiben vor die Richterbank stellen können. Die Vorrichtungen waren da. Aber welcher Richter will schon hinter einer Plexiglaswand sitzen?

 Sie haben viele Jahre später Jünschke bei einer Podiumsdiskussion erlebt. Er hatte sich zwischenzeitlich längst von der RAF abgewandt. Haben Sie ihm diesen Wandel abgenommen?

Ja, doch, das habe ich. Mich hat bloß grundsätzlich immer beschäftigt, wie junge Menschen dazu kommen, dass sie andere kaltblütig ermorden.

1990 stieß Burkhard Garweg zu RAF, zu einer Zeit also, als die RAF längst auch in der Linken völlig isoliert war. Verstehen Sie so etwas?

Nein, das verstehe ich nicht. Aber ich kenne die Person Garweg nicht, deshalb kann ich seine Situation sowieso nicht beurteilen. Man konnte ja auch ganz verschiedenen Gründen zur RAF stoßen.

Die drei früheren RAF-Mitglieder Burkhard Garweg, Ernst-Volker Staub und Daniela Klette sind immer noch untergetaucht und begehen fast im Rentenalter Raubüberfälle. Haben Sie fast schon Mitglied mit diesen Oldies?

Mitleid habe ich nicht. Aber sie sind ja auch übel dran, wenn sie sich stellen, werden sie eingesperrt. Und bei jeder Kontrolle können sie auffliegen. Aber selbstverständlich billige ich ihre Taten nicht.

2011 fand der Prozess gegen die frühere RAF-Frau Verena Becker statt, sie war wegen des Attentats auf den früheren Generalbundesanwalt Siegfried Buback angeklagt. Diverse Ex-RAF-Mitglieder waren als Zeugen geladen. Wir wirkten diese älteren Männer und Frauen auf Sie?

Ich war auch als Zeuge geladen, aber ich habe die Ex-RAF-Leute nur auf Fotos gesehen. Die haben sich verabredet zu schweigen, das ist ihr Recht. Dagegen kann ich als Jurist nichts sagen.

Die Bleistiftzeichnung eines Gerichtszeichners zeigt die Angeklagten (l-r) Jan-Carl Raspe, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof im Gerichtssaal.
Die Bleistiftzeichnung eines Gerichtszeichners zeigt die Angeklagten (l-r) Jan-Carl Raspe, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof im Gerichtssaal.

© picture alliance / dpa

Aber Sie haben Verena Becker auf der Anklagebank gesehen. Ein älteres Muttchen. Was hat dieser Anblick bei ihnen ausgelöst?

Eigentlich nicht viel. Klar, sie hatte sich verändert, aber große Gedanken habe ich mir nicht gemacht. Aber mit Michael Buback habe ich noch geredet.

Er will unbedingt wissen, wer genau seinen Vater erschossen hat. Buback hatte Verena Becker im Verdacht. Mit seiner Hartnäckigkeit ging er sogar den Bundesanwälten auf die Nerven.

Ich habe ihm versucht klarzumachen, dass ein Gericht kein Historikerkongress ist. Aber das hat er nicht wirklich verstanden. Becker und ihr Komplize Günter Sonnenberg wurden ja beide zu lebenslanger Haft verurteilt, Sonnenberg wegen des Buback-Mordes. Und Becker konnte man nicht nachweisen, dass sie geschossen hat.

Pflieger hat fast schon Mitleid mit Buback, weil der sich so verrannt habe. Geht es Ihnen auch so?

Mitleid habe ich nicht. Er sollte zur Vernunft zurückkehren.

1982 wurden die RAF-Führungsfiguren Christian Klar, Adelheid Schulz und Brigitte Mohnhaupt verhaftet. Damit war die RAF personell faktisch erledigt. Hatten Sie gedacht, dass der Spuk RAF nun vorüber sei?

Das hatte ich erhofft und auch erwartet.

1984 gründete sich die Dritte Generation der RAF, die ihre Opfer teilweise mit Genickschüssen hinrichtete. War diese Generation für Sie noch brutaler als die beiden vorangegangenen?

Das kann man so nicht sagen. Die Begleiter von Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer wurden 1977 ja regelrecht von Kugeln durchsiebt.  Da war auch Peter-Jürgen Boock beteiligt....

... der auch bei anderen Attentaten dabei war.

Diese Brutalität war ja schlimm genug, die kann man nicht steigern.

Das frühere RAF-Mitglied Rolf Heißler hatte 2007 fast achselzuckend erklärt, die Morde bei der Entführung von Hanns Martin Schleyer seien eine militärische Aktion gewesen. Was geht in Ihnen vor, wenn sie so etwas hören?

Da komme ich wieder auf die Äußerungen von Schily zurück. Der hatte gesagt, die Aktionen der RAF seien Teil eines militärischen Konflikts mit der Bundesrepublik gewesen. Das ist just das, was diese Täter beeinflusst hat.

Zu Heißler: Können Sie sich erklären, wie man 30 Jahre nach den Morden noch so denken kann?

Nein, das kann ich nicht. Das beunruhigt mich auch ständig.  Ich habe in letzter Zeit viele Bücher über die Weimarer Republik, ihren Untergang und die Vorgänge im Dritten Reich gelesen. Da muss ich immer denken: Leute, wie sie damals tätig waren, Leute dieser Art leben auch heute unter uns. Es müssten bloß entsprechende Umstände eintreten und man müsste diese Leute rufen, dann würde wieder Schlimmes passieren. Hoffentlich kommt es nie mehr so weit.

„Ich hätte Christian Klar nicht begnadigt“

Eberhard Foth (87), verkündete das Urteil im Prozess gegen die RAF-Führungsspitze. Er folgte Theodor Prinzing nach, der wegen Befangenheit den Vorsitz mitten im Verfahren hatte niederlegen müssen.
Eberhard Foth (87), verkündete das Urteil im Prozess gegen die RAF-Führungsspitze. Er folgte Theodor Prinzing nach, der wegen Befangenheit den Vorsitz mitten im Verfahren hatte niederlegen müssen.

© Frank Bachner

Christian Klar, verurteilt wegen neunfachen Mordes, ist begnadigt worden, wie andere RAF-Mitglieder auch. Pflieger hatte speziell bei der Begnadigung von Klar große Bauchschmerzen. Sie auch?

Ich hätte ihn nicht begnadigt. Für mich ist die Begnadigung von Mördern kein Thema. Früher gab es für lebenslang Verurteilte keine gerichtliche Strafaussetzung. Wenn sie nicht begnadigt wurden, saßen sie lebenslang in Haft. Als der Gesetzgeber beschloss, dass auch lebenslange Strafe gerichtlich ausgesetzt werden konnte, übergab man die Verantwortung den Gerichten. Die Gnade aber sollte meiner Ansicht nach nur dort eingreifen, wo das Recht/das Gericht nicht hinkommt. Im Fall Klar zum Beispiel hätte das Gericht die Strafe aussetzen können, hat es aber nicht getan. Hier bestand für die Gnadenbehörde kein Anlass, Gnade zu gewähren.

Ausgerechnet jemand wie Klar, der den Staat abschaffen wollte, bittet diesen Staat um Gnade. Ist das für Sie eine moralische Niederlage der RAF?

Er ist natürlich ein Mensch, er wollte auch wieder in Freiheit sein. Menschlich verständlich ist das.

Es gab den islamistischen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin, es gibt andere islamistische Anschläge, trotzdem reagiert die Gesellschaft nicht mehr so hysterisch wie zu RAF-Zeiten.  Ist die Gesellschaft, ist der Staat gelassener geworden? Oder sind wir alle mehr abgestumpft?

Ich glaube, dass wir alle allgemein mehr abgestumpft sind. Der Staat hat ja inzwischen Dinge angeordnet, an die man damals nicht im Traum dachte. Diese ganzen Abhöraktionen, diese Möglichkeit, Leute zu Hause zu belauschen, wenn man solche Ermittlungsmethoden vorgeschlagen hätte, dann hätte es einen Sturm der Entrüstung gegeben. Überwachungskameras wären damals auch möglich gewesen, aber daran war nicht zu denken. Man hat sich halt daran gewöhnt.

Bedeutet das, dass der Rechtsstaat seinen Bürgern unauffällig Stück für Stück ein Teil ihrer Freiheiten weggenommen hat?

Ja, das ist so, und das ist sehr bedauerlich. Aber bedauerlich ist, dass man nicht anders kann. Ein Politiker hat das vor kurzem richtig gesagt: Die Abwägung zwischen dem Staatsziel der Freiheit und dem Staatsziel der Sicherheit ist sehr schwierig.

Halten Sie es heute für möglich, dass wieder ein Politiker entscheidet, aus übergesetzlichem Notstand werde das Gespräch eines Verteidigers mit seinem Mandanten abgehört?

Ja, das halte ich für möglich. Es gilt heute, was auch damals galt: Für einen Politiker ist das Gesetz mehr ein Hindernis als eine Richtschnur für sein Handeln. Damit meine ich nicht, dass ein Politiker, der das vorschlägt, leichtfertig handelt. Auch er will das Richtige tun. Nur hat er zum Gesetz ein anderes Verhältnis als ein Richter.

Ist für Sie ein Verbot solcher Lauschangriffe die rote Linie in einem Rechtsstaat.

Ja, ganz klar.

Während der Schleyer-Entführung durften RAF-Mitglieder aufgrund des Kontaktsperre-Gesetzes nicht mehr mit ihren Verteidigern reden. Ging das für Sie auch zu weit?

Ja, ich war gegen dieses strikte Kontaktverbot. Man hätte ja bestimmte Anwälte ausschließen können, aber nicht alle. Man muss den Häftlingen die Möglichkeit geben, zu ihrem Verteidiger Kontakt zu haben. Ich hielt das Gesetz nicht für richtig.

Wie gingen Sie innerlich mit diesem Gesetz um? Sie waren ja zu der Zeit als Vorsitzender Richter des Prozesses auch der zuständige Haftrichter für die RAF-Gefangenen in Stammheim?

Nun ja, ich war an das unglaublich schnell ergangene Gesetz gebunden. Da hatte ich keine Freiräume.

In der Nacht zum 18. Oktober 1977 haben sich Baader, Ensslin und Jan-Carl Raspe in ihren Zellen umgebracht. Kurz zuvor hatte die GSG 9 die entführte Passagiermaschine Landshut gestürmt. Durch die Entführung sollte die RAF-Spitze freigepresst werden.  Wie haben Sie auf die Nachrichten von ihrem Tod reagiert?

Mich hat es fast vom Stuhl gehauen, als mich morgens die Haftanstalt anrief. Nicht der Tod an sich, das war schlimm genug. Aber Selbstmorde im Gefängnis kommen immer wieder vor. Ulrike Meinhof hatte sich ja auch erhängt. Aber dass die Häftlinge Pistolen hatten, das war erschreckend. Ein Punkt aber noch: Ich glaube, dass nicht allein die gestürmte Landshut der Grund für die Selbstmorde war.

Es gibt die These, dass die RAF-Führung verzweifelt war, weil sie drei Wochen zuvor zu lebenslanger Haft verurteilt worden war.

Genau. Und lebenslang bedeutete damals, wie gesagt, wirklich lebenslang. Baader und die anderen hatten ja immer das Ziel, dass sie befreit werden oder zumindest nicht verurteilt werden. Aber dieser Plan ging schief. Die Hauptverhandlung wurde durchgeführt, der Tatnachweis war gelungen, es erging das Urteil. In wochenlangen Beratungen haben wir ein aus unserer Sicht revisionssicheres Urteil gefertigt, dieses Urteil war den Angeklagten zugestellt worden. Die Angeklagten mussten damit rechnen, dass ihnen ein Leben hinter Gittern bevorstand.

War Ihnen denn schon zu Beginn der Urteilsberatung klar, dass die Angeklagten schuldig sind?

 Die Beratung – vor der Urteilsverkündung - war natürlich offen, aber man hatte schon im Verlauf des Prozesses über die einzelnen Fälle gesprochen. Da war schon einigermaßen klar, wie es ausgehen werde. Aber wir haben sehr intensiv beraten, zunächst vor der Verkündung, dann über die schriftliche Begründung.

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