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Das berühmteste Blatt der Kollektion. Dürers Aquarell „Der Feldhase“, 1502.

© Museum

250 Jahre Albertina in Wien: Die Geschichte von Mimi und Berti

Die größte Grafiksammlung der Welt feiert Jubiläum. Vor 250 Jahren verliebten sich Herzog Albert von Sachsen-Teschen und Erzherzogin Marie-Christine ineinander. Das Sammeln war ihre große Leidenschaft.

Manchmal sind es Herzensgeschichten, die wiederum ganz große Geschichte schreiben. Bei Herzog Albert von Sachsen-Teschen und Erzherzogin Marie-Christine war es so. Vor 250 Jahren, mehr oder weniger genau, verliebten sich der Wettiner-Spross aus Dresden und die Lieblingstochter der habsburgischen Kaiserin Maria Theresia ineinander, 1766 heiraten sie. Auf ihre gemeinsame Sammelleidenschaft geht die Wiener Albertina zurück. Das nach seinem männlichen Gründer benannte Museum besitzt heute mit einer Million Kunstwerken wahrscheinlich die größte grafische Sammlung der Welt.

Die Geschichte des Paares ist so schön, so dramatisch, so glamourös, dass sie noch einmal erzählt werden muss, die von ihnen erworbene Kunst wiederum so grandios, dass sich daraus eine veritable Doppelausstellung verweben lässt: einerseits eine kulturhistorische Abhandlung über die Lebensumstände von Albert und Marie-Christine – die rasanten Veränderungen ihrer Zeit vom höfischen Barock über Revolution bis Vormärz – und andererseits eine Kunstschau, die Dürer, Bruegel, Tizian, Rembrandt in exquisiter Auswahl vereint. Denn wer Albertina sagt, der denkt meist auch schon an Dürers Hasen, Rubens’ Kinderbildnisse, Rembrandts Elefanten, die alle durch Alberts Sammlungseifer nach Wien gelangten. Dass er ohne seine Frau weder den Kunstverstand entwickelt noch die finanziellen Mittel für eine solch phänomenale Kollektion besessen hätte, davon erzählt die über 400 Objekte umfassende Ausstellung ebenfalls. Marie-Christines Rolle als Mitbegründerin der Albertina wird hier neu bewertet.

„Mimi“ und „Berti“, wie sie einander zärtlich in Briefen nannten, als Liebespaar zu vermitteln, das will auch den amourös gestimmten Kuratoren nicht recht gelingen. Dafür wirken die Repräsentationsbildnisse des prominenten Aristokratenpaares zu steif – sie mit hochtoupierter Frisur und eng geschnürter Taille, er mit ondulierter Lockenperücke und Goldtressen besetztem Gehrock. Das aus Museen von Paris bis Los Angeles als Leihgaben vorübergehend wieder nach Wien geholte Inventar – Tapisserien, Prunkgeschirr, Tafelsilber –, liegt vom gelebten Alltag zu weit entfernt, als dass man sich wirklich in die Zeit zurückversetzen könnte.

Umso ergreifender wirkt das Kenotaph, das Albert bei Antonio Canova, dem bedeutendsten Bildhauer seiner Zeit, nach dem vorzeitigen Tod der Gattin 1798 in Auftrag gab. Von seinem Palais aus hatte er einen Blick auf das in der Augustinerkirche errichtete Grabmonument, gewidmet „Der besten Frau“. Er selbst sollte sie fast um ein Vierteljahrhundert überleben, fortan nur noch seiner Sammlung verschrieben. Die finanziellen Mittel blieben dem armen Kadetten von einst erhalten, da er sich nicht wieder verheiratete. Ansonsten wäre die von Marie-Christine eingebrachte Mitgift in Höhe von 4 Millionen Gulden (etwa 63 Millionen Euro) zurück an das Haus der Habsburger gefallen.

Kurz vor seinem Tod erklärt Albert die Grafiksammlung zum Fideikommiss, sie ging damit unteilbar und veräußerbar immer an die nachfolgenden Herzöge von Teschen und musste am Ort verbleiben. So gelangte 1918 mit dem Ende der Doppelmonarchie der Staat Österreich in ihren Besitz, der sie wie aufgetragen weiter hütet. Und doch bildeten die herrlichen Grafiken nur die Hälfte vom Besitzerglück für die neue Republik. Das Mobiliar, die anderen beweglichen Güter, vor allem Alberts 25 000 Bände umfassende Bibliothek nahm der letzte Erbe, Erzherzog Friedrich, mit nach Ungarn ins Exil, von wo aus sich die Schätze in alle Welt zerstreuten.

Eine Bildtapete mit hunderten lederner Bücherrücken sowie die erhalten gebliebenen dicken Inventare lassen ahnen, was verloren ging. Antike Schriften, Werke von Shakespeare, Schiller und Goethe hatten dazugehört. Albert, zugleich Heerführer und Freimaurer, der sich mit Winckelmann und Lessing traf, wusste feudalen Lebensstil umstandslos mit Aufklärung zu verbinden. Die Ausstellung profitiert von diesem Spannungsbogen: Veduten der Residenzstädte Dresden und Wien, mit Schmuck besetzte Paradewaffen, edles Mobiliar, feinste Karaffen auf der einen Seite, Atlanten, Vermessungsgeräte und Bilder von den ersten Flügen mit der Montgolfiere auf der anderen Seite.

Die Zeit ging nicht spurlos an dem Sammlerpaar vorbei.

Und dennoch gingen die dramatischen Veränderungen der Zeit an dem begüterten Sammlerpaar keineswegs spurlos vorüber. Unter Jubelrufen waren die beiden 1781 als Statthalter der Österreichischen Niederlande in Brüssel eingezogen, mit Ausbruch der Revolution und nach verlorenem Kampf gegen die französischen Truppen unter Herzog Alberts Befehl fliehen sie Hals über Kopf zurück nach Wien, wo sie zur Strafe fortan keine weiteren Ämter ausüben dürfen. Als Ersatz bekommen sie von Kaiser Franz I. die Augustinerbastei als Residenz geschenkt, die heutige Albertina. Der ganze Ehrgeiz richtet sich fortan auf die Kunst, ein 150 Meter langer Repräsentationsflügel wird dafür angebaut, und die Erfolgsgeschichte der Sammlung beginnt.

Der Startschuss war schon 1776 gegeben mit tausend Kupferstichen, die Albert und Marie-Christine auf ihrer Grand Tour in Venedig übernahmen. Wie damals üblich hatte sich das Paar auf eine mehrmonatige Bildungsreise durch Italien begeben, als Finale überreichte ihnen der österreichische Botschafter Giacomo Conte Durazzo, den sie zuvor mit den Ankäufen beauftragt hatten, das Konvolut. Zugleich schrieb er ihnen in einer Gründungsurkunde die Ordnungsprinzipien für die künftige Sammlung nieder, die enzyklopädischen Ansprüchen genügen, die Schulen der Niederländer, Italiener, Deutschen möglichst vollständig umfassen sollte. Genau genommen müsste die Albertina mit diesem Datum ihr 250-jähriges Jubiläum also erst in zwölf Jahren feiern. Aber die Liebesgeschichte von „Mimi“ und „Berti“ geht dem Besucher eben mehr zu Herzen als ein Gründungsdokument, mag es mit noch so vielen Schnörkeln gestaltet sein.

Albert und Marie-Christine kaufen ein, dass es eine Wonne ist, am liebsten en bloc. Ihr Wohnsitz bei Brüssel bringt sie in Kontakt mit den besten Händlern in Paris und Amsterdam. Der größte Coup aber gelingt ihnen mit der Erwerbung des Handzeichnungenbestands der kaiserlichen Bibliothek, in der sich auch die Zeichnungen Albrecht Dürers befinden, der berühmte Hase, die „Betenden Hände“. Ein kleines Wunder der Zeichenkunst ist auch das abgeschlagene Flügelchen einer Blauracke, dessen Federn in allen Schattierungen von Violett bis Türkis schimmern, seitlich trieft noch tiefrot das Blut. Der Hase aber begründete den Ruhm der Sammlung und verschlägt bis heute den Atem, wie er da in einer Momentaufnahme sitzt, die Ohren gespitzt, die Lider gesenkt, jedes Haar einzeln mit einem Lichtreflex zum Glänzen gebracht.

Das berühmteste Blatt der Kollektion. Dürers Aquarell „Der Feldhase“, 1502.
Das berühmteste Blatt der Kollektion. Dürers Aquarell „Der Feldhase“, 1502.

© Museum

So wie Albert Luxus und Aufklärung problemlos vereinbaren konnte, bestand für ihn auch zwischen den braven Genrebildern der Niederländer und den prickelnden Galanterien eines François Boucher keine Hürde. Die Ausstellung fasst die einzelnen Schulen in eigenen Räumen zusammen, jeder Saal eine eigene Ausstellung, allesamt Spitzenblätter. Der Betrachter begibt sich auf einen Höhenflug von Rembrandt zu Goltzius weiter zu Canaletto und Lorrain, streift Watteau und Fragonard, um zu den „Maîtres modernes“ zu gelangen.

Über den kapitalen Blättern gelangt leicht in Vergessenheit, dass Albert in seinen späten Jahren mit Vorliebe Zeitgenossen erwarb. Darunter befand sich auch ein Caspar David Friedrich. In seinem Blatt streift das milde Licht des aufgehenden Mondes eine Landschaft, die aus der Zeit gefallen scheint. So mag es auch dem hochbetagten Connaisseur vorgekommen sein, als letzter Zeuge des Ancien Régime, in dessen Sammlung sich Vergangenheit und Gegenwart verbinden.

Albertina, Wien, bis 29. 6.; Katalog 29 / 39 €.

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